Kopf an Kopf mit Ypsilanti Kämpfer Koch wird persönlich
Kassel Sie sind die Ersten an diesem Morgen auf dem Wehleider Markt, und sie sind gut drauf. Seit Oktober machen Anke Bergmann und Anne Kandler in Kassel Wahlkampf für die SPD - aber heute stürzen sich die hessischen Genossinnen gerne ins Getümmel, beflügelt von den aktuellen Umfragen: Erstmals liegt ihre Kandidatin Andrea Ypsilanti in der Beliebtheit vor Roland Koch. Vor dem Ministerpräsidenten. Vor dem scheinbar Unschlagbaren. Vor dem verhassten CDU-Hardliner.
Ein 82-jähriger Rentner, auf dem Kopf eine schwarze Schiffermütze, steuert direkt auf den SPD-Stand zu. Koch müsse weg, sagt er zu Bergmann. "Er hat sich daneben benommen und Dinge gesagt, die er als Rechtsanwalt so niemals hätte äußern dürfen." Zum Beispiel die Anwendung des Jugendstrafrechts für unter 14-Jährige. Für diese Ankündigung hat die Parteispitze Koch zwar zurückgepfiffen. Trotzdem, bei den Bürgern ist was hängen geblieben.

Wahlplakate in Hessen: Koch hat sich den nächsten Zug schon überlegt
Foto: REUTERSDie Stimmung kippt in Hessen - die SPD verspürt Aufwind an diesem Tag in Kassel, im ganzen Bundesland. Die eigenen Anhänger sind mobilisiert, denn, sagt der Abgeordnete Uwe Frankenberger, Koch habe sich diesmal verspekuliert. Die Stimmung sei in Hessen schon länger negativ gewesen, "und dann hat er mit dieser Debatte über Jugendgewalt seine Unbeliebtheit noch sagenhaft gesteigert".
Und doch, Koch hat sich seinen nächsten Schachzug schon überlegt. Die SPD sollte sich nicht zu früh freuen. Der CDU-Ministerpräsident setzt auf den Kampf gegen den Sozialismus als neuen Wahlkampfschlager - und schlägt auf seinen neuen Plakaten einen ganz besonderen Unterton an.
Plötzlich stehen Namen statt Parteien auf den Plakaten
"Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen", wird in der Schlussspurtkampagne gefordert. Die ausländisch klingenden Namen der Herausforderer scheinen Kochs Wahlkämpfer nicht zufällig so prominent platziert zu haben. Auf den Vorgänger-Plakaten hieß es noch "Rot-Rot-Grün verhindern SPD, Grüne, Linke - Keinen Links-Block für Hessen".
Jetzt gilt: Ypsilanti statt SPD, Al-Wazir statt Grüne, Kommunisten statt Linke. So sieht Kochs zugespitzter Kampf um die deutsche Mitte aus. SPD, Grüne und Linkspartei werden über einen Kamm geschoren, es geht um Freiheit gegen Sozialismus - nachdem die Kampagne gegen kriminelle Ausländer nicht so verfangen hat, wie der populistische Hesse sich das erhofft hatte.
Die Kasseler CDU-Vertreter haben die schlechten Werte ihres Landesparteichefs an diesem Freitag gut verdaut. Auf dem Marktplatz positionieren sie sich genau gegenüber von der SPD und zeigen ein großes Bild von Koch: "Mit ihm bleibt Hessen stark". Fast trotzig wirken die Christdemokraten. Von einem Stimmungswandel will hier niemand was wissen. "Wir haben einen anderen Eindruck von den Bürgern. Die Umfragen kümmern uns nicht", sagt die Abgeordnete Eva Kühne-Hörmann. Gerade habe sich ein Straßenbahnfahrer bei ihr bedankt. Dafür, dass Koch die Gewalt in öffentlichen Verkehrsmitteln thematisiert habe. Sonst traue sich das niemand.
"Die Umfragen können viele CDU-Wähler mobilisieren"
Das sagen in der aktuellen ARD-Umfrage von Infratest Dimap auch 59 Prozent der hessischen Befragten. Schlechter für Koch ist eine andere Zahl. 82 Prozent sind der Meinung, er solle bei der Sicherheit erst mal seine Hausaufgaben in Hessen machen, bevor er eine größere Debatte anzettelt.
Die Anti-Koch-Stimmung im Land spüren auch die Wahlkämpfer der Grünen. Sie bauen ihren Stand direkt neben der SPD auf - schließlich will man gemeinsam die Wende am 27. Januar. Karin Müller, Abgeordnetenkandidatin in Kassel-Stadt, warnt davor, sich schon als Sieger zu wähnen. "Die Prognosen können zur Mobilisierung vieler CDU-Wähler führen, die sonst zu Hause bleiben würden."
Die Grünen sind sowieso unzufrieden mit ihren eigenen Umfragewerten. Bei sieben Prozent liegen sie aktuell, vor Weihnachten waren es schon mal elf. "Ypsilanti fischt zu stark in unserem Teich", sagt ein Grünen-Anhänger. Das tue sie, seit sie SPD-Chefin in Hessen ist. Lieber solle sie die zur Linkspartei abgewanderten Wähler einzusammeln - damit es für eine rot-grüne Mehrheit reicht und sich die Linksblock-Frage gar nicht stellt. Tarek Al-Wazir, grüner Partei- und Fraktionschef, formuliert es so: "Statt sich um Befürworter von Windkraftanlagen zu scharen, soll Frau Ypsilanti sich lieber vor die Opel-Werkshalle stellen."