Korruptionsaffäre in Regensburg Panama an der Donau

Ominöse Parteispenden, profitable Seilschaften: Eine spektakuläre Korruptionsaffäre erschüttert Regensburg. Der SPD-Oberbürgermeister sitzt in Haft, auch gegen seinen Vorgänger von der CSU wird ermittelt.
Altes Rathaus in Regensburg

Altes Rathaus in Regensburg

Foto: Armin Weigel/ dpa

Die Goldgrube liegt im östlichen Bayern, in der Oberpfalz, wo der Dialekt für Besucher oft schwer verständlich ist. Das stört hier kaum jemanden, denn in Regensburg bleibt man gern unter sich. Vielleicht haben deshalb alle anderen noch nicht gemerkt, wie viel in der Stadt zu holen ist.

Bauland in Bestlage, reiche Auftraggeber und solvente Mieter, Bauaufträge für viele Millionen Euro. Die blaue Donau nimmt hier zwei andere Flüsse auf, das Zentrum darf sich Unesco-Welterbe nennen, Konzerne wie BMW und Infineon garantieren Jobs und Gewerbesteuereinnahmen. Da können es sich vermögende Gönner auch leisten, den einst so stolzen und dann etwas glücklosen SSV Jahn am Leben zu erhalten. Der Fußballverein spielt nur in der dritten Liga, aber in einem großen Stadion, dank der Herren, die gern unter sich bleiben.

In Regensburg machen seit Jahren drei große Bauträger aus der Region das Geschäft weitgehend unter sich aus. Sie bauen Wohnungen, Hotels, Büroräume, Läden, Kindergärten. Alles auf Filetgrundstücken, die richtig Rendite bringen. Das war so, als die CSU fast 20 Jahre lang im Rathaus regierte, und das setzt sich fort, seitdem die SPD 2014 die Oberbürgermeisterwahl gewonnen hat. Viele wunderten sich darüber, nachgefragt hat niemand.

Das erledigte im Frühsommer 2016 der Staatsanwalt. Und deshalb hat die schöne Stadt mit dem historischen Bischofssitz seit Juni eine Parteispendenaffäre, die in ihrer Kuriosität und ihren Folgen einmalig sein dürfte in Deutschland.

Seit Mittwoch sitzt der SPD-Oberbürgermeister Joachim Wolbergs in Untersuchungshaft, mit ihm der wohl größte Bauträger der Stadt, Volker Tretzel, und dessen früherer enger Mitarbeiter Franz W. Der Vorwurf: Bestechung und Beihilfe zu Bestechung. Zudem sollen die Beschuldigten versucht haben, Zeugen zu beeinflussen. Der Staatsanwalt sah Verdunkelungsgefahr, im Fall des vermögenden Tretzel hielt man eine Flucht für möglich.

Im Juni hatten die Ermittler den Verdacht, Oberbürgermeister Wolbergs habe für seinen Wahlkampf gut 600.000 Euro von den drei Bauunternehmen Tretzel, Immobilien Zentrum und Schmack erhalten. Strohmänner sollen das Geld in Tranchen unter 10.000 Euro überwiesen haben, bei solch niedrigen Summen muss die Partei den Spender nicht im Rechenschaftsbericht nennen.

Regensburger OB Joachim Wolbergs

Regensburger OB Joachim Wolbergs

Foto: Armin Weigel/ picture alliance / Armin Weigel/dpa

Die Zahlungen dienten angeblich dazu, dass man in Regensburg auch künftig unter sich bleibt und galten für die Justiz als Indiz für Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung. Ein "Panama-Konstrukt", sagt die Konkurrenz von der CSU entsetzt. So etwas würde es in der eigenen Partei nicht geben. Aber dazu später mehr.

Wolbergs weist den Verdacht bis heute von sich. "Der Oberbürgermeister ist nicht käuflich", sagt er. Und: "Es hat auch noch niemand versucht, den Oberbürgermeister zu kaufen." Er habe, beteuert Wolbergs, "niemals auf irgendetwas Einfluss genommen im Sinne eines Spenders". Von den drei Bauträgern schweigen zwei. Volker Tretzel ließ im Sommer mitteilen, er habe an Vereine, Kirchen und auch an mehrere Parteien gespendet, nie jedoch, um eine Gegenleistung zu erhalten.

Die mutmaßliche Zahlung der drei Unternehmen ist erstaunlich groß, zumal sie nicht der Bundes- oder Landes-SPD überwiesen wurde, sondern dem winzigen Ortsverein Stadtsüden. Er hat angeblich 22 Mitglieder, was schon nicht besonders viel wäre, namentlich bekannt sind nur zwei: Joachim Wolbergs und Anja Wolbergs, Vorsitzender und Kassiererin, Ehemann und Ehefrau. Der Ortsverein Stadtsüden sei quasi tot gewesen, erzählen Genossen an der Donau, und lediglich für das Wahlkampfkonto Wolbergs wiederbelebt worden.

Dutzende Überweisungen unter 10.000 Euro

Aufgedeckt hat die Affäre, auch das ist erstaunlich, ein Parteifreund. Thomas Goger ist Landesschatzmeister der Bayern-SPD und Staatsanwalt für Cyberkriminalität in Bamberg. Er kennt das Ehepaar Wolbergs aus seiner Regensburger Studienzeit recht gut.

Zum Jahresende 2015 prüfte Goger die Rechenschaftsberichte der bayerischen Parteigliederungen, auch der 1600 Ortsvereine. Dabei soll er über einen Kredit gestolpert sein: ein Darlehen über 220.000 Euro, das OB-Kandidat Wolbergs 2013 seinem Ortsverein für den Wahlkampf ausgereicht hatte.

Weil das Geld nach einem Jahr nicht zurückgezahlt wurde, hätte der Kredit der Partei gemeldet werden müssen, so steht es in den Statuten. Goger ließ sich die Unterlagen des Ortsvereins schicken und soll Dutzende Überweisungen unter 10.000 Euro gefunden haben, die sich zu mehr als einer halben Million Euro addieren. Geflossen unmittelbar vor der OB-Stichwahl im März 2014 und in den Monaten danach. Tatsächlich wurden solche Listen inzwischen öffentlich. Die Spender überwiesen jeweils den auffälligen Betrag von 9900 oder 9990 Euro.

Der Schatzmeister fragte angeblich nicht seinen Parteifreund Wolbergs nach den vielen Wohltätern, sondern googelte ihre Namen. So soll er herausgefunden haben, dass die meisten mit den Inhabern der Bauträger verwandt, befreundet oder bei ihnen beschäftigt sind. Ein Teil der Spenden soll auch von Tochterfirmen stammen.

Wolbergs Anhänger wittern Verrat

Staatsanwalt Goger witterte Korruption und sandte im Februar 2016 einen Bericht an die zuständigen Kollegen. Den Regensburger Wolbergs-Anhängern ist bis heute unerklärlich, warum ihm ausgerechnet die Kasse des kleinen Ortsvereins Stadtsüden aufgefallen war. Sie glauben, dass er wusste, wonach er suchen musste, sie glauben an Verrat.

Dass alles aufflog, hat möglicherweise mit einer ganz anderen Art von Affäre zu tun: Kurz vor Gogers Prüfung hatte sich der Oberbürgermeister einer engen Mitarbeiterin zugewandt und die Trennung von seiner Frau bekannt gegeben.

Die Fahnder rückten im Juni mit 69 Kriminalbeamten und sieben Staatsanwälten aus und durchsuchten das Rathaus, Wohnhäuser und etliche Firmensitze. Angeblich stießen sie auf die Namen von Mitarbeitern der Baufirmen, die ihre privaten Parteispenden vom Unternehmen als Sonderzahlung zurückbekommen haben sollen.

Beim Bauteam Tretzel wollen die Beamten einen "Architekten" des Spendensystems ausgemacht haben, den früheren Projektleiter Franz W. Dieser sagt inzwischen gar nichts mehr zu den Vorwürfen, ließ lokale Medien aber wissen, er habe lediglich selbst gespendet, damit "gute Politik" für Regensburg gemacht werde.

Das Image des integren, modernen Stadtpolitikers ist zerstört

Inzwischen hat sich der Vorwurf gegen Wolbergs von der Vorteilsnahme zur Bestechlichkeit gewandelt. Die Ermittler glauben einen engen Zusammenhang zwischen den Zahlungen, die auch lange nach dem Wahlkampf weiter geflossen sein sollen, und der Vergabe von Grundstücken zu erkennen. Zudem soll Wolbergs unentgeltliche Hilfe bei der Renovierung seines Hauses bekommen haben. Ihm nahestehende Personen, so heißt es in einer Mitteilung der Justiz, sollen verbilligt Eigentumswohnungen vom Bauträger gekauft haben.

Seit die Staatsanwaltschaft Mitte Juni per Pressemitteilung den Verdacht publik gemacht und von den Durchsuchungen berichtet hat, ist das Image des integren, modernen Stadtpolitikers Wolbergs zerstört. Der 45-Jährige galt als bürgernah, sozial engagiert und der Kultur näher als dem Kapital. Ein netter Mann mit Familie und Doppelhaushälfte, frei von dem Verdacht, mit den Mächtigen der Stadt zu kungeln. In der Stichwahl hatte er 70,1 Prozent der Stimmen erreicht.

Continental-Arena in Regensburg

Continental-Arena in Regensburg

Foto: Armin Weigel/ picture alliance / dpa

Wolbergs gehörte schon damals zu einer einflussreichen Herrenclique, nach sechs Jahren als dritter Bürgermeister der Stadt und als Aufsichtsrat des SSV Jahn Regensburg. Im Führungsgremium des Fußballklubs trafen sich unter anderem der Oberbürgermeisterkandidat der CSU, der besonders spendable Bauträger Tretzel, dessen damaliger Mitarbeiter Franz W. und der mächtige SPD-Fraktionschef. Gemeinsam forcierten sie den Bau eines neuen Stadions, das mehr als 15.000 Zuschauern Platz bietet und der Stadt monatlich ein dickes Minus beschert.

Baulöwe Tretzel, von dem sein Umfeld sagt, er liebe die schönen Künste und verstehe nichts vom Fußball, rettete den Verein 2005 vor der Insolvenz und half häufig aus, wenn die Kasse leer war, sehr zur Freude der Stadtspitze. Wie Staatsanwälte nun behaupten, soll Tretzel 2014, nur sechs Tage nachdem er die Ausschreibung für die Bebauung eines großen ehemaligen Kasernenareals gewonnen hatte, eine Kapitalerhöhung des SSV um 1,2 Millionen und später um 500.000 Euro ermöglicht haben.

Die Stadtspitze ließ im Übrigen einen anderen ehemaligen Aufsichtsrat nicht hängen: Den als obersten Spendeneintreiber verdächtigten W. machte Oberbürgermeister Wolbergs kürzlich zum neuen Technischen Leiter der kommunalen Wohnungsgesellschaft Stadtbau GmbH. Zwei Bewerberinnen mit höherer Qualifikation schieden aus. Im Stadtrat sorgte das für Tumulte, W. bekam den Job trotzdem.

Zwei Millionen Mails und drei Terabyte Dokumente durchsucht

Die Staatsanwaltschaft ließ in den vergangenen Monaten zwei Millionen Mails und drei Terabyte Dokumente vom Landeskriminalamt durchsuchen, darunter auch die Vorgänge um den Stadionbau des SSV Jahn und Unterlagen zur Spendenpraxis der Bauträger zu Zeiten der CSU-Regentschaft. Die Christsozialen beteuern, alle Spenden korrekt verbucht und ausgewiesen zu haben. In einer Pressemitteilung des Kreisverbandes Regensburg-Stadt heißt es allerdings auch, die CSU habe von den drei großen Bauträgern "sowie einem diesen eventuell zuzuordnendem Personenkreis" 90.550 Euro erhalten.

Die Summe nimmt sich bescheiden aus, die Erwähnung eines "Personenkreises" aber wirft Fragen auf, die nicht beantwortet werden. Der langjährige Oberbürgermeister Hans Schaidinger erhielt jedenfalls kurz nach dem Ausscheiden aus dem Amt einen mit 20.000 Euro monatlich dotierten Beratervertrag beim Bauteam Tretzel.

Ex-OB Hans Schaidinger (CSU/Archivbild von 2014)

Ex-OB Hans Schaidinger (CSU/Archivbild von 2014)

Foto: Daniel Karmann/ dpa

Damit hat die Affäre seit Ende 2016 die CSU erreicht. Seither nämlich ermitteln die Staatsanwälte auch gegen Schaidinger wegen Bestechlichkeit. Gegen den Baulöwen Tretzel wurde am Donnerstag deshalb ein zweiter Haftbefehl eröffnet. Tretzel soll dem Ex-OB den Vertrag schon zu Amtszeiten angeboten haben. Und: Er soll ihm eine Segeljacht mit Skipper für eine Reise zur Verfügung gestellt haben. Hans Schaidinger wollte sich gegenüber SPIEGEL ONLINE nicht zu den Vorwürfen äußern. "Es gibt nichts zu sagen", teilte er mit.

Inzwischen sind die Spenden von Regensburg auch ein Thema in Berlin. Die Bundestagsverwaltung prüft, ob gegen das Parteiengesetz verstoßen wurde. Momentan liegt das Verfahren auf Eis. Man werde erst das Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlungen abwarten, heißt es.

Auch die Bundes-SPD forderte im Sommer plötzlich von ihren örtlichen Mandatsträgern eine lückenlose Spendenliste. Für die Partei könnte die Affäre an der Donau teuer werden. Sollte sich bestätigen, dass die Spenden illegalerweise gestückelt wurden, könnte der Bundestag eine Strafe von weit mehr als einer Million Euro gegen die SPD verhängen. Damit aber ist der Skandal wohl noch nicht zu Ende erzählt.

Mit Bangen fragen sich die Christsozialen in Bayern, ob die Bundestagsverwaltung bald auch die Zuwendungen des mysteriösen "Personenkreises" an die CSU untersuchen muss. Der Regensburger CSU Vorsitzende Franz Rieger zeigte sich diese Woche immerhin "perplex, überrascht und erschüttert".

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