Krippenanspruch Deutschland stolpert ins Kita-Debakel

Der Stichtag rückt näher: Ab dem 1. August müssen Deutschlands Kommunen Krippenplätze für unter Dreijährige garantieren. Doch in vielen Städten fehlen immer noch Betreuungsplätze. Zwei Gerichtsentscheidungen stärken nun die Rechte der Eltern.
Kinder in der Kita: Viele Wartelisten sind voll

Kinder in der Kita: Viele Wartelisten sind voll

Foto: Thomas Lohnes/ Getty Images

Sehr viele Eltern werden jetzt aufatmen, sehr viele Beamte aufstöhnen.

Das Verwaltungsgericht Köln hat am Donnerstagnachmittag in zwei Eilverfahren entschieden: Unter Dreijährige haben ein Recht auf einen nahe gelegenen Kita-Platz. Und nahe bedeutet nach Auffassung der Richter, dass die Krippe nicht weiter als fünf Kilometer vom Wohnort entfernt sein darf. Zudem befand das Gericht, dass Eltern die Wahl haben müssen, ob ihr Kind in einer Einrichtung oder bei einer Tagesmutter betreut wird (Az. 19 L 877/13). Bislang konnte darüber die Verwaltung entscheiden.

Die Stadt Köln könnte diese Entscheidung vor große Schwierigkeiten stellen. Denn nur mit erheblichen Aufwand wird sie im August eine Betreuungsquote von 34 Prozent erreichen. Es gab zwar noch Hunderte freie Plätze, doch liegen die entweder in teilweise schwierigen Bezirken oder wurden bei teureren Tagesmüttern vorgehalten. Damit mochten sich zahlreiche Eltern nicht abfinden - zu Recht, wie die Richter nun beschlossen.

Die Stadtverwaltung will jetzt die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann entscheiden, ob sie Rechtsmittel einlegt. Der Kölner Rechtsanwalt Christoph Krosch von der Kanzlei Advogereon , der die betroffenen Eltern vertritt, sagt hingegen auf Anfrage: "Meine Mandanten sind sehr erfreut. Wir fühlen uns in unserer Rechtsauffassung bestätigt." Zusammen mit einem Kollegen betreue er inzwischen etwa 30 Mandanten, die in Sachen Kinderbetreuung vor Gericht ziehen wollten, mehr als 20 hätten bereits geklagt. "Es geht zumeist um die Frage, was einer Familie zuzumuten ist." Das Gericht habe da nun klare Grenzen gezogen.

Dem 2007 beschlossenen Gesetz zufolge müssen die Kommunen ab dem 1. August ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen für unter Dreijährige stellen. 750.000 hatte das Bundesfamilienministerium als Marke für die gesamte Republik ausgegeben, was einer Quote von 35 Prozent entsprach, zwischenzeitlich wurde auf 780.000 und 39 Prozent erhöht. Nun meldeten die Länder Mitte Juli, dass demnächst sogar 800.000 vorhanden seien.

Dennoch quietscht und knarzt es an vielen Ecken Deutschlands mit der Vollversorgung. In vielen Städten stehen längst Anwälte in den Startlöchern.

Mitten auf dem Weg

So soll in Köln die Betreuungsquote im Kindergartenjahr 2013/14 zwar noch auf 40 Prozent anwachsen, doch auch das wird aller Voraussicht nach nicht genügen. "Wir rechnen intern mit einem Bedarf von 50 Prozent", sagt Jugenddezernentin Agnes Klein. Fachleute gingen sogar von bis zu 60 Prozent aus. "Auf jeden Fall sind wir längst nicht am Ziel, sondern mitten auf dem Weg", so Klein.

In anderen Städten sieht es kaum besser aus. Pforzheim etwa. In der offiziellen Statistik des Landes Baden-Württemberg zur Betreuungsquote von unter Dreijährigen steht die 115.000-Einwohner-Stadt am Schwarzwald mit nur 16 Prozent auf dem letzten Platz. "Wir sind das Schlusslicht", räumt Sprecher Michael Strohmayer ein.

"Wir haben mit dem Ausbau spät angefangen und kamen von einem niedrigen Niveau." Vor zehn Jahren habe es nur für ein Prozent der unter Dreijährigen einen Betreuungsplatz gegeben, aktuell seien es 20 Prozent - etwas mehr als in der Statistik, die auf Zahlen vom 1. März beruht. Dabei ist Bedarf da: Derzeit stehen 90 Kinder auf der Warteliste, für die es keinen Krippenplatz gibt. Der Ausbau gehe weiter, verspricht Strohmayer. Die Frage möglicher Klagen von Eltern tut er als nebensächlich ab - schließlich gehe es doch darum, den gesetzlichen Anspruch der Kinder zu erfüllen.

Die Universitätsstadt Heidelberg führt die Statistik in Baden-Württemberg an. Hier finden 44 Prozent der unter Dreijährigen einen Krippenplatz. Aber auch eine solche Quote bedeutet nicht, dass Eltern in der Wunsch-Kita um die Ecke einen Platz finden. Bei der Suche nach einem Ganztagesplatz für ein einjähriges Kind spuckt die städtische Suchmaschine 13 Einrichtungen aus - zehn sind voll belegt.

Mancherorts sieht es dagegen ganz anders aus: In der nordrhein-westfälischen Stadt Haltern am See etwa wird sogar eine Kita geschlossen, weil es laut einem Zeitungsbericht nicht genügend Anmeldungen für die Krippe gibt.

Von der Entwicklung überholt

Die Planung der Kommunen in Deutschland konnte mit der sich verändernden Einstellung der Väter und Mütter in Deutschland nicht Schritt halten. Immer mehr Eltern wollen ihren Nachwuchs schon im Kleinkindalter in die Betreuung geben. Für Großstädte gilt eine Quote von 50 Prozent als wahrscheinlich. "Bei vielen Eltern ist das Bewusstsein entstanden, dass ein Krippenbesuch den Kindern guttut", hat der Geschäftsführer vom Fachverband katholischer Kindertageseinrichtungen, Frank Jansen, festgestellt. Zudem äußerten immer mehr Frauen den Wunsch, frühzeitig in ihren Beruf zurückzukehren.

Die in Jansens Verband zusammengeschlossenen Kitas bieten heute 74.000 Krippenplätze an, ein Zuwachs von 130 Prozent in den vergangenen vier Jahren - und die Wartelisten sind trotzdem voll.

Bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die bundesweit 2300 Kitas betreibt, sieht es ähnlich aus. Vor allem in den Ballungsgebieten gebe es bereits seit geraumer Zeit einen großen Run auf die Krippenplätze. "Es stürmen jetzt nicht alle Eltern genau zum 1. August die Kitas", sagt Sprecherin Mona Finder. Die AWO werde auch in Zukunft noch weitere Krippenplätze schaffen.

Im ganzen Land gründen Kita-Träger neue Einrichtungen. Vor allem in Großstädten gestaltet sich die Suche nach Räumen oder Baugrundstücken aber immer schwieriger. Unkonventionelle Lösungen sind gefragt. So entstand in Hamburg in einem ehemaligen Swingerclub ein Hort. Auch Ladenlokale, Handwerksbetriebe: Was sich irgendwie eignet, wird umgebaut.

Umschulen im Eiltempo

Problematisch bleibt auf absehbare Zeit die Frage des Personals - und damit der Qualität. Es fehlen Erzieher - massenhaft. Je nachdem, wen man fragt, schwanken die Zahlen zwischen 10.000 und 20.000. Die Ausbildung dauert je nach Bundesland und vorheriger Qualifikation drei bis fünf Jahre.

Vergütung und Renommee machten den Beruf bisher nicht gerade zum Traumjob. Man könnte die Hoffnung haben, dass sich das nun ändert. Doch in ihrer Not senkten mehrere Bundesländer einfach die Anforderungen ans Kita-Personal. So können etwa in Baden-Württemberg nun Grundschullehrer und Sozialpädagogen mit den Kleinsten arbeiten, Hebammen beispielsweise und Logopäden im Eiltempo umsatteln. "Die werden in 25 Tagen zum Erzieher umgeschult", sagt Jansen. "Das kann höchstens eine Übergangslösung sein."

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