Krisengipfel mit Beck SPD zieht Ypsilanti zurück - Steinbrück gibt Wahl 2009 verloren

Chaostage in der SPD: Zwei Wochen nach dem Freibrief für ein Linksbündnis wurde der hessischen Spitzenkandidatin Ypsilanti nun von der Parteiführung untersagt, sich von den Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Peer Steinbrück sieht wegen des Streits über den Linksschwenk kaum noch Chancen, die Bundestagswahl 2009 zu gewinnen.

Berlin - Was für ein Wochenende für die SPD: Da wird die widerspenstige Dagmar Metzger gedrängt, ihr Landtagsmandat in Hessen aufzugeben, um Andrea Ypsilanti doch noch die Wahl zur Regierungschefin zu ermöglichen. Ihr möglicher Nachfolger lehnt aber auch eine Kooperation mit den Linken ab. Und dann deuten die Grünen an, die Lust auf ein solches Bündnis zu verlieren.

Peer Steinbrück ist kein Mann, der die Lage gerne beschönigt. Der SPD-Vize und Bundesfinanzminister schenkt seinen Genossen lieber reinen Wein ein als sie mit Heilserwartungen zu trösten. In diesen Tagen muss er davon reichlich Gebrauch machen.

Die Führungskrise um Kurt Beck und die Turbulenzen nach der Hessen-Wahl haben bei ihm offenkundig die Überzeugung wachsen lassen, dass die Bundestagswahl 2009 für die SPD nicht mehr zu gewinnen ist. Er hält das Rennen nach SPIEGEL-Informationen bereits für gelaufen. "Wir haben der Merkel doch den Teller fein sauber geleckt!"

Steinbrück war heute Abend auch in Berlin dabei, wenn sich der engste Führungszirkel in Berlin mit Beck in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung zum Abendessen trifft. Teilnehmer waren auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die Partei-Linke Andrea Nahles als weitere Stellvertreter sowie Fraktionschef Peter Struck. Nahles sagte beim Eintreffen auf die Frage, ob die SPD bald einen neuen Vorsitzenden haben werde: "Mit Sicherheit nicht."

Vor dem Gebäude in der Nähe des Tiergartens in Berlin zeigt ein Schaukasten - zufällig - ein passendes Werbeplakat: "Wir wissen, wie wir ihnen den Kopf verdrehen".

Ein besseres Motto hätte sich die SPD nicht aussuchen können - denn nicht nur die Mitglieder wissen nicht, wo sie im Moment stehen. Auch die Öffentlichkeit rätselt, wohin der Vorsitzende seine Partei führen will.

Es ist der erste Auftritt Becks, nachdem er zwei Wochen mit einer Krankheit das Bett hüten musste. Zuvor hatte er einen Kurswechsel der SPD eingeleitet, indem er nach der Hessen-Wahl den Landesverbänden freie Hand für eine Kooperation mit der Linkspartei gab. Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 24. Februar hatte dies der SPD geschadet und massive Kritik ausgelöst, unter anderem durch den dortigen Spitzenkandidaten Michael Naumann. Seitdem schlingert die Partei - angeheizt durch die jüngsten Chaostage in Hessen.

Ypsilanti soll sich in Hessen nicht zur Wahl stellen

Am späten Sonntagnachmittag gab es zumindest für die SPD in Hessen eine erste Order: Die SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti werde sich vorerst nicht als Ministerpräsidentin zur Wahl stellen, erklärte Generalsekretär Hubertus Heil in Berlin. Es gebe "derzeit" keine parlamentarische Basis für eine Minderheitsregierung.

Damit scheint Beck die Krise in Hessen vorerst unter Kontrolle gebracht zu haben. Das gesamte Wochenende hatten die dortigen Genossen für Schlagzeilen gesorgt. Für den offenbar genesenen Beck dürfte nicht nur der heutige Abend, sondern vor allem der morgige Tag eine Herausforderung sein. Am Montag will er sich nach der Präsidiumssitzung in der Bundespressekonferenz den Fragen der Journalisten stellen und den künftigen Kurs der Partei erläutern. Einen Rückzug hat der 59-Jährige nicht im Sinn. Nach SPIEGEL-Informationen hat er bereits in der vergangenen Woche vom Krankenbett die erste Order herausgegeben: "Stabilität herstellen!"

In diesem Zusammenhang passen auch die Erklärungen, die führende Vertreter beider Parteiflügel verbreiteten. Sie stellten sich hinter Beck und wiesen so einen Rückzug Becks zurück. Die "Bild"-Zeitung schrieb, bei einer Schaltkonferenz führender Sozialdemokraten sei über eine Rückkehr von Ex-Vizekanzler Franz Müntefering als Übergangs-Parteichef beraten worden. Dieser hat sich aber aus der Politik weitgehend zurückgezogen, um seine schwerkranke Frau zu pflegen. Zu einer Ablösung Becks durch Müntefering sagte Generalsekretär Hubertus Heil im Deutschlandfunk: "Das hat keine reale Basis." Ähnlich erklärte er sich auch am Sonntag in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". So wie Heil reagierten auch Fraktionschef Peter Struck und weitere Mitglieder mit Bekenntnissen zu Beck. Dieser sei unumstritten, sagte Björn Böhning für die SPD-Linken, die Beck seit Tagen verteidigen. Auch die rechten "Seeheimer" und die "Netzwerker" bekannten sich zu Beck.

Doch der Wunsch, die Partei zu stabilisieren, wurde in den vergangenen Tagen durch das Verhalten der hessischen SPD durchkreuzt. Ypsilanti hatte am Wochenende die rebellische Abgeordnete Dagmar Metzger zum Mandatsverzicht aufgefordert. Die Darmstädterin schloss daraufhin nicht mehr aus, sich doch dem Mehrheitswillen zu beugen oder ihr Mandat aufzugeben. Diese neue Wendung löste vor allem beim rechten SPD-Flügel scharfe Kritik aus. "Ich kann über dieses Fiasko nur noch den Kopf schütteln", sagte Vorstandsmitglied Susanne Kastner der "Bild am Sonntag". Sie rate Ypsilanti, CDU-Ministerpräsident Roland Koch ohne Mehrheit regieren zu lassen und vor sich herzutreiben.

Der Sprecher der konservativen "Seeheimer", Johannes Kahrs, forderte Metzger auf, bei ihrem Nein zu bleiben. "Frau Metzger hat viel für die Glaubwürdigkeit der SPD getan." Ihr möglicher Nachrücker ließ mittlerweile ebenfalls erkennen, dass er Zweifel an einer Wahl Ypsilantis durch die Linkspartei hat. Auch die Grünen im Bund rückten von einer rot-grünen Minderheitsregierung, die auf die Stimmen der Linke angewiesen ist, ab.

Der SPD-Linke Karl Lauterbach hielt dagegen weiterhin an einer rot-rot-grünen Option fest. Dies sei "die einzige strategische Option für die SPD, in den Ländern nach und nach die Bundesratsmehrheit der Union zu brechen", sagte er dem "Handelsblatt". Dies schloss der SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend zumindest für Hessen aus: "Politisch hat sich die Option für Andrea Ypsilanti, mit den Stimmen der Linken zur Ministerpräsidentin gewählt zu werden, am Freitag erledigt." Kritik kam am Wochenende auch vom Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck. Er warf Ypsilanti in der "Welt am Sonntag" vor, sie habe gegen den Rat der Bundespartei die Tolerierung angestrebt. "Die Entscheidung war kontraproduktiv zu dem, was wir in Bezug auf die Linke auf Bundesebene planen."

Die SPD-Linken machten den rechten Flügel dagegen für die Misere verantwortlich. "Die Parteirechte ist nicht in der Lage, unseren gemeinsam beschlossenen Kurs zu verteidigen", sagte der Sprecher des linken Flügels, Böhning, der "Bild am Sonntag."

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sev/Reuters/AP/dpa

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