Kritik an Steuerplänen Merkel lässt Wirtschaftsweise abblitzen

Sie sprechen von "Tagträumereien" - und meinen damit die schwarz-gelben Steuerversprechen: Die Wirtschaftsweisen gehen mit der neuen Regierung hart ins Gericht. Doch die Kritik der Experten perlt an Kanzlerin Merkel ab.
Wirtschaftsweiser Franz, Kanzlerin Merkel: "Im kritischen Dialog"

Wirtschaftsweiser Franz, Kanzlerin Merkel: "Im kritischen Dialog"

Foto: TOBIAS SCHWARZ/ REUTERS

Angela Merkel

Berlin - Es ist keine besonders herzliche Begegnung, die am Freitag im ersten Stock des Kanzleramts zu beobachten ist. "Komm' 'se ma' hier rüber, ja, Sie auch, genau", weist ihre Gäste auf die richtigen Positionen. Links von ihr nehmen die Mitglieder des Sachverständigenrates Aufstellung, rechts die Minister Schäuble, Jung, Brüderle und Rösler.

Mit ein paar höflichen Worten, Händedruck und kleiner Verbeugung überreicht Wolfgang Franz, der Chef der Wirtschaftsweisen, der Kanzlerin das neue Jahresgutachten. Merkel bedankt sich lächelnd. "Wir schätzen Ihre Arbeit sehr", sagt sie, "wenngleich wir auch immer in einem kritischen Dialog sind." Im Ziel sei man sich ja völlig einig: Deutschland müsse gestärkt aus der Krise hervorgehen. Schnell noch ein paar Schritte nach vorn, ein paar Sekunden für die Fotografen posieren, und Abmarsch.

Zwei Minuten dauert die Inszenierung. Dass die Kanzlerin die soeben offiziell in Empfang genommenen Bände der Ökonomen am Ende scheinbar achtlos auf ihrem Rednerpult liegen lässt, entbehrt nicht einer gewissen Symbolkraft. So richtig interessiert sie die Meinung der Experten nicht: Danke für die guten Ratschläge, aber wir wissen selbst, was zu tun ist.

"Nichtssagend und mutlos"

Denn die Steuerversprechen decken sich in wichtigen Punkten eben nicht mit den Ansichten des Sachverständigenrates, der im Auftrag der Bundesregierung regelmäßig die wirtschaftliche Entwicklung des Landes unter die Lupe nimmt und Tipps für die künftige Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt. In ihrem neuen Dossier zerpflücken die Wirtschaftsexperten die schwarz-gelben Pläne für Steuersenkungen und kritisieren die "nichtssagenden und gänzlich mutlosen" Aussagen zur Haushaltskonsolidierung im Koalitionsvertrag.

Dieser erwähne zwar, dass eine Konsolidierung notwendig sei, konkrete Angaben, wie die Aufgabe zu bewältigen sei, gebe es aber nicht. "Das ist mehr als unbefriedigend", heißt es im Gutachten. Die für zahlreiche andere Politikbereiche eingeforderte stärkere Transparenz werde in der Finanzpolitik "sträflich vernachlässigt".

Sachverständigenrat

Die Ökonomen attackieren die neue Regierung vor allem für ihr Vorhaben, Bürger und Unternehmen von 2011 an dauerhaft um jährlich 24 Milliarden Euro zu entlasten. Vorschläge, wie diese Steuersenkungen gegenfinanziert werden sollen, fehlten völlig. "Angesichts der enormen Konsolidierungserfordernisse sind derartige Steuersenkungsversprechen mit einer seriösen Finanzpolitik nicht vereinbar", kritisiert der .

Mehrwertsteuer

Zudem könne höheres Wachstum allein, wie es sich die Regierung mit den Steuersenkungen zu fördern erhofft, die Konsolidierungsaufgabe realistischerweise nicht lösen. "Konsolidierung erfordert Einschnitte statt Tagträume." Nach Meinung der Gutachter sind Ausgabenkürzungen das Gebot der Stunde. Wenn diese zur Konsolidierung nicht ausreichen, bliebe der Regierung nur, die Steuern zu erhöhen, etwa die . Zumindest aber müsse sie auf die angekündigten Steuersenkungen verzichten: "Da alle Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt stünden, sollte es nicht schwer fallen, die Geschenkkörbe mit nicht gegenfinanzierten Steuersenkungen wieder einzusammeln."

Die Opposition fühlt sich bestätigt, die Regierung gibt sich unbeirrt

Das sind harte Worte und eine Steilvorlage für die Opposition. "Die Bundesregierung setzt die Zukunft unseres Landes aufs Spiel", zürnte SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil. Sie verbaue finanzielle Spielräume für wichtige Investitionen durch "Steuergeschenke an Klientelgruppen". Die Grünen sprachen von einer "schallenden Ohrfeige für Schwarz-Gelb". Die Koalition fahre mit ihren Steuergeschenken in die falsche Richtung, hieß es in einer Erklärung der Grünen-Fraktion. "Selbst der geballte wissenschaftliche Sachverstand reicht nicht, um die wirtschaftspolitische Geisterfahrt von Union und FDP zu stoppen."

Tatsächlich hat die neue Regierung nicht vor, ihren Kurs im Angesicht der düsteren Prognosen zu korrigieren. Ließ schon die Kanzlerin durchblicken, dass sie nicht daran denkt, der Kritik allzu viel Beachtung zu schenken, machte ihr Sprecher Ulrich Wilhelm wenig später klar: "Selbstverständlich gilt der Koalitionsvertrag." Die dort verabredeten Steuerpläne würden ohne Abstriche umgesetzt "auch gegen die fachliche Expertise des Sachverständigenrates", sagte Wilhelm.

Er verwies darauf, dass sich auch die Große Koalition 2005 über die Empfehlungen der Wirtschaftsweisen hinweggesetzt habe und dabei erfolgreich gewesen sei. "Es gibt also durchaus Beispiele, dass die Bundesregierung klug beraten ist, sich auf eigene Analysen und Expertisen zu stützen."

Deutlicher wurde der CDU-Wirtschaftsexperte Michael Fuchs, seit Dienstag Unionsfraktionsvize. "Die polemische Kritik an den geplanten Steuersenkungen ist nicht nur anmaßend und falsch, sondern auch gefährlich", wetterte Fuchs in der "Welt". "Die Wirtschaftsweisen drohen den gerade erst einsetzenden Aufschwung zu zerreden." Die Wortwahl der Ökonomen nannte der CDU-Politiker "ärgerlich und auch im Ton nicht angebracht". Noch bestimme die Politik die Richtlinien, Experten gäben Ratschläge. "Bei dieser Arbeitsteilung sollte es bleiben."

Einer aus der Union allerdings, den das Gutachten der Weisen im Besonderen angeht, wollte am Freitag in den Chor der Beleidigten nicht miteinstimmen. Finanzminister Wolfgang Schäuble, der in den vergangenen Tagen mit Verweis auf die leeren Kassen eine umfassende Steuerreform wiederholt ausgeschlossen hat, ließ seinen Sprecher ausrichten, dass er sich vom Gutachten "grundsätzlich unterstützt" fühle. Er sehe die Empfehlungen der Experten mit einer "positiven Grundstimmung".

mit Material von dpa
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