Kritik an Südeuropäern SPD und Grüne werfen Merkel Stimmungsmache vor

Es ist eine heikle Offensive: Angela Merkel hat scharfe Kritik an der Rentenpolitik und Urlaubsregelungen in den südeuropäischen Schuldenstaaten geübt. SPD und Grüne geben sich entsetzt. Sie werfen der Kanzlerin Euro-Populismus vor. Die lässt den Vorwurf zurückweisen.
Kanzlerin Merkel: "Das geht auf Dauer auch nicht zusammen"

Kanzlerin Merkel: "Das geht auf Dauer auch nicht zusammen"

Foto: Getty Images

Berlin - Das Frühlingsfest des CDU-Kreisverbandes Hochsauerland ist gemeinhin kein Termin, der in der weiten Welt Wellen schlägt. In diesem Jahr könnte das anders sein. Denn zu Gast war am Dienstagabend die Kanzlerin. Und Angela Merkel hat im nordrhein-westfälischen Meschede etwas gesagt, das es in sich hat. Zur Schuldenkrise in Europa. Und zur Rentenpolitik und den Urlaubsregelungen südeuropäischer Länder.

Es gehe nicht nur darum, keine Schulden zu machen, sagte Merkel. "Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen - das ist wichtig", wird Merkel von der Nachrichtenagentur dpa zitiert. "Wir können nicht einfach solidarisch sein, und sagen, diese Länder sollen mal einfach so weitermachen wie bisher", so die Kanzlerin. "Wir können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig. Das geht auf Dauer auch nicht zusammen."

Es sind heikle Sätze. Sie lesen sich wie eine Schelte an der Leistungsbereitschaft der Südeuropäer. Dass Merkel klare Bedingungen für mögliche neue Milliardenhilfen formuliert, ist nicht neu. Doch nun scheint sie den Ton noch einmal zu verschärfen - und löst damit prompt eine innenpolitische Debatte aus.

"Merkel schürt antieuropäische Ressentiments"

SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierte die Äußerungen scharf. "Frau Merkel setzt wieder einmal auf Populismus und Stimmungen statt auf sachliche Argumente", sagte Gabriel SPIEGEL ONLINE. "Es ist beschämend, dass Frau Merkel die europäische Idee ihrer Vorgänger von Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder so leichtfertig verspielt, nur um billigen Beifall vom Boulevard zu bekommen. Damit schürt sie antieuropäische Ressentiments, statt endlich Verantwortung für Europa als Ganzes zu übernehmen."

Gabriel warf Merkel vor, auf dem Rücken der griechischen Bevölkerung Stimmung zu machen. "Das Sparprogramm, das die griechische Regierung ihrer Bevölkerung zumutet, ist ohne Beispiel", so Gabriel. Es seien nicht Arbeitnehmer und Rentner in Griechenland für die Finanzkrise verantwortlich, sondern Spekulanten an den Börsen und große Investmentbanken. "Die aber will die Bundesregierung ungeschoren davonkommen lassen und blockiert die Einführung einer Finanztransaktionsteuer."

Aus der schwarz-gelben Koalition gab es ebenfalls eine Distanzierung. Der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler, der wiederholt Euro-kritische Töne angeschlagen hatte, sagte auf die Frage, ob er Merkels Äußerungen teile: "Nein, Europa lebt von seiner Vielfalt." Voraussetzung sei aber, dass jeder für sein Handeln selbst verantwortlich sei, im guten wie im schlechten. "Deshalb muss jedes Land für seine Schulden selbst einstehen", so der Bundestagsabgeordnete zu SPIEGEL ONLINE.

Die Grünen zeigen sich ob Merkels Südeuropa-Schelte entsetzt. Der Chef der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament, Daniel Cohn-Bendit, sagte SPIEGEL ONLINE: "Wenn man über soziale und ökonomische Konvergenz redet, dann sollte man alle plakativen Sprüche und Vorurteile an der der Garderobe abgeben." Merkels Darstellung nennt der Grünen-Politiker "absurd". Der Deutsch-Franzose sagt: "Natürlich arbeiten die Menschen in Südeuropa viel." Anstatt "auf billigen Beifall zu setzen", solle die Kanzlerin lieber konkrete Vorschläge machen.

Schuldenkrise für Merkel ein heikles Thema

"Kanzlerin Merkels Europapolitik besteht noch immer vor allem aus Marktplatzsprüchen bei Parteiveranstaltungen", sagte auch Grünen-Chef Cem Özdemir. "Ihr willkürliches Herauspicken einzelner Punkte hilft weder Ländern wie Griechenland, Portugal oder Spanien noch spiegelt sie die Wirklichkeit wider."

Özdemir kritisierte: "Statt solcher neunmalklugen Ratschläge an unsere europäischen Partner sollte sich die Kanzlerin lieber endlich für eine vernünftige und funktionsfähige Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik innerhalb der EU einsetzen." Und sein Parteifreund Cohn-Bendit sagt: "Soziale Konvergenz in Europa ist okay - aber dann müssen wir über Arbeitszeiten genauso reden wie über Rente, Urlaub und Mindestlohn."

Klar ist: Die Schuldenkrise ist für Angela Merkel ein schwieriges Thema. Griechenland hatte im vergangenen Jahr internationale Notkredite über insgesamt 110 Milliarden Euro zugesprochen bekommen, kann seinen Schuldenberg aber nicht abtragen. Dass das Land sich trotz milliardenschwerer Hilfspakete noch immer nicht stabilisiert hat, wird in Merkels Union und beim liberalen Koalitionspartner mit zunehmender Sorge gesehen. Denn: Es könnte schon bald eine neue Geldspritze fällig werden, auch aus Deutschland. Und das wird beim Wähler noch schwerer zu vermitteln sein als die erste Tranche.

Trotz aller Kritik an den Renten- und Urlaubsregelungen in Südeuropa - in Meschede deutete Merkel auch an, dass die Bundesregierung neue Milliardenhilfen mittragen könnte. "Natürlich wollen wir den Euro und natürlich wollen wir nicht, dass einer sozusagen Pleite macht und dann wir alle mitgezogen werden." Die Hilfe sei aber an Bedingungen geknüpft. "Ja, Deutschland hilft, aber Deutschland hilft nur dann, wenn sich die anderen anstrengen. Und das muss nachgewiesen werden."

Der Euro sei weiter stabil, betonte die Kanzlerin. "Aber die Wahrheit ist auch: Wenn wir nicht aufpassen, wird das in der Zukunft anders. Und deshalb müssen sich alle Staaten daran halten, dass solides Wirtschaften die Grundlage unseres Handelns ist."

Regierungssprecher Christoph Steegmans verteidigte die Äußerung Merkels am Mittwoch. Er verwies auf eine Beschlussfassung des europäischen Rats vom 24. und 25. März zur Harmonisierung der Wirtschafts- und Sozialsysteme in Europa. Die Äußerung der Kanzlerin habe deshalb Gültigkeit. "Das ist alles andere als Populismus, das ist ernsthaft", sagte Steegmans.

Mirarbeit: Severin Weiland
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