
Berliner Polit-Duell: Künast gegen Wowereit
Künasts Berlin-Option Grüne träumen von der Landesmutter
Berlin - , 54, macht Urlaub in der Holsteinischen Schweiz, wie seit vielen Sommern. Frische Luft, ein paar Bücher, viel Ruhe. Künast will in diesen Tagen Abstand zum Berliner Politikbetrieb.
Den wird sie brauchen - denn in den kommenden Monaten hat sie eine schwere Entscheidung zu treffen. Die Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion könnte im Herbst 2011 als Spitzenkandidatin bei der Berlin-Wahl antreten. Und ihre Chancen, -Bürgermeister das Rote Rathaus abzujagen, stünden nach Lage der Dinge nicht schlecht.
Die Grünen kommen einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge in der Hauptstadt wie die SPD auf 27 Prozent, weit vor der CDU mit 17 Prozent. Bei der Bürgermeisterfrage liegt Künast mit 40 Prozent sogar drei Prozentpunkte vor Wowereit. Erstaunliche Werte für eine virtuelle Kandidatin, sensationelle Werte für die Grünen, die nun erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik von einem Regierungschef-Posten träumen können, von einer Landesmutter grüner Couleur. "Wir sind auf Augenhöhe mit der SPD", sagt Fraktionschef Volker Ratzmann. Das müssten auch die Sozialdemokraten einsehen.
Seit ihr Name im Herbst ins Gespräch gebracht wurde, hat der Hype um Künast zugenommen. "Das hat sich verselbständigt", sagt der Medienberater und ehemalige "Bild am Sonntag"-Chefredakteur Michael Spreng. Sie kann eigentlich jetzt schon nicht mehr zurück, findet er: "Eine Absage wäre eine Niederlage."
Auch Bürgerliche setzen auf sie
Die frühere Verbraucherschutzministerin ist einerseits die beliebteste Grüne auf Bundesebene. Andererseits gehört Künast - geboren und aufgewachsen in Recklinghausen - zum politischen Inventar . Hier lebt sie seit mehr als drei Jahrzehnten, hier hat sie jahrelang die Abgeordnetenhausfraktion geführt, und hier ist dank ihr jetzt plötzlich von Grün-Rot oder Grün-Schwarz die Rede. Nicht mehr von einer Regierungsbeteiligung als Juniorpartner.
Die Berliner sind seit 20 Jahren in der Opposition, unterbrochen von einer halbjährigen Regierungsphase 2001. Die meisten Fraktionsmitglieder im Abgeordnetenhaus wollen unbedingt wieder regieren. Angeführt werden sie von den ehrgeizigen Vorsitzenden Ramona Pop und Ratzmann, und allen ist klar: 2011 könnten sie tatsächlich die stärkste politische Kraft in Berlin werden - aber nur mit einer Spitzenkandidatin Künast. Sie werben bei ihr.
Selbst Bürgermeister Wowereit gibt vor, sich auf Künast als Gegnerin zu freuen. Parteifreunde erklären das damit, dass er dann wenigstens wieder eine politische Herausforderung hätte. Wowereit, seit gut neun Jahren im Amt und seit 2006 Chef einer rot-roten Koalition, wirkt auffallend oft matt und lustlos.
Dass die seit dem Ende der Diepgen-Ära weitgehend bedeutungslose Berliner CDU in der Lage wäre, Wowereit abzulösen, glaubt in der Hauptstadtpolitik kaum noch jemand. Deshalb soll es nun auch aus Sicht vieler Bürgerlicher Künast richten - die einst eine sogenannte Regierungslinke war, inzwischen aber die Führungsfigur des Realo-Flügels ist und keine Berührungsängste zur Union hat.
Zwei Gründe zum Zaudern
Künasts Lager hat zur Kenntnis genommen, wie auffällig freundlich die Spitzengrüne in den vergangenen Monaten gerade von der "Bild"-Zeitung behandelt wurde. Hier ein Neujahrsempfangsfoto auf Seite 2 mit Friede Springer und Konzernchef Mathias Döpfner, dort ein freundliches Porträt, erst am Montag wurde Künast zur "Gewinnerin des Tages" ausgerufen.
Bleibt die Frage: Wieso hat sich Künast trotzdem noch nicht erklärt?
Erstens ist das Problem, wie sie mit ihrem jetzigen Amt umgehen soll. Selbst Realo-Grüne sind der Meinung, Künasts Berliner Spitzenkandidatur könne nur funktionieren, wenn sie als Fraktionschefin im Bundestag aufhöre. "Alles andere wäre heikel", sagt ein prominenter Realo. Andere Grüne behaupten genau das Gegenteil: Künast brauche als Spitzenkandidatin "jede Bühne". Medienberater Spreng rät zum Kompromiss- "Sie sollte als Fraktionschefin weitermachen - müsste sich aber für die Zeit nach der Abgeordnetenhauswahl eindeutig zu Berlin bekennen. Eine Kandidatin mit Rückfahrticket kommt bei den Leuten nicht an." Im schlimmsten Fall hieße das: Künast verliert die Wahl und sitzt auf der Oppositionsbank im Abgeordnetenhaus, wo ihre Politkarriere einst begann.
Zweitens ist da die Frage, welche Verlockungen die Bundespolitik für Künast bereit hält. Falls, ja falls die schwarz-gelbe Koalition in noch größere Schwierigkeiten gerät, könnte es Neuwahlen geben - und die Grünen hätten gute Chancen auf eine Regierungsbeteiligung. Künast wäre wieder Ministerin. Ebenfalls eine reizvolle Perspektive. Aber eine realistische?
Künast will sich frühestens im Herbst öffentlich erklären, heißt es - Umfragen hin oder her. Ohnehin ist eine alte Regel, dass von einer frühen Festlegung nur einer profitiert: der politische Gegner. In diesem Fall die SPD.
In Berlin gilt das schon deshalb, weil die Grünen noch einige programmatische Fragen zu klären haben. Zwar verspricht Fraktionschef Ratzmann selbstbewusst "ein Programm für die ganze Stadt" - aber inhaltlich sind die Berliner Grünen noch keine Volkspartei. Erst im November soll auf einem großen Parteitag ein entsprechendes Programm verabschiedet werden.
Vielleicht passt dieser Termin auch in Künasts persönliche Agenda.