Kunduz-Affäre Kanzleramt klagte über schlechte Unterrichtung
Berlin - Wer wusste was wann? Das ist eine der entscheidenden Fragen des Untersuchungsausschusses zur , der sich an diesem Mittwoch konstituiert. Dem Gremium steht eine monatelange Aufklärungsarbeit bevor, die Opposition hat mehr als 90 Beweisanträge gestellt, mindestens 40 Zeugen sollen gehört werden. Auch (CDU) soll aussagen - womöglich schon im Januar.
Das Kanzleramt streut schon mal vorab, dass es sich in den Tagen nach dem Luftangriff auf zwei Tanklaster bei Kunduz unzureichend informiert fühlte. Merkels Beamte sollen sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt über die schlechte Unterrichtung durch das Verteidigungsministerium beklagt haben. Wie die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf interne Dokumente berichtet, hatte die Kanzlerin keinen Zugang zum ersten Isaf-Bericht und zum Bericht des deutschen Kommandeurs, Oberst Georg Klein, als sie am 8. September - vier Tage nach dem Bombardement - eine Regierungserklärung zu dem Thema abgeben musste.
Dem Bericht zufolge waren die Papiere bereits am 6. September im Verteidigungsministerium eingetroffen, allerdings erst am 10. September an das Kanzleramt weitergeleitet worden. Aus dem ersten Bericht der Isaf, dem Initial Action Report (IAT), geht hervor, dass mit zivilen Opfern gerechnet werden müsse und es vermutlich Verstöße gegen die Einsatzregeln und die Verfahrensregeln der Nato gegeben habe. Klein beschreibt in seinem Statement, dass er sowohl die beiden Laster als auch die im Umfeld der Trucks "vernichten" wollte. Diese Informationen wären für die Bewertung von Bedeutung gewesen. Merkel hatte sich am 6. September und in der Regierungserklärung sehr zurückhaltend ausgedrückt, die Wahrscheinlichkeit aber einkalkuliert, dass es zivile Opfer und Regelverstöße gegeben haben könnte.
Dass Merkel vor der Regierungserklärung keine Kenntnis von dem Nato-Bericht hatte, der mittlerweile meist nur noch IAT-Bericht genannt wird, ist schon länger bekannt. Neu ist indes, dass sich das Kanzleramt der "SZ" zufolge in E-Mails beim Verteidigungsministerium über den Mangel an Informationen beschwert haben soll. Besonders Staatssekretär Peter Wichert, der inzwischen vom neuen Verteidigungsminister (CSU) entlassen wurde, schien Merkels Beamten Schwierigkeiten zu verursachen. In einer E-Mail sollen sie sich beklagt haben, dass dieser Berichte zurückhalte. "Hier sperrt sich Sts. W.", zitiert die Zeitung aus dem Schreiben. Erst auf nachdrückliche Aufforderung soll Wichert die Berichte weitergereicht haben. Die Ministerien sind allerdings nicht verpflichtet, dem Kanzleramt fachlich Bericht zu erstatten.
Auch wenn Merkel den sogenannten IAT-Bericht der Nato, der die Vorgänge in Kunduz bereits sehr detailreich beschreibt und zu dem Urteil kommt, dass es mit "sehr großer Wahrscheinlichkeit" zu vielen zivilen Opfern gekommen war, nicht vom Verteidigungsministerium bekommen hatte - die Untersuchungsergebnisse der Nato-Teams waren keinesfalls geheim.
Bereits am Sonntag, dem Tag der ersten Äußerung von Merkel, hatte die "Washington Post" umfangreich über die Ergebnisse der ersten Untersuchung berichtet. Ein Reporter der Zeitung war mit der Gruppe von Nato-Militärs in Kunduz unterwegs und hatte selbst an den ersten Gesprächen mit dem Kommandeur des deutschen Camps teilnehmen können.
Die Enthüllung der US-Zeitung war in Deutschland am Sonntag nach dem Angriff das bestimmende Thema und wurde in allen Einzelheiten zitiert. Über die hohe Wahrscheinlichkeit, dass es mindestens zwei Dutzend zivile Opfer gegeben hatte, berichtete die "Post" ebenso wie über die Tatsache, dass sich die Deutschen nur auf einen einzigen Informanten und recht unscharfe Bilder aus den Kameras der Kampfjets stützten, als sie den Bombenabwurf befahlen.
Selbst die deutsche Nachlässigkeit bei der Aufklärung des Vorfalls, für die es klare Regeln gibt, wurde in dem Artikel bereits erwähnt. Der Bericht sorgte unter deutschen Militärs wegen der Details für große Verstimmung.
Zwar ist laut "SZ" das Kanzleramt damals in einer internen Bewertung auf der Basis öffentlich zugänglicher Informationen zu einer eigenen Einschätzung gekommen - diese soll aber ebenfalls zurückhaltend gewesen sein. Warum, ist angesichts der hinlänglich beschriebenen Vorwürfe in der US-Presse, die tagelang die deutsche Nachrichtenlage beherrschten, nur schwer nachzuvollziehen. Wie dringlich das Kanzleramt anschließend alle vorliegenden Informationen beim Verteidigungsministerium anforderte, wird Merkel nach Ansicht der Opposition im Untersuchungsausschuss erklären müssen.