Kunduz-Ausschuss Generäle beschreiben Informationschaos bei der Bundeswehr

Bundeswehr im Kampfeinsatz in Afghanistan: "Schlechtes Bauchgefühl in der Sache"
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERSBerlin - Zwei hochrangige Generäle der haben vor dem Kunduz-Untersuchungsausschuss des Bundestags Vorwürfe zurückgewiesen, sie hätten Berichte über zivile Opfer bei dem Bombardement am 4. September geschönt und so das wahre Ausmaß des Angriffs verschleiert. Der Chef des Einsatzführungskommandos in Potsdam und der ehemalige Regionalkommandeur für Nordafghanistan behaupteten, die aktenkundige Veränderung einer Lagemeldung sei reine Routine gewesen.
Was die beide Militärs, General Jörg Vollmer und Generalleutnant Rainer Glatz, in ihren stundenlangen Aussagen bei der geheimen Sitzung skizzierten, illustrierte eindrücklich, welches Informationschaos beim gefährlichsten Einsatz der deutschen Armee herrschte. So kam zu Tage, dass taktische Einschätzungen sowohl von lokalen Kommandeuren und selbst die Analysen des Chefs der Einsatzzentrale der Bundeswehr in Deutschland nicht an die Spitze des Wehrressorts gelangen. Für solch wichtige Informationen ist offenbar auch kein Weg vorgesehen.
Im Kern ging es bei der Vernehmung der beiden Top-Militärs um den Tag nach dem von dem deutschen Oberst Georg Klein angeordneten Kunduz-Bombardement. Laut den geheimen Militärakten hatten Glatz und Vollmer die ersten Meldungen aus Kunduz, die ein Nachrichtenoffizier ins interne Netz der Nato gestellt hatte, geglättet. Vor allem die erwähnte Tötung von Zivilisten in der Meldung mit der Seriennummer 247, ein sogenannter INTSUM-Report, Nato-Abkürzung für "Intelligence Summery", schmeckte den Offizieren offenbar nicht. Nach mehreren Telefonaten zwischen den beiden wurde diese schließlich aus dem Netz genommen.
Bauchschmerzen wegen erwähnten Taliban-Führern
Was die Opposition als "organisierte Vertuschung" sieht, ist für Glatz und Vollmer schlichte Routine. Demnach stellten die beiden fest, dass der wichtige Bericht den Aussagen von Oberst Klein, mit dem beide gesprochen hatten, in zentralen Details widerspreche. Daraufhin habe Vollmer angewiesen, so die Aussagen, den Bericht für die Nato noch einmal selbst zu redigieren. In der zweiten Meldung waren die möglicherweise getöteten Zivilisten dann neben anderen Einzelheiten verschwunden.
brandgefährliche Afghanistan-Mission
Allgemein entstand vor dem Ausschuss der Eindruck, dass es bei der Bundeswehr für die keine klaren Regeln für die Informationsweitergabe gab und gibt. General Glatz berichtete beispielsweise, er habe bereits seit dem frühen Morgen des 4. September "das Bauchgefühl" gehabt, dass bei dem Angriff auch Zivilisten ums Leben gekommen seien. Dies will er auch mehrmals an den stellvertretenden Generalinspekteur und den Adjutanten von dessen Chef Wolfgang Schneiderhan weitergeleitet haben.
Keiner kam auf die Idee, den Minister zu informieren
Die Episode findet sich so auch in den Akten: In einer Video-Schalte mit dem Vize-Generalinspekteur Johann-Georg Dora, Konteradmiral Andreas Krause, Leiter des Einsatzführungsstabes, und Vizeadmiral Wolfram Kühn will Glatz die Kameraden auf den neuesten Stand gebracht haben. Am Ende sagte Glatz, dass er ein schlechtes Bauchgefühl in der Sache habe. So jedenfalls notiert es sich Glatz selbst in einem Vermerk zu dem Gespräch am 4. September.
"Zur Frage der zivilen Opfer wies ich auf meine Zweifel an der Darstellung des Kontingents hin, dass ausschließlich INS getötet worden seien, und mahnte zur Vorsicht an, da ich diese Darstellung für unwahrscheinlich hielt (Bauchgefühl). Das wurde anschließend auch diskutiert." Dass Glatz trotz seines schlechten Gefühls die Informationen über zivile Opfer löschen ließ, begründeten er und Vollmer nun damit, dass es eine Fürsorgepflicht gegenüber Klein gegeben habe. Solange Klein zivile Opfer ausschloss, so die Generäle, hätte im Netz nichts Gegenteiliges stehen dürfen.
Routine war das Manöver der Generäle nicht. Erst auf Nachfrage des Ausschusses bestätigte Glatz, dass INTSUM-Meldungen immer von Nachrichtenoffizieren geschrieben werden und keineswegs vom Kommandeur des Camps. Glatz gestand zudem ein, dass ihn neben der Erwähnung von zivilen Toten auch die Auflistung von vier möglicherweise durch die Bomben getöteten Taliban-Führern gestört habe. Dies, so erläuterte Glatz seine Bedenken, habe sich für ihn wie eine Rechtfertigung des Angriffs gelesen.
Wo die brisante Information über die zivilen Opfer in Deutschland versandete, konnte der Ausschuss nicht klären. Auch warum das Einsatzführungskommando am selben Tag eine fast stolze Pressemeldung herausgab, die reißerisch die Zahl der 56 angeblich getöteten Taliban präsentierte, konnte Glatz als Chef des wohl wichtigsten Stabs für die Auslandseinsätze nicht sagen. Das habe wohl jemand anderes entschieden. Er selbst habe kein Vorspracherecht beim Minister.
Guttenberg schaut genau auf den Ausschuss
General Glatz wirkt in der Rückschau wie ein korrekter Bürokrat, der sich durch Vermerke immer vor späterer Kritik zu schützen vermag. Seine Eignung für die Führungsposition als Chef aller Bundeswehr-Auslandsmissionen erscheint indes fraglich. Auch wenn es nicht explizit vorgeschrieben ist, hätte er sein Bauchgefühl möglicherweise direkter und weiter oben kommunizieren müssen. Dass er und Vollmer sich den ganzen Tag vor Oberst Klein stellten, ist zwar menschlich verständlich, wirkt für einen so hohen Offizier jedoch unprofessionell.
Minister Karl-Theodor zu Guttenberg
Die Mängel bei der Kommunikation, das aufgeblasene System von verschiedenen Stäben mit komplizierten Meldewegen werden auch von der neuen Ministeriumsspitze rund um genau beobachtet. Guttenberg weiß aus eigener Erfahrung, wie viel Zeit es manchmal braucht, wichtige Informationen vom Hindukusch auf den Tisch zu bekommen. Deshalb beobachtet er die jüngsten Erkenntnisse aus dem Ausschuss mit Interesse, organisatorische und personelle Veränderungen bei der Einsatzleitung sind nicht ausgeschlossen.
Warum die brisanten Informationen am 4. September nicht an die Ministeriumsspitze gelangten, wird der Ausschuss am kommenden Donnerstag hören. Dann kommt der ehemalige Generalinspekteur Schneiderhan als Zeuge - in öffentlicher Sitzung.