Kursdebatte SPD-Basis will mit Schröder-Ära abrechnen

In der SPD brodelt es. Vor dem November-Parteitag will die neue Spitze die Genossen mit einem sanftmütigen Leitantrag beruhigen. Doch Teile der Basis und prominente Linke werden zuvor auf einer eigenen Tagung mit den vergangenen Regierungsjahren abrechnen. Im Zentrum der Kritik: Ex-Kanzler Schröder.
Altkanzler Schröder: SPD-Markenkern beschädigt?

Altkanzler Schröder: SPD-Markenkern beschädigt?

Foto: Matthias Rietschel/ AP

Berlin - Es ist ein weitreichendes Papier: An diesem Montag hat der SPD-Vorstand einen Leitantrag für den Parteitag Mitte November beschlossen. Damit soll der Erneuerungsprozess der Sozialdemokratie beginnen. Die 24 Seiten sind ein Versuch, die Kursdebatte, die seit dem Desaster bei der Bundestagswahl in viele Richtungen läuft, einzufangen. Enthalten ist eine Kurzanalyse des Ergebnisses, ein weitgehend wohlwollender Rückblick auf die vergangenen elf Regierungsjahre - aber auch erste Überlegungen, wie sich die Partei neu auf- und ausrichten könnte.

Doch ob der Leitantrag den Parteitag tatsächlich befrieden kann, ist fraglich. Denn hinter den Kulissen brodelt es. Zwar reist die designierte Führungsspitze um Sigmar Gabriel und Andrea Nahles derzeit in voller Demut zu Bezirks- und Landesverbänden, um Konflikte vorab zu entschärfen. Doch an der Basis ist der Unmut groß. Die neue Führungsriege habe sich handstreichartig selbst ernannt und so den "undemokratischen" Stil der vergangenen elf Regierungsjahre kopiert, heißt es dort. Etliche Genossen vermissen zudem eine entschiedene Distanzierung der künftigen Führung von den umstrittenen Sozialreformen der vergangenen Jahre.

Dieser Kritik soll jetzt ein Ventil gegeben werden - nur eine Woche vor dem Parteitag: Auf einem sogenannten "Basis-Ratschlag" wollen die Kritiker am 8. November in Kassel reichlich Dampf ablassen.

Gerhard Schröder

Franz Müntefering

Es könnte eine Art Abrechnungskonferenz mit der Politik von Altkanzler und Noch-Parteichef werden. "Ein Jahrzehnt anhaltender Basta- und Abnick-Politik hat zu einem anhaltenden Niedergang der SPD geführt", heißt es in der Einladung. Ein "überfallartiger Ringtausch des Führungspersonals" habe gezeigt, dass entscheidende Teile der Partei nichts gelernt hätten. "Die Gesamtheit der Mitglieder braucht eine schonungslos offene Aussprache", so die Autoren. "Die Privatisierung der Partei durch einzelne Personen an der Spitze muss ebenso überwunden werden wie die Vorbestimmung ihrer Willensbildung über den Umweg der Medien und das Ausklammern elementarer strategischer Zukunftsfragen."

Scheer und Schreiner laden zu "Basis-Ratschlag" ein

Als Eintrittskarte zu dem "bundesweiten" Treffen ist das Parteibuch mitzubringen, organisiert wird es von Teilen der hessischen SPD-Basis, zu den Einladenden gehören prominente SPD-Linke wie die Bundestagsabgeordneten Ottmar Schreiner und Hermann Scheer. Als Gastredner sind etwa die ehemalige hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti und Rudolf Dreßler vorgesehen, einst führender Sozialexperte der Partei. Auch Ex-Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn steht mit einem Kurzvortrag auf der Einladung - sie sagte jedoch ab.

Bulmahn dürfte gewittert haben, wie heikel das Treffen ist, auch wenn die Initiatoren überwiegend altbekannte Kritiker sind, von denen sich nicht genau sagen lässt, wie viel Strahlkraft sie noch besitzen. Aber allein der Zeitpunkt kurz vor dem Parteitag dürfte von der neuen Führungscrew als Affront wahrgenommen werden.

Von bewusster Provokation will der Bundestagsabgeordnete Scheer jedoch nichts wissen. Er sieht das Treffen als Teil des nötigen Erneuerungsprozesses in der SPD. "Alle Debatten münden doch in den Parteitag, insofern kann der Parteitag ein solches Treffen doch gar nicht überflüssig machen", entgegnet er der Kritik. "Das Gefühl, was ein demokratischer Prozess ist, ist vielen in der Partei offensichtlich abhandengekommen", sagt er SPIEGEL ONLINE. "Wir können personell nicht einfach Bäumchen-wechsel-Dich spielen."

14 Thesen rechnen mit "Schröder-SPD" ab

Welche Richtung die Tagung nehmen könnte, deuten "14 Thesen zu Lage und Zukunft der SPD" an, die als Diskussionsgrundlage dienen sollen und die "Schröder-SPD" als Ursprung allen Übels brandmarken.

Peer Steinbrück

Frank-Walter Steinmeier

Olaf Scholz

"Eine ganze Führungsgeneration" - genannt werden Müntefering, der scheidende Finanzminister , der gescheiterte Kanzlerkandidat und der künftige Parteivize - stehe "vor den Scherben ihres eigenen neue Mitte- und großkoalitionären Kurses". Der "neoliberale Kurs" sei gescheitert, die "verheerend" einseitigen Arbeitsmarktreformen hätten den Markenkern der sozialen Gerechtigkeit "massiv beschädigt". Altkanzler Gerhard Schröder wird gleich an mehreren Stellen des Textes angegriffen. "Er und seine Freunde haben sich […] einer Ideologie bedient, die dummerweise mit der Programmatik der Sozialdemokratie inkompatibel ist."

Inzwischen sei die SPD zu einer "linksbürgerlichen Honoratiorenpartei" verkommen, in der die Führung "weitgehend abgekoppelt" agiere und Bundesparteitage auf eine "abgehobene, ganz auf Medienwirkung ausgerichtete Inszenierung" reduziere. "Hier wird tagsüber Geschlossenheit demonstriert und abends Karriere organisiert", heißt es in dem Papier.

Andrea Nahles

Gut möglich, dass es sich bei den "14 Thesen" auch in anderer Hinsicht um eine Art späte Rache handelt. Denn mitverfasst wurden sie von einem gewissen Stephan Grüger. Grüger unterlag 1995 im Kampf um den Vorsitz der Jungsozialisten nur knapp jener Frau, die auf dem Parteitag im November zur neuen SPD-Generalsekretärin gewählt werden soll: .

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