Kurt Waldheim gestorben Erst Mitläufer, dann einsamer Präsident
München - Das zentrale historische Verdienst des Kurt Waldheim für sein Land mag im Rückblick jene Affäre sein, die seine Kandidatur und sein Amtsantritt als österreichischer Bundespräsident 1986 ausgelöst haben. Die Alpenrepublik hatte sich davor zumeist als "erstes Opfer Hitlers" gesehen und gefühlt.
Die Enthüllungen über Waldheims Vergangenheit in der deutschen Wehrmacht auf dem Balkan, über seine Mitgliedschaften in NS-Studentenbund und Reiter-SA zwangen den Österreichern eine Debatte über ihre Verstrickungen ins Nazi-Regime auf.
Die Enkel fragten ihre Großväter, was sie getan, was sie gedacht und wo sie gewesen waren in den Jahren des Anschlusses an Hitlers Reich von 1938 bis 1945. Es war mit Verspätung jene schmerzhafte Selbstbefragung, die im Westen Deutschlands vor und während der Studentenrevolte in den Sechzigern eingesetzt hatte.
Für den Bundespräsidenten Kurt Waldheim waren es freilich harte Jahre im Amt. Schon bald galt er als "einsamer Mann" in der Wiener Hofburg, dem Präsidentensitz. Kaum ein Staatsoberhaupt oder Regierungschef wollte ihn besuchen, kaum eines oder einer wollte ihn empfangen. Als Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß anrief und Waldheim nach München einlud, sagte der schnell zu. Doch dann stellte sich heraus, dass der Mann am Telefon nicht Strauß sondern der Kabarettist Ottfried Fischer war. Eine Blamage für Waldheim.
Seine Wahl bescherte Österreich eine Art internationaler Isolierung - ange vor den EU-Sanktionen im Jahr 2000 bei Erstauflage der Koalition aus Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und Jörg Haiders Freiheitlichen (FPÖ) .
Am Ende war Kurt Waldheim froh, als es nach sechs Jahren vorbei war mit seiner Präsidentschaft und er die Hofburg 1992 endlich verlassen konnte. Bis zu seinem Tode stand er allerdings auf der "Watchlist" der Vereinigten Staaten, auf die ihn der US-Justizminister im April 1987 gesetzt hatte: Waldheim war damit die private Einreise in die USA versperrt.
Dort hatte er zuvor ein Jahrzehnt seines Lebens verbracht. Der Österreicher amtierte in zwei Amtszeiten von 1971 bis 1981 als Uno-Generalsekretär in New York. Schnell war der 1918 geborene Waldheim nach dem Krieg im diplomatischen Dienst seines Landes aufgestiegen. Zwischenzeitlich auch Außenminister, wurde der Parteilose in den sechziger Jahren als Botschafter zu den Vereinten Nationen geschickt. Über seine Zeit in der Wehrmacht sagte Waldheim damals nie viel, über seine Mitgliedschaften in NS-Organisationen gar nichts.
Nachdem er bereits 1976 erfolglos für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert hatte, das mit ähnlich repräsentativen Aufgaben wie in Deutschland versehen ist, aber in direkter Wahl vom Volk besetzt wird, stellte ihn die christsoziale ÖVP für die Wahl 1986 auf. Im Vorfeld aber recherchierte das Polit-Magazin "profil" Waldheims Vergangenheit, stieß auf die so genannte "Wehrstammkarte" des Präsidentschaftskandidaten: Waldheim war als Offizier der Wehrmacht auf dem Balkan, wo Kriegsverbrechern stattgefunden hatten. Kurz darauf kam seine Vergangenheit in SA und NS-Studentenbund zutage.
Waldheims erste Reaktion: Leugnen. Dann verteidigte er sich im Fernsehen: "Ich habe meine Pflicht erfüllt, so wie hunderttausende Österreicher auch. Es handelt sich um eine groß angelegte Verleumdungskampagne. Sie werden nichts finden. Wir waren anständig."
Kurt Waldheim war kein Kriegsverbrecher - was ihm von manchen fälschlicherweise unterstellt wurde - , eine Historikerkommission stellte dies später klar. Kurt Waldheim war ein Mitläufer. Fehlverhalten wollte er nicht einsehen - und sprach von "Pflicht". Genau dies machte die "Affäre Waldheim" eben erst zur Affäre.
Der Fall erinnert nicht wenig an jenen des jüngst verstorbenen, früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, dessen Vergangenheit als NS-Marinerichter in Kombination mit seinem ungeheuerlichen und fatalen Ausspruch ("Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein") in den siebziger Jahren seinen Rücktritt vom Amt des Stuttgarter Regierungschefs erzwang.
Hier wie da Uneinsichtigkeit. Doch während Filbinger sich bis zuletzt nicht kritisch mit dem Geschehenen auseinander setzen wollte oder konnte, erklärte Kurt Waldheim zumindest im vergangenen Jahr gegenüber der Tageszeitung "Kurier", es sei "notwendig, ja unverzichtbar, dass wir Österreicher uns von der reinen Opferrolle verabschiedet haben". Und: "Sicher würde ich manches Wort aus dem Wahljahr 1986 - vor allem das von der Pflichterfüllung - heute unmissverständlicher sagen."
Kurt Waldheim verstarb am Donnerstag im Alter von 88 Jahren.