Länder-Neuordnung Plädoyer für die starken Sechs
Deutschland hat 16 Hauptstädte, 17 Finanzminister und mehr als 100 Fahrbereitschaften der Ministerien. Denn in der Bundes-Republik ist jedes Bundes-Land ein kleiner Staat im Staate. Selbst winzige Verwaltungseinheiten wie Bremen oder das Saarland leisten sich eine komplette Administration. Exakt 137 Landesminister leiten Behörden von den Alpen bis zur Nordsee. Mehr als 1800 Landtagsabgeordnete kontrollieren ihre Arbeit. Doch damit nicht genug: In Dutzenden von Landesarchiven, Ämtern für Verfassungsschutz und anderen Behörden stehen zwei Millionen Menschen im öffentlichen Dienst der Länder.
Deutschlands föderale Struktur erscheint den meisten Bürgern ebenso natürlich wie selbstverständlich. Nur wenige fragen sich, wer diese aufgepumpte Bürokratie überhaupt braucht. Kaum jemand denkt daran, dass die Grenzen der Bundesländer auch anders gezogen werden können. Fast niemand führt sich vor Augen, dass zur Gründungszeit der Bundesrepublik die heutigen Ländergrenzen ohne Rücksicht auf regionale Zugehörigkeiten festgelegt wurden.
Die Grundidee des Föderalismus lautet: Was in der Gemeinde geregelt werden kann, das muss nicht das Land erledigen, und was das Land bewältigen kann, darüber muss die Bundesregierung nicht entscheiden. Doch die Wirklichkeit entspricht dieser Idee schon lange nicht mehr.
Die Situation ist paradox: Der Einfluss der Länder auf die Bundespolitik ist trotz Föderalismusreform I stark, denn zu viele Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Gleichzeitig werden die Länder in ihrer föderalen Autonomie eingeschränkt, weil sie zum Teil vom Bund finanziell abhängig sind. Bisher können arme Länder nur dann ihre Eigenständigkeit wahren, wenn sie neben dem Finanzausgleich Zuweisungen vom Bund erhalten. Der Bund befindet sich dadurch in einer natürlichen Allianz mit der Mehrheit der Länder und das sind die schwachen Länder.
Der Zuschnitt der Bundesländer und der Finanzausgleich sind somit zwei Seiten derselben Münze. Für ein reiches Land wird der Anreiz gedämpft, zusätzliche Steuereinnahmen anzustreben, wenn die Mehreinnamen durch den Finanzausgleich verloren gehen. Für die schwachen Länder gibt es andererseits wenig Grund, an ihrer Fremdversorgung etwas zu ändern.
Keiner wagt es, die Wurzel allen Übels zu benennen
Bundestag und Bundesrat beschließen heute den Start zur Föderalismusreform II. Alle sprechen von der "Reform der Finanzverfassung", doch keiner wagt es auch nur, die Wurzel allen Übels beim Namen zu nennen. Selbst wenn die Finanzbeziehungen ideal geregelt sind, bleibt eine Tatsache bestehen: Nur fünf Länder sind aus eigener Kraft überlebensfähig. Die anderen elf werden auch weiterhin ihr Dasein in abhängiger Unmündigkeit fristen.
Doch eine Lösung ist in greifbarer Nähe: Zum ersten Mal in der Geschichte des vereinten Deutschlands kann die Große Koalition mit der Zweidrittelmehrheit im Parlament den Artikel 29 des Grundgesetzes ändern: den Volksentscheid abschaffen, um das Bundesgebiet durch ein Bundesgesetz neu zu gliedern.
Schon in der Vergangenheit gab es immer wieder zaghafte Annäherungsversuche zwischen einzelnen Ländern. Berlin wollte mit Brandenburg zusammen gehen, Hamburg liebäugelte mit Schleswig-Holstein. Aber warum nur mit dem Nachbarn flirten, wenn man so leicht Sechs haben kann? Sechs ist die perfekte Zahl, wenn es um die Neugliederung geht. Der gewagteste Neuzuschnitt ist zugleich der vielversprechendste. Darin bleiben die drei größten Länder bestehen, alle anderen wachsen zu drei neuen Ländern zusammen.
Daraus ergibt sich:
Der Hansebund mit Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Hamburg, Niedersachsen (14,9 Millionen Einwohner)
Sachsen-Brandenburg mit Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt (12,7 Millionen Einwohner)
Mittelrhein-Thüringen mit Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen (13,6 Millionen Einwohner)
Nordrhein-Westfalen (18,1 Millionen Einwohner)
Baden-Württemberg (10,7 Millionen Einwohner)
Bayern (12,5 Millionen Einwohner)
Wie beim Euro: Nur wird alles billiger
Man stelle sich ein solches Deutschland vor! Es ist fast zu schön, um wahr zu werden: Starke, fast gleichgroße Länder sind entstanden, neue und alte Bundesländer verschmolzen, die Trennlinie zwischen Ost und West aufgehoben. Jedes Land hat dann nur eine Stimme im Bundesrat. Bei einem Patt entscheidet die Bevölkerungsmehrheit.
Eine solche Stimmengewichtung repräsentiert die Bundesländer und ihre Bürger weit gerechter und demokratischer, als dies heute der Fall ist. Ein Beispiel: Nordrhein-Westfalen ist nur doppelt so stark in der Länderkammer vertreten wie Bremen. Dadurch zählt die Stimme eines Bremers zwölfmal mehr als die eines Nordrhein-Westfalen.
Der Neuzuschnitt hat weniger Wahltermine zur Folge. Die deutsche Politik kann sich intensiver den langfristigen Aufgaben widmen. Der Länderfinanzausgleich wird ersatzlos gestrichen.
Unbegründet ist die Angst, dass die Bürger mit dem Neuzuschnitt ihre Identität verlieren. So wie heute Sauerländer in Nordrhein-Westfalen und Oberpfälzer in Bayern leben, werden künftig Hamburger im Hansebund und Anhaltiner in Sachsen-Brandenburg wohnen.
Emotional bleibt alles beim Alten. Finanziell wird vieles besser. Es ist wie beim Euro. Am Anfang wollte ihn keiner, doch bald hatten ihn alle gern. Mit einem einzigen Unterschied: Damals wurde alles scheinbar teurer, diesmal wird die Verwaltung tatsächlich billiger. Nur der Fahrdienst der Ministerpräsidenten wird jetzt für die Privatwirtschaft arbeiten.