Klage gegen Länderfinanzausgleich Bayern und Hessen entdecken die Schmerzgrenze

Bayerns Ministerpräsident Seehofer und sein hessischer Kollege Bouffier demonstrieren Stärke: Sie klagen gegen den Länderfinanzausgleich. "Ungerecht" finden sie die Zahlungen an die ärmeren Bundesländer. Neu ist die Beschwerde nicht. Wenn sie erklingt, weiß man: Es ist Wahlkampf.
Klage gegen Länderfinanzausgleich: Bayern und Hessen entdecken die Schmerzgrenze

Klage gegen Länderfinanzausgleich: Bayern und Hessen entdecken die Schmerzgrenze

Foto: Arne Dedert/ dpa

Die Ministerpräsidenten boten ohne viel Umschweife das erwartete Vokabular: "Unsolidarisch, ungerecht und leistungsfeindlich" sei der Länderfinanzausgleich, schimpfte Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU). Sein hessischer Kollege Volker Bouffier (CDU) legte flott noch einen drauf: "Irrsinn" und "schlicht unanständig" seien die jährlichen Zahlungen, die den Steuerzahlern seines Bundeslandes aufgebürdet würden.

Bouffier und Seehofer standen in Wiesbaden in einem schmucken Schloss des Landes Hessen am Ufer des Rheins und demonstrierten Einigkeit im Kampf gegen die Ungerechtigkeit. "Ein Akt politischer Notwehr" sei es, dass die beiden Länder jetzt gemeinsam beim Bundesverfassungsgericht gegen die Regelungen des Länderfinanzausgleichs klagen würden, sagte Bouffier.

Durch die Schlossfenster hindurch konnten er und Seehofer auf die andere Rheinseite sehen, nach Rheinland-Pfalz, wo die Nutznießer des Systems säßen: "Mit unserem Geld", so Bouffier, leisteten sich die Rheinland-Pfälzer und andere Bundesländer Wohltaten, die sich Hessen wegen seines defizitären Haushalts nicht mehr leisten könne: kostenlose Kindergärten zum Beispiel.

Das Murmeltier des Föderalismus

Die Klage ist alles andere als neu: Das hoch komplizierte Finanzausgleichssystem zwischen den Bundesländern ist so etwas wie eine politische Endlosschleife, ein mindestens jährlich grüßendes Murmeltier des Föderalismus. Länder mit hohen Steuereinnahmen müssen einen Teil ihrer Einnahmen an die ärmeren Regionen der Republik abgeben. Das macht niemand gerne, vor allem nicht, wenn es, wie derzeit, nur noch drei Zahlerländer gibt und 13 Empfänger profitieren.

Besonders hart trifft es Bayern, das derzeit rund die Hälfte der Einzahlungen allein stemmen muss: Fast vier Milliarden Euro waren es 2012, "annähernd zehn Prozent unseres Staatshaushalts", stöhnt Seehofer. Davon gingen 3,3 Milliarden nach Berlin, wo man sich sogar ein "Begrüßungsgeld" für Studenten leisten könne, um mehr Einwohner in die Stadt zu locken und dadurch künftig noch mehr Geld aus dem Länderfinanzausgleich an Land zu ziehen.

Weil sie dieses System, durchaus mit einiger Berechtigung, für renovierungsbedürftig halten, drohen die Zahlerländern Bayern, Baden-Württemberg und Hessen auch regelmäßig mit einer Klage - und manchmal wird sogar tatsächlich geklagt. Auffällig dabei ist nur, dass sich die permanente Aufgeregtheit immer dann in entschiedene Entschlossenheit zum Kampf gegen das System steigert, wenn in den Zahlerländern Landtagswahlen bevorstehen.

Großes Trara in Wahlkampfzeiten

Die ersten Gutachten, auf denen der aktuelle Anlauf zur Verfassungsbeschwerde aufbaut, wurden bereits 2010 mit großem öffentlichen Trara von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen in Auftrag gegeben. Anfang 2011, wenige Wochen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, tagten dann die Kabinette der drei Landesregierungen in der dortigen Landeshauptstadt Stuttgart, um machtvoll zu drohen, dass die Klage schon mal vorbereitet und sicher bald eingereicht werde.

Im Sommer vergangenen Jahres kündigte dann Seehofer an, dass die Klage jetzt aber wirklich kommen werde. Seinem Mitstreiter Bouffier erschien das damals allerdings noch etwas verfrüht. Man müsse vielleicht erst mal noch ein wenig verhandeln, meinte Bouffier. Damals war der Wahltermin in Hessen noch nicht festgelegt.

Inzwischen ist er es: Die Hessen werden ebenso wie die Bayern im Herbst dieses Jahres wählen. Und nun hat sich auch Bouffier festgelegt. Die Klage werde spätestens im März eingereicht. Dabei ist gerade für Hessen der Leidensdruck inzwischen sogar ein wenig gesunken: Anfang des Jahres legte das Bundesfinanzministerium Zahlen vor, nach denen Hessen im vergangenen Jahr mit 1,3 Milliarden Euro fast eine halbe Milliarde weniger zahlen musste als noch 2011. Die Banken in der hessischen Metropole Frankfurt haben offenbar weniger Steuern an die Finanzämter überwiesen. Für Bouffier ist das aber kein Grund, von der Klage abzulassen. Die "Schmerzgrenze" sei eben erreicht.

Solidarsystem unter Verfassungsrechtlern unbestritten

In Wahlkampfzeiten ist es einfach verlockend für einen Regierungschef, den Wählern erzählen zu können, was man sich alles leisten könne, wenn man kein Geld für den Finanzausgleich abführen müsse. Mehr Straßen vielleicht, mehr Lehrer, mehr Polizei. Aber das ist ungefähr so, wie es auch für jeden Berufstätigen sicherlich ziemlich angenehm wäre, wenn er keine Steuern zahlen müsste.

Denn dass es so etwas wie ein Solidarsystem zwischen den Ländern geben muss, bei dem die Reicheren für Ärmere geradestehen, um einigermaßen gleiche Lebensverhältnisse in der ganzen Republik zu erreichen, ist unter Verfassungsrechtlern ziemlich unbestritten. Nur ist es beim Länderfinanzausgleich nicht anders als im Einkommenssteuersystem: Die Frage, was am Ende gerecht ist und was eine unzumutbare Umverteilung, sorgt permanent für Streit.

Ende der neunziger Jahre waren Bayern und Baden-Württemberg deshalb schon einmal nach Karlsruhe gezogen. Das damals rot-grün regierte Hessen zog mit einer eigenen Klage nach - im Januar 1999, unmittelbar vor einer hessischen Landtagswahl.

Gelohnt hatte sich dieser Einsatz allerdings kaum. Der damalige hessische Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) wurde trotzdem abgewählt, und die Richter in Karlsruhe dachten gar nicht daran, das Ausgleichsgesetz für verfassungswidrig zu erklären. Sie hielten lediglich einige der auffälligsten Merkwürdigkeiten des Gesetzes für "überprüfungsbedürftig". Etwa die "Einwohnergewichtung", die auch heute wieder Gegenstand der Klage ist. Bewohner der Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen haben danach einen um 35 Prozent höheren Anspruch auf Geld aus dem Ausgleichstopf als etwa Hessen oder Rheinland-Pfalz. Dadurch begründet sich ein Großteil der Zahlungen nach Berlin.

Was Bouffier dem Gericht erklären muss

Allerdings gab das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung vom September 1999 den Schwarzen Peter gleich wieder an die Länder zurück: Es sei Sache des Gesetzgebers, sich zu einigen und das Ausgleichssystem verfassungsgemäß zu gestalten. Als es fast zwei Jahre später nach langen Verhandlungen zu einem Kompromiss zwischen den Ländern kam, blieb ausgerechnet die umstrittene Einwohnergewichtung zugunsten der Stadtstaaten unangetastet im Gesetz stehen.

Erstaunlicherweise erklärten damals aber gerade die Regierungschefs von Hessen und Bayern, Roland Koch (CDU) und Edmund Stoiber (CSU), die gefundene Neuregelung zu einem großen Erfolg für ihre Länder. Das sei ein "historischer Tag für den Föderalismus", pries Stoiber damals.

Bouffier gehörte der Regierung Kochs zu dieser Zeit als Innenminister an. Er wird sich nun von den Verfassungsrichtern fragen lassen müssen, warum er und seine Regierung damals ein Gesetz beklatschten, das sie heute für verfassungswidrig halten.

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