Lafontaine-Kritiker Wechselberg Wie die Linke sich selbst demontiert
Berlin - Mitten im Bundestagswahlkampf taumelt ausgerechnet die Linke. Gelähmt steht sie als bloße Protestpartei im gesellschaftlichen Abseits. Die Linkspartei fragt sich, warum die Finanz- und Wirtschaftskrise ihr nicht nützt. Aus der Debatte, wer die Republik zukünftig regiert, hat sich die Linke schon sehr frühzeitig verabschiedet und überlässt dies allein der SPD, den Grünen und dem bürgerlichen Block.
Nun sind Prozentpunkte und Mandate in Gefahr. Immer hektischer und unverantwortlicher agitiert Parteichef Oskar Lafontaine deshalb in diesen Wochen für einen Generalstreik und erhofft sich soziale Unruhe. Vertrauen der Bevölkerung in die Politikfähigkeit der Linken wird so nicht erzeugt: Gerade einmal zwei Prozent der Bundesbürger finden die Finanz- und Wirtschaftpolitik der Linken in Umfragen überzeugend.
Für mich ist dies nach vielen Jahren in PDS und Linke die logische Konsequenz einer gescheiterten Parteientwicklung. An deren Anfang steht eine frühe Enttäuschung: Vor der Fusion mit der WASG zur neuen Linken hat Lafontaine in der PDS die Erwartung geweckt, dass mit ihm ein relevanter Teil der SPD in das neue, gemeinsame Projekt eintritt. Fähige Leute aus der Sozialdemokratie sollten die Linkspartei politisch handlungsfähig machen. Schlechte Erfahrungen mit West-Sektierern hatte man ja schon genug gesammelt im Osten. Dachte die PDS. Immerhin hatte es für sie zu Regierungsbeteiligungen in zwei Bundesländern, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gereicht. Man wollte mehr. Diese Erwartung an die personelle Basis der neuen Partei aber konnte Lafontaine nicht erfüllen.
Die Linke als Heimat für Sektierer aus dem Westen
In personeller Hinsicht erwies sich die SPD als erstaunlich stabil und resistent. Diejenigen, die mit Lafontaine und der WASG in das gemeinsame Parteiprojekt eintraten, waren vielfach gerade keine pragmatischen SPD-Aktivisten, sondern alle Linkssektierer, die der Westen aufzubieten hatte und zahlreiche alte Gewerkschaftsfunktionäre. Nach jahrzehntelanger Demütigung durch die SPD traten sie mit der festen Absicht in die WASG ein, es politisch noch mal so richtig krachen zu lassen. Wie Lafontaine selbst auch. PDS und WASG schlossen dessen ungeachtet einen Fusionsvertrag, der der WASG dauerhaft die Hälfte der Delegiertenmandate in der neuen Partei sicherte. Die Realpolitiker im Osten gerieten so strukturell in die Minderheit auf Parteitagen. Auch Sahra Wagenknecht und die in der PDS weitgehend marginalisierte Kommunistische Plattform sowie Orthodoxe wie Hans Modrow erkannten ihre Chance zu neuen innerparteilichen Bündnissen und Mehrheiten. Und Lafontaine?
Von der Entwicklung der Linken bestürzte Realpolitiker fragen sich gelegentlich, wo eigentlich der SPD-Politiker Lafontaine verblieben ist, der einst echte Regierungsverantwortung als Ministerpräsident trug. Ein SPD-Bundesvorsitzender. Das ist zwar an der machtpolitischen Härte zu bemerken, mit der sich Lafontaine in den vergangenen zwei Jahren unangefochten an die Spitze von Partei und Fraktion stellte. Inhaltlich allerdings ist die politische Ausrichtung, die Lafontaine und die West-Akteure der neuen Linken verordnen fundamental oppositionell. Bereits den erneuten Regierungseintritt der Berliner PDS in eine zweite rot-rote Landesregierung versuchte Lafontaine vehement zu verhindern. Inhaltliche Kompromisse mit der SPD, so die neue Linie, schaden der politischen Glaubwürdigkeit der Linken und beeinträchtigen den Erfolg der Agitation. Lieber wird auf reale Einflussmöglichkeiten verzichtet.
Warum die Genossen zunehmend unter Druck geraten
Maximalforderungen werden erhoben: "Hartz IV muss weg", die "Nato gehört aufgelöst", "die Reichen sind zu enteignen", usw. Das ist "ultralinks" und nimmt der Linken objektiv jede politische Bündnisfähigkeit. Verhandeln kann man solche Positionen mit Grünen und SPD jedenfalls nicht. Lafontaine und die Ex-WASG sehen in der SPD erklärtermaßen keinen politischen und strategischen Bündnispartner, ohne den eine Mehrheit jenseits von Union und FDP nun mal nicht erreicht werden kann, sondern den politischen Hauptfeind der Linken, den es restlos fertigzumachen gilt. Anfänglich lief das auch ganz gut. Mit verschärfter Anti-Hartz-IV-Agitation etablierte sich die Linke stabil um zehn Prozent. Das hat Lafontaine erreicht.
Und nun? Eine finale politische Kapitulation der SPD ist nicht zu erwarten. Jetzt kommt die Linke unter Druck, denn was sagt man den Bürgern und Wählern, die sich in der Krise existentiell bedroht sehen und die echte Antworten und Konzepte wollen sowie eine politische Strategie zu deren Umsetzung? "Abwarten", bis die Linke in der Republik absolute Mehrheiten bei Wahlen erlangt hat. Das ist eine intellektuelle und politische Zumutung, und die Bürger merken so etwas.
Wie macht man "glaubwürdig 'links'" politische Kompromisse mit einer dämonisierten SPD? Gar nicht. Aus diesem Grund steht die Linke im Abseits und dort kommt sie auch nicht raus, denn die Geister, die sie rief, wird sie nicht mehr los. Die Partei müsste grundsätzlich umsteuern. Jetzt. Sie müsste in wenigen Wochen belastbare Fachkonzepte entwickeln, ihre Forderungen abrüsten und die zahllosen Sektierer kaltstellen, die sich auf ihren Wahllisten tummeln. Das ist nicht denkbar.
Zu Kompromissen ist die Partei nicht in der Lage
Auf dem Wahlparteitag zur Aufstellung der Europaliste vor wenigen Wochen in Essen wurden die Mehrheitsverhältnisse in der Linken nachdrücklich sichtbar. Dem realpolitischen Ost-Zentrum steht eine stabile Zweidrittel-Mehrheit von Antikapitalisten, Kommunistischer Plattform und frustrierten Ex-SPD-Mitglieder und Alt-Gewerkschaftlern um Lafontaine gegenüber. Pro-Europäische Realos wie André Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann hatten nicht den Hauch einer Chance. Die Fundis bestimmen entschlossen die politische Gesamtausrichtung der Linken und das wird auch so bleiben. Ganz sicher in der neuen Bundestagsfraktion ab September. Dutzendfach ziehen dort - beispielsweise über die von der antikapitalistischen Linken komplett dominierte NRW-Landesliste - Hardcore-Sozialrevolutionäre ein. Mit denen ist linke Reformpolitik nicht zu machen. In den kommenden vier Jahren steht dieser Partei unausweichlich ein zermürbender Abnutzungskampf zwischen Fundis und Realos bevor. Keine gute Botschaft für diejenigen Wähler, die sich von der Linken professionelle Antworten auf ihre Probleme und Lebenslagen erhoffen.
Das realpolitische Lager ist bereits unter enormen Druck von Lafontaine und den neuen politischen Mehrheiten geraten. Um der "Glaubwürdigkeit der Linken" willen wurde den Berliner Genossen in den letzten Monaten die Unterordnung unter die ideologischen Maßgaben der Bundespartei abgezwungen. Aus diesem Grund verweigerte die Berliner Linke die Zustimmung zum EU-Reformvertrag, lehnte die Erbschaftsteuerreform ab und musste gegen Klaus Wowereit die Ablehnung des Konjunkturpakets II durchsetzen. An diesen politischen Vorhaben ist Kritik von links jeweils berechtigt. Aber was ist davon zu halten, wenn die Linke über Monate eine andere Konjunkturpolitik einfordert, um sie in Bausch und Bogen zu verdammen, wenn entsprechende Pakete endlich kommen? Und ist es nicht besser, einer mangelhaften Erbschaftsteuerreform zuzustimmen, als zuzulassen, dass es gar keine Erbschaftsbesteuerung mehr gibt? Kann man nicht den EU-Verfassungsvertrag von links kritisieren und dennoch Verbesserungen begrüßen und ermöglichen?
Die Linke unter Lafontaine kann das nicht. Sie ist zu Kompromissen nicht in der Lage. Sie kann diese auch nicht erklären. Sie vermag prinzipiell nicht den Widerspruch zwischen den bestehenden gesellschaftlichen Mehrheitsverhältnissen und ihren eigenen politischen Maximalforderungen auszuhalten oder zu überbrücken. Sie scheitert nachdrücklich an ihrer gesellschaftspolitischen Aufgabe - und an sich selbst. In der tiefsten Wirtschaftskrise seit 1929 ist es ein untragbarer Zustand, wenn die Linke handlungsunfähig in der Ecke steht. Und die Zeit läuft ab. Zum Selbstzweck wird die Linke nicht gebraucht.