Sebastian Fischer

Die Lage: Superwahljahr 2021 Wer hat Angst vor der Impfpflicht?

Sebastian Fischer
Von Sebastian Fischer, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute beschäftigen wir uns mit dem Versuch des Unionskanzlerkandidaten, wieder im Wahlkampf mitzumischen. Wir schauen nach Sachsen-Anhalt und auf ein neues, altes Koalitionsmodell, stellen die Frage nach der Impfpflicht – und rätseln über einen CDU-Abgeordneten mit großem Hammer.

Laschet boxt

Es ist jetzt knapp zwei Wochen her, dass Markus Söder seinem mit der Flutkatastrophe beschäftigten Konkurrenten aka Kanzlerkandidaten im SPIEGEL-Interview wünschte, »bald auch wieder die Kraft« zu finden, »über wichtige nationale und internationale Herausforderungen zu sprechen«.

Im Klartext: Hallo Kandidat, aufwachen, bitte mal wieder wahlkämpfen!

An diesem Mittwoch nun hat sich Armin Laschet zurückgemeldet. Zum Auftakt seiner Wahlkampftour besuchte der CDU-Chef ein Jugend-Boxcamp in Frankfurt am Main. Der Boxtermin ist ein Klassiker politischer Metaphorik. Die Boxhandschuhindustrie beliefert vornehmlich Politikerinnen und Politiker in aller Welt, die sich auf Parteitagen und in Wahlkämpfen solche Handschuhe schenken oder überziehen lassen, um klarzumachen, dass sie wirklich zum Kampf entschlossen sind, sich nicht unterkriegen lassen, nicht aufgeben …

Na gut, es gibt jetzt also auch solch ein Boxfoto mit Laschet: wie er mit Brille und Lächeln im Gesicht, Boxhandschuhen an den Händen, einen Trainer touchiert. »Die CDU wird in diesem Wahlkampf kämpfen«, kündigte er an. Nun denn.

Das werden sie in den Unionsparteien mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen, auch wenn die Formulierung im Futur rund sechs Wochen vor der Bundestagswahl den einen oder die andere irritieren könnte. Wohl kein Unionskanzlerkandidat zuvor hatte so kurz vor der Wahl so schlechte Werte, Laschet hat die Union in den Umfragen mit sich heruntergezogen.

Vor dem Hintergrund der doppelten Krisensituation, in der sich dieses Land mit Corona und dem Klimawandel befindet, ist es doch überraschend, dass weder Annalena Baerbock, noch Olaf Scholz oder Armin Laschet einen mutigen Change-Wahlkampf führen, sondern sich entweder irgendwie durchwursteln wollen (Laschet), auf den Sie-kennen-mich-Effekt setzen (Scholz) oder vor lauter Vorsicht nicht mehr in die Offensive kommen (Baerbock). Wenn Laschet noch Kanzler wird, dann nur, weil er es mit zwei ähnlich schwachen Gegnern zu tun hatte.

Deutschland oder Belgien? Hauptsache Koalition!

Meine Kollegin Melanie Amann hat an dieser Stelle zuletzt von Hui Buh, dem Gespenst der Deutschlandkoalition geschrieben. Doch während Hui Buh gut 500 Jahre der Vergessenheit anheimgefallen war, feiert das schwarz-rot-gelbe Bündnismodell in dieser Woche nach nur sechs Jahrzehnten seine Rückkehr auf die politische Bühne. Erstmals seit den Fünfzigern wollen in einem Bundesland CDU, SPD und FDP wieder miteinander koalieren: in Sachsen-Anhalt.

Zwar hätte Ministerpräsident Reiner Haseloff mit seiner schier übermächtigen Christenunion (37,1 Prozent) und der SPD (8,4 Prozent) allein eine äußerst knappe Mehrheit, aber schon in der bisherigen Keniakoalition liebäugelte mancher Schwarzer mit einem Seitensprung nach Rechtsaußen zur AfD. Wohl weil er sich auf diese schwarz-blauen Gesellen nicht verlassen will, hat Haseloff jetzt den gelben Puffer eingebaut: die FDP als Mehrheitsbeschaffer.

Und was heißt das für den Bund? FDP-Chef Christian Lindner freute sich über »eine neue Variante einer Regierungsbildung, die man vielleicht öfter sehen wird«. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte sich schon zuvor als Freund der eigentlich ja belgischen Farbkombination gezeigt: »Eine Deutschlandkoalition hätte Charme«, sagte er dem SPIEGEL. »Schon deshalb, weil es eine Regierungsoption ohne Beteiligung der Grünen wäre.«

Nur für die SPD ist das alles nicht so schön. Die ungeliebte Große Koalition plus FDP? Die meisten Sozialdemokraten können sich Schöneres denken. Die Ampel unter einem Kanzler Olaf Scholz zum Beispiel. Da wäre die FDP dann allerdings ein äußerst willkommener Partner.

Die Impfpflicht und der Wahlkampf

Haben Sie sie auch so vermisst? Diese Woche war endlich wieder Em-Pe-Ka: Ministerpräsidentenkonferenz. Kanzlerin und MPs haben sich darauf verständigt, den Ungeimpften unter uns das Leben (ein klein bisschen) schwerer zu machen: Ab 23. August gelten strengere Testpflichten im Alltag, ab 11. Oktober (erst nach der Bundestagswahl, Zwinkersmiley) müssen Impfskeptiker für ihre Tests selbst zahlen.

Wird das neuen Schwung in die über den Sommer erlahmte Impfkampagne bringen? Ich fürchte, es reicht nicht. Dabei gibt es womöglich gar nicht so viele Impfskeptiker in Deutschland, wie das manche Politiker anzunehmen scheinen. Verbreitet dagegen scheint mir trotz eineinhalb Jahren tödlicher, zehrender, nervender Pandemie Lethargie und Desinteresse. Da ist dann schon der Weg zum nächsten Impfzentrum eine Herausforderung. Ausgenommen sind selbstverständlich jene Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können – und die Kinder.

Was tun? Die Angebote vor Ort und den Druck erhöhen. Es muss nicht gleich eine klassische Impfpflicht sein – wie sie in Westdeutschland über viele Jahre für die Immunisierung gegen Pocken galt und in der DDR darüber hinaus gegen Kinderlähmung, Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Tuberkulose und Masern.

Aber eine Regelung analog zum seit letztem Jahr geltenden Masernschutzgesetz sollte doch drin sein: Wer an bestimmten Veranstaltungen teilnehmen will, der muss geimpft (oder genesen) sein. Für diese sogenannte 2G-Regel hat unter anderem CSU-Chef Markus Söder gekämpft, sich aber letztlich dem Unionskanzlerkandidaten Laschet geschlagen gegeben, der wie andere auf 3G beharrte: Geimpft, genesen oder getestet – und die Party kann beginnen.

Es macht politisch aber wenig Sinn, wenn es nicht ausreichend Anreize gibt, die Impfquote dramatisch zu erhöhen. Denn nur dann kann diese Gesellschaft endlich wieder unbeschwert mit allen Freiheiten leben. Dass Armin Laschet die Lethargie vieler Ungeimpfter mit einer bewussten Entscheidung im Sinne persönlicher Freiheit verwechselt und diese vermeintliche Entscheidung damit indirekt höher ansiedelt als die Rückkehr einer ganzen Gesellschaft zur Normalität, das ist verstörend.

In seinen Worten: »Ich halte nichts von Impfpflicht und halte auch nichts davon, auf Menschen indirekt Druck zu machen, dass sie sich impfen lassen sollen.« Die Unionsanhänger übrigens halten eine ganze Menge davon, im Sinne der Freiheit für alle mehr Druck auf die Ungeimpften zu machen. Eine deutliche Mehrheit spricht sich sogar für eine Impfpflicht aus.

Ein besonderes Schmankerl hat die MPK dann noch für die Gläubigen unter uns. Für Gottesdienste nämlich gilt nicht mal Laschets laue 3G-Regel, sondern die 3N-Ausnahme: Nicht geimpft, nicht genesen, nicht getestet – in der Kirche ist das alles erlaubt. Und kein Widerspruch von den sozialdemokratischen Regierungschefinnen und -chefs. Wie hieß es noch im alten SPD-Schlager? »Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.«

Was ist los in der Republik 21?

DER SPIEGEL

Mein Kollege Marius Mestermann hat sich mit einem oft unterschätzten Politikbereich beschäftigt: der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Deutschland betreibt ein internationales Netzwerk, das die Bundesrepublik gut dastehen lassen und für kulturellen Austausch sorgen soll. Eine zentrale Rolle spielen die Goethe-Institute. Wie dabei »sanfte Macht« ausgeübt wird und welche strategischen Interessen dahinterstecken, hören Sie ab Donnerstagmorgen hier im Stimmenfang-Podcast – unter anderem mit der verantwortlichen Staatsministerin Michelle Müntefering.

Das sagen die Umfragen

Keine guten Nachrichten für die Unionsparteien. In der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für den SPIEGEL setzt sich der langsame Sinkflug fort: Nur noch 24 Prozent geben an, CDU oder CSU wählen zu wollen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. Die SPD hingegen nähert sich langsam den Grünen an, die FDP bleibt stark bei 12 Prozent.

Somit wären folgende Bündniskonstellationen rechnerisch denkbar: Eine Deutschlandkoalition käme auf eine klare Mehrheit, genauso wie ein Jamaikabündnis sowie eine Ampelkonstellation. Für Schwarz-Grün, Grün-Rot-Rot oder eine sogenannte Große Koalition hingegen reichte es nicht. Bitter für Armin Laschet: 70 Prozent der eigenen Anhänger bejahen die Frage, ob ihn CSU-Chef Söder als Kanzlerkandidat ersetzen sollte.

Social-Media-Moment der Woche

Was ist denn da los, Jan-Marco Luczak?

Zu Wochenbeginn postete der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Luczak – »motiviert bis unter die Haarspitzen« (Eigenwerbung) – einen Videoschnipsel von sich und seinem Wahlplakat. Auf dem Plakat guckt ein Hund den Abgeordneten an, und obendrüber steht was mit Klima und Verantwortung. Und vorm Plakat steht jetzt der echte Herr Luczak mit einem großen Hammer, mit dem er sodann freudig zweimal schwungvoll den ungemähten Rasen malträtiert.

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Ich habe mir die Sequenz mit wachsender Begeisterung angeguckt und stelle mir vor, wie der Abgeordnete Luczak vor seinem Plakat einen Vorschlaghammer gefunden hat, den da jemand vom Aufbau hat liegen lassen. Und wie dann der Abgeordnete Luczak zu seinem Mitarbeiter mit der Handykamera sagt: Komm, mach ma kleines Video, ich beim Aufbau hier, mit Hammer, Fortschritt, Klima, Verantwortung, Daumen hoch, weißt schon.

Und der Mitarbeiter sagt: Jan-Marco, mach ma Hammer-Bewegung. Also drischt der Abgeordnete Luczak auf den grünen Rasen ein, weil das Plakat ja schon steht und da nix mehr zu hämmern ist. Jan-Marco, dit war cool, sagt der Mitarbeiter.

Und so kam das Hammervideo ins Netz.

Es kann aber auch ganz anders gewesen sein.

Wahlkreis der Woche: #96

Letztes Wochenende war ich auf einer Hochzeit im Rheinland, auf der viele Amerikaner zu Gast waren. Während einer Schifffahrt auf dem Rhein glitten wir an Bonn vorbei. »The former capital of Germany?«, fragten die Amerikaner – und suchten eine Art Hauptstadt am Rheinufer. Doch sahen sie nur ein geducktes pavillonartiges Gebäude, das Pumpenhaus eines Wasserwerks, ein Hochhaus und zwischen den Bäumen versteckt eine weiße Villa. »That’s it?« – Ja, das war's. Villa Hammerschmidt, Bundestag, Abgeordnetenhochhaus.

Das politische Mobiliar der alten Bundesrepublik wirkt wie aus einer Puppenstube im Vergleich zu dem der Berliner Republik. Nicht so das Personal im Wahlkreis Bonn. Dort kandidierte bis 1965 the chancellor himself und gewann stets das Direktmandat: Konrad Adenauer.

Heute ist der Weg zur Arbeit für den direkt gewählten Abgeordneten weiter, seit 2002 darf der Sozialdemokrat Ulrich Kelber nach Berlin reisen. Weil er aber vor knapp drei Jahren zum Bundesdatenschutzbeauftragten gewählt wurde, legte Kelber sein Mandat nieder und überlässt die Direktkandidatur 2021 Jessica Rosenthal. Die wiederum ist Juso-Chefin, Nachfolgerin von Kevin Kühnert.

Bonn war zudem über viele Jahre der Wahlkreis des verstorbenen früheren FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, nun tritt dort Alexander Graf Lambsdorff an. Die frühere Grünenabgeordnete Katja Dörner holte als Direktkandidatin bei der Wahl 2017 in Bonn zwar nur 6 Prozent, nur drei Jahre später aber wurde sie zur Oberbürgermeisterin der Stadt gewählt. So kann's gehen.

Die Storys der Woche

Diese politisch relevanten Geschichten aus unserem Hauptstadtbüro möchte ich Ihnen besonders empfehlen:

Herzlich,

Ihr Sebastian Fischer

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