Flüchtlingsdrama vor Lampedusa Europa trauert, Europa mauert
Es ist ein ungeheures Drama, das sich vor der Küste von Lampedusa abgespielt hat. Bislang sind mindestens 111 Tote geborgen, darunter zahlreiche Kinder. Rund 200 Menschen werden noch vermisst, ihre Überlebenschancen gelten als winzig. Vielleicht setzt die Tragödie nun eine Diskussion in Gang, inklusive unangenehmer Fragen.
Eine davon lautet: Was kann rasch getan werden, um eine ähnliche Tragödie in der Zukunft zumindest unwahrscheinlicher werden zu lassen? Das Unglück vor der italienischen Mittelmeerinsel war schließlich bereits das zweite dieser Art binnen einer Woche - am Montag waren vor Siziliens Küste 13 Flüchtlinge beim Versuch, ans Ufer zu schwimmen, ertrunken. Von bis zu tausend toten Migranten in diesem Jahr gehen die italienischen Behörden aus.
Gute Ansätze aus Brüssel
Und deren Strom wird nicht so bald abreißen: Derzeit sind wegen des günstigen Wetters besonders viele Flüchtlinge aus Afrika auf dem Weg nach Europa. Sie kommen auch, weil der Arabische Frühling in Ländern wie Tunesien oder Ägypten rasch abgeklungen ist und in Somalia und Eritrea das staatliche Chaos wächst. In Libyen lässt die unübersichtliche Lage seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi den Schleuserbanden weitgehend freie Hand.

Gesunkenes Boot: Flüchtlingsdrama vor Lampedusa
EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström schlägt nun Folgendes vor:
- Im Dezember soll das Europäische Grenzkontrollsystem (Eurosur) starten, das kleine Boote - wie sie Migranten oft benutzen - leicht aufspüren und aus Seenot befreien kann. Das System soll allen Mitgliedstaaten zugutekommen: durch Datentransfer und gemeinsame Ortungssysteme.
- Und dann gibt es noch die Idee der "Mobilitätspartnerschaften", die die Europäische Union etwa mit Marokko bereits geschlossen hat und die für andere Länder Nordafrikas laut Malmström ebenfalls denkbar wären. Diese Abkommen sind auf Zusammenarbeit angelegt: Drittländer müssen beim Kampf gegen Menschenschmuggel mitmachen und illegale Migranten verpflichtend wieder aufnehmen - im Gegenzug sollen ihre Bewohner leichter Visa und mehr Infos über Arbeitsmöglichkeiten in Europa erhalten können.
Deutschland verweist auf die "Drittstaaten-Regelung"
Die Ansätze klingen gut, doch das Kernproblem der EU lösen sie nicht. In Lampedusa strandeten seit 1999 rund 200.000 Flüchtlinge aus Asien und Afrika, allein in diesem Jahr 22.000.
Europas Rezept hieß bislang: Abschottung. Die Zahl der Asylanträge innerhalb der EU fiel zwischen 1992 und 2007 von 460.000 auf nur noch 220.000. Dies geschah, weil die besonders betroffenen Staaten im Süden zweifelhafte Deals mit Diktatoren wie Gaddafi schlossen, um sich Flüchtlinge vom Leib zu halten.
Ein Grund ist aber auch, dass Länder wie Deutschland sich verweigern - indem sie auf die "Drittstaaten-Regelung" verweisen, die so bürokratisch ist, wie sie sich anhört. Ein Asylbewerber muss in dem EU-Mitgliedsland, dessen Boden er zuerst betritt, auch seinen Antrag auf Asyl stellen. Das heißt: Selbst wenn ein Flüchtling Anrecht auf Bleibe hätte, aber Deutschland nur über andere EU-Länder wie Italien, Spanien oder Griechenland erreicht hat, wird sein Antrag nicht einmal geprüft. Er muss wieder zurück.
"Rückreise ist die einzige Option"
Auf dieser Regelung ruht sich Deutschland aus, egal wie groß das Leid ist. Erst nach anderthalb Jahren Dauerdiskussion war Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich endlich bereit, wenigstens 5000 syrische Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen - und dann auch nur unter strengen Bedingungen. Die Türkei muss derweil mit Hunderttausenden syrischer Flüchtlinge klarkommen.
Und als im Sommer in Hamburg rund 300 libyschstämmige Flüchtlinge auftauchten, die offenbar von Italien mit temporären Schengenvisa weitergeschickt worden waren, weil das Land des Ansturms nicht mehr Herr wurde, urteilte der Hamburgische Sozialsenator Detlef Scheele umgehend: "Rückreise ist die einzige Option."
Deutschland argumentiert gerne mit Fairness, wenn es um Geld geht, etwa bei der Euro-Rettung. Europa sei ein Raum des Rechts, in dem faire Lastenverteilung gelten müsse, heißt es dann. Diese Prinzipien sollten gerade gelten, wenn es um Menschen geht. Das sieht offenbar auch Bundespräsident Joachim Gauck so. Er fand in Berlin deutliche Worte: "Zufluchtsuchende sind Menschen und - die gestrige Tragödie zeigt das - besonders verletzliche Menschen. Sie bedürfen des Schutzes. Wegzuschauen und sie hineinsegeln zu lassen in einen vorhersehbaren Tod, missachtet unsere europäischen Werte."