Landrat in Elternzeit Der Wickelvolontär der CSU
Hamburg/München - Die kleine Maike ist ein echter Nachzügler. Die ältesten Schwestern des vier Monate alten Babys sind Zwillinge und schon 17 Jahre alt. Und wie das bei Nesthäkchen häufig vorkommt, ist sie der besondere Augenstern der Familie. So besonders, dass im konservativen bayerischen Donauwörth eine kleine Revolution passiert: Maikes Papa geht in Elternzeit.
Und Maikes Papa ist hier nicht irgendwer - er heißt Stefan Rößle und ist CSU-Politiker, Landrat von Donau-Ries und als Chef der kommunalpolitischen Vereinigung Vertreter von 15.000 Kommunalpolitikern seiner Partei.
Der Mann hat also beruflich gut zu tun. Im normalen Alltag kann der 44-Jährige seiner Frau mit den jetzt fünf Kindern zu Hause fast gar nicht helfen. "Sie muss sogar den Rasen mähen." Und weil er eigentlich nie Zeit hat, plant er nun, einmal für ein paar Wochen richtig viel Zeit für die Familie zu haben. Im März und April des kommenden Jahres bleibt er daheim. "Meine Frau freut sich sehr darauf." Sicher auch deshalb, weil sie dann für ein paar Tage mit Freundinnen in Urlaub fährt.
"Wissen Sie", begründet der Christsoziale die Entscheidung, "wir haben kürzlich ein Bündnis für Familien ins Leben gerufen. Kurz vor der Vorstellung des Projekts habe ich mir gedacht, vielleicht kann man als Landrat auch mal ein Zeichen setzen."
Und das tut er - weit über seinen Landkreis hinaus: Rößle ist der erste Landrat bundesweit, der für eine Weile Schreibtisch und Computer gegen Krabbeldecke und Gläschenwärmer tauschen wird. In den zwei Monaten muss die Familie mit 1800 Euro Elterngeld hinkommen.
Die Entscheidung für die Elternzeit verkündete er vor dem Kommunalparlament - und erhielt dafür euphorische Zurufe und Applaus von den Abgeordneten der links-ökologischen Frauenliste. Die CSU-Leute blieben erstmal stumm, waren völlig perplex.
Lob für CSU-Mann Rößle also von ungewohnter Seite. Grünen-Chefin Claudia Roth schloss sich auf Fragen von SPIEGEL ONLINE an: "Es ist ein großer Fortschritt, dass nun quer durch alle Berufsgruppen und quer durch alle Parteien Männer Elternzeit nehmen und sich ihren Kindern mehr als nur am Feierabend widmen." Und Bayerns stellvertretende SPD-Vorsitzende Adelheid Rupp assistiert: "Ich finde das prima." Allerdings sei Rößle "ein Einzelfall in der CSU".
"Das geht aber nicht"
Der Landrat selbst berichtet, dass die Überraschung in seiner Partei "schon sehr groß" gewesen sei: "Hinterher kamen aber einige zu mir und haben gesagt, sie fänden das gut. Sie wären nur gern vorgewarnt worden - und nicht so überrumpelt." Insgesamt habe er nur sehr wenige ablehnende Reaktionen aus der Politik und der Bevölkerung bekommen. "Na ja, es gibt halt noch so ein paar Leute, die ein traditionelles Rollenbild haben. Die sagen dann schon: 'Das geht aber nicht.'"
In der CSU-Spitze gibt es solche Stimmen nicht. Ganz im Gegenteil. CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer freudig zu SPIEGEL ONLINE: "Stefan Rößle ist im besten Sinne konservativ. Er marschiert nämlich an der Spitze des Fortschritts."
Das mit der Spitze des Fortschritts stammt natürlich von Parteipatriarch Franz Josef Strauß. Dessen CSU war noch eine ganz andere: Familienpolitik hatte vor allem die Alimentierung daheim erziehender Mütter zum Ziel. Das fand die christsoziale Wählerklientel prima.
Geblieben ist davon heute nicht mehr viel. Vielleicht noch das als "Herdprämie" verspottete Betreuungsgeld. Ansonsten gibt man sich modern mit kleinen Seitenhieben auf die Krippenbetreuung und anfänglichem Zögern in Sachen Elterngeld: "Wickelvolontariat", hatte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer anfangs noch über die Vätermonate gelästert. Doch sind es nun sogar die bayerischen Väter, die das Angebot besonders gern nutzen. Nur Mecklenburg-Vorpommern liegt in dieser Statistik noch vorm Freistaat.
Christine Haderthauer findet Rößles Entscheidung denn auch "hervorragend", sie entspreche dem "modernen Ansatz" der CSU-Familienpolitik: "Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann man nicht allein dadurch herbeiführen, dass Kinder frühestmöglich außer Haus betreut werden. Kinder brauchen ihre Eltern - und zwar möglichst beide Elternteile." Es müsse "zur Normalität werden", dass man Vätern genauso eine Auszeit zugestehe wie Müttern, sagt Haderthauer, die sich die Erziehung ihrer Kinder ebenfalls mit ihrem Mann geteilt hat.
CSU-Politiker Johannes Singhammer, familienpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, bezeichnet es als "ganz folgerichtig", dass der erste Landrat mit Babypause ausgerechnet bei den Christsozialen sei: "Wir sind schon immer Familienpartei gewesen." Und mit Blick auf den fünffachen Vater Rößle fügt der sechsfache Vater Singhammer hinzu: "Offensichtlich haben Konservative mehr Kinder." Er selbst hätte auch eine Auszeit genommen, "wenn es die Möglichkeit damals schon gegeben hätte".
Neue Mannsbilder für die CSU
Was ist da los - der babypausierende Landrat Rößle als neuer Phänotyp des CSU-Mannes? Verschwunden die alten Glaubenssätze? Nachgefragt bei Norbert Geis. Wenn auf einen Verlass sein muss, dann doch auf ihn: Der 69-Jährige sitzt seit 1987 für die CSU im Bundestag. Der vierfache Vater ist engagierter Katholik, lehnt die Homo-Ehe ab und wollte Popstar Madonna mal wegen "Obszönität" einen Auftritt in Frankfurt untersagen lassen.
Also bitte, Herr Geis, was sagen Sie zu Parteifreund Rößle? "Wenn das juristisch und politisch mit der Position des Landrats in Einklang zu bringen ist, dann habe ich kein Problem damit, dann finde ich das großartig." Und die klassische CSU-Klientel vom flachen Land? "Dem Wähler muss klargemacht werden, dass Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau wichtig ist."
So viel also zur Spitze des Fortschritts.
Nur eine kleine Einschränkung hat Geis die aber würde nun doch auf den Landrat Rößle durchschlagen: Wenn man vom Wähler den Auftrag bekommen habe, dann könne man eigentlich nur in Elternzeit gehen, wenn es dafür eine dringende Notwendigkeit gebe, etwa den drohenden Jobverlust der Partnerin. Geis: "Die zwei Monate Elternzeit nur deshalb zu nehmen, weil das jetzt gesetzlich möglich ist, das fände ich nicht gut."
Also wenigstens ein kleiner christsozialer Dissens in der Sache Rößle.
Rößle übrigens hat sich fest vorgenommen, in seinen zwei Monaten Elternzeit weder ins Büro zu kommen noch zu telefonieren. "Ich habe ein ausgezeichnetes Verhältnis zu meinem Stellvertreter. Da habe ich volles Vertrauen." Die wichtigsten vorhersehbaren Beschlüsse sollen auf Januar und Februar des kommenden Jahres vorverlegt werden - der Haushalt etwa.
Rößles Ziel, als Beispiel voranzugehen, hat in Donauwörth geklappt: Nur Wochen nachdem der Chef Elternzeit angemeldet hat, haben sich inzwischen schon zwei weitere Mitarbeiter des Landratsamts gemeldet, die ebenfalls Babypause machen werden.