Stefan Kuzmany

Deutschland nach dem Wahlsonntag Rechtsruck ohne Alternative

Der liberalen Flüchtlingspolitik der Kanzlerin haben sich alle anderen etablierten Parteien angeschlossen - und so die Zweifler in die Arme der AfD getrieben. Im Ergebnis ist das ganze Land nach rechts gerückt.
AfD-Politikerinnen Beatrix von Storch, Frauke Petry

AfD-Politikerinnen Beatrix von Storch, Frauke Petry

Foto: Wolfgang Kumm/ dpa

Man muss die AfD nicht mögen, man kann ihre Positionen ablehnen und bekämpfen, man kann ihr sogar absprechen, einen wahrhaftigen Namen zu führen. Denn eine ernsthafte "Alternative für Deutschland" hat sie nicht anzubieten, jedenfalls keine, die über eine barsche Verneinung hinausginge: Nein zu Merkel, Nein zu den Flüchtlingen, Nein zu den Medien, Nein zum Euro, Nein zum Islam.

Aber eines hat der vergangene Wahlsonntag gezeigt: Für viele Wähler war diese Partei tatsächlich die einzige wählbare Alternative zu den restlichen Angeboten auf dem Stimmzettel. Sie war für sie, angesichts der ganz großen Koalition, die sich hinter der liberalen Flüchtlingspolitik der Kanzlerin versammelt hat, die einzige Möglichkeit, ihren Unmut über diese Politik auszudrücken.

Alternativlos, unbestreitbar, alle gleich

Angela Merkel (CDU), so betont sie es in jedem Interview, denkt jeden Tag sehr viel nach über die Lösung der Flüchtlingskrise. Sie denkt und denkt, sie erwägt Für und Wider, und am Ende, so ihre Botschaft, findet sie nicht nur die vernünftigste Lösung, nein, es ist die einzig denkbare vernünftige Lösung. Denn wenn sie schon den ganzen Tag nachgedacht hat, und das über viele Wochen und Monate, dann kann es keine bessere Lösung geben als die von der dauerdenkenden Kanzlerin erdachte.

Das ist für all jene, die Merkel vertrauen, ein guter Zustand: Sie schafft das schon. Dazu ist es bequem: Selbst muss man nicht mehr allzu viel denken, das macht die Kanzlerin. Und vielleicht ist es ja tatsächlich so: Was die Kanzlerin am Ende erdenkt, das ist die abgewogene, die vernünftige, die machbare, die einzige Lösung. Alternativlos und unbestreitbar.

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Das Problem in einer Demokratie ist dabei nur: Sie lebt vom Streit. Wenn aber bei einer Landtagswahl nur Parteien zur Auswahl stehen, die beim wichtigsten gesellschaftspolitischen Thema mehr oder weniger exakt die Linie der Bundeskanzlerin vertreten, und da nur eine andere ist (jedenfalls nur eine andere mit Erfolgsaussichten), dann werden viele Gegner der Regierungspolitik eben diese Partei wählen.

Gemischte Signale der Volksparteien

Dazu kommt die Entwurzelung der Konservativen in Deutschland. Denn nur weil die CDU mittlerweile weiter nach links in die Mitte der Gesellschaft gerückt ist, sind die Menschen, denen Zuwanderung, Homosexuelle und überhaupt die Postmoderne suspekt sind, ja nicht verschwunden. Allein die CSU schafft es noch, diese Klientel an sich zu binden - und sich dabei trotzdem von den Feinden der Demokratie abzugrenzen. Lieben muss man Horst Seehofer nicht, aber er erfüllt verlässlich seine Rolle im politischen Spektrum des Landes.

Aber wofür stand eigentlich die CDU in dieser Wahl? Für die Politik Angela Merkels? Oder doch für die abweichenden Positionen, an denen sich Julia Klöckner und Guido Wolf im Wahlkampf versucht haben?

Sind die Grünen noch alternativ? Oder doch längst so bürgerlich wie ihr Superstar Winfried Kretschmann, der, wenn es nur der Beruhigung der konservativen Wähler dient, auch mal Sympathien für Horst Seehofer zeigt?

Und könnte bitte einmal jemand mitteilen, was die SPD eigentlich will? Eine offene Flüchtlingspolitik? Sozialprojekte doch eher für Einheimische? Oder alles zusammen, Hauptsache mitregieren?

Ist die Linke eigentlich flüchtlingsfreundlich, oder müssen Zugereiste aufpassen, dass sie ihr "Gastrecht" nicht "verwirken", wie es deren Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Sahra Wagenknecht, ventiliert?

Wenn es zunehmend schwierig wird, die etablierten Parteien einer klaren Position zuzuordnen, weil sie ständig gemischte Signale aussenden, dann wird es zunehmend schwierig, sich für eine von ihnen zu entscheiden. Wollen die sogenannten Volksparteien diesen Titel behalten, müssen sie ihren Standpunkt im demokratischen Spektrum wieder klar definieren - und sich auseinandersetzen. Miteinander, und auch mit der AfD.

Die Zeit der alternativlosen Lösungen muss vorbei sein - sonst droht uns eine Zeit, in der immer öfter jene gewinnen, die keine Lösungen haben, sondern nur Ablehnung und Angst verbreiten.

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