Pressestimmen zur Landtagswahl "Bayern aus den Fugen"

Fernsehmonitor mit erster Prognose für die Landtagswahl in Bayern
Foto: Nicolas Armer/ dpa
So sieht die deutsche Presse den Wahlausgang in Bayern:
"Bayern aus den Fugen? Es sieht selbst nach diesem Erdbeben eher nach business as usual aus. Nichts anderes bedeuten die kommenden Verhandlungen, die in einer veränderten politischen Landschaft stattfinden mögen. Ist der Staub dieser Landtagswahl aber erst einmal verflogen, wird sich vielleicht auch die Einsicht durchsetzen, dass Koalitionen der Normalfall der Bundesrepublik waren und sind. Die Ironie der Geschichte ist der Erfolg einer Protestpartei, der AfD, die im Namen der Systemkritik das alles in Frage stellt, nun aber doch langfristig genau das anstrebt: Koalitionen."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung"
"Auch wenn die Ergebnisse für die CSU und SPD dramatisch schlecht sind, so liegt die Bayern-Wahl grundsätzlich im Trend der gesellschaftspolitischen Entwicklung in Deutschland und Europa. Sie ist kein einmaliger Ausrutscher von historischer Dimension, sondern eine sich fortsetzende Entwicklung. Die Mitte der Gesellschaft wählt nicht mehr überwiegend die Volksparteien. Die Mitte hat sich diversifiziert und wird in Bayern von den Grünen, den Freien Wählern, der SPD und der gerupften CSU gebildet. In Berlin wird der Burgfrieden noch bis zur Hessen-Wahl in 14 Tagen halten. Danach könnte es für Angela Merkel und Horst Seehofer ungemütlich werden."
"Neue Osnabrücker Zeitung"
Für die große Koalition, die schon schlecht gestartet ist, wird es jetzt mit einer gerupften CSU und gedemütigten Sozialdemokraten noch schwerer. Große Teile der Sozialdemokraten sind mit der Faust in der Tasche in die Regierung eingezogen. Jetzt wird die Faust wohl rausgeholt. Die SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles kann sich auf unruhige Wochen einstellen. Der Druck wird riesig, möglichst schnell den Ausstieg aus dem verhängnisvollen Bündnis zu suchen. Und dann ist da noch die Bundeskanzlerin, die schon wieder eine schlechte Nachricht verkraften muss. Das Beben in Bayern sendet Schockwellen in ihre Partei. Mit dem schlechten Abschneiden der Schwesterpartei ist auch das politische Ende von Angela Merkel ein Stück näher gerückt.
"Berliner Morgenpost"
"Herber Absturz der CSU, Pulverisierung der SPD: Die sogenannten Volksparteien erleben in Bayern einen dramatischen Wahlabend. Es ist nicht weniger als eine Zeitenwende im Freistaat, die der Großen Koalition in Berlin nun noch unruhigere Zeiten beschert. Deutschland steht vor einem politisch heißen Herbst, und die Fortsetzung dürfte spätestens in 14 Tagen bei der Landtagswahl in Hessen folgen. Wenn die SPD nicht schon vorher die Nerven verliert und die Bundesregierung verlässt. Die Partei ist mittlerweile in weiten Teilen der Republik so siech, dass Kurzschlussreaktionen nicht ausgeschlossen werden können. Parteichefin Andrea Nahles hat bis dato nichts Zählbares zur Erneuerung der deutschen Sozialdemokratie beitragen können. Die Flucht aus der Großen Koalition könnte da manchem als letzter Ausweg erscheinen.
"Westfalenpost", Bielefeld
"Zweifellos wird das Wahlergebnis zu Verwerfungen und Erschütterungen in Bayern und Berlin führen - wahrscheinlich aber erst in zwei Wochen nach der Hessen-Wahl. Sicher ist das aber nicht. Mitunter sucht sich die Eigendynamik unkalkulierbar rasch ein Ventil - oder es explodiert auch mal was. Seehofer, Nahles, auch Merkel könnte es erwischen. Aber die haben auch alle schon ordentlich politisches Sitzfleisch bewiesen."
"Sächsische Zeitung", Dresden
Pressestimmen aus dem Ausland zur Bayern-Wahl:
"Ohne personelle Konsequenzen kann eine solche Niederlage nicht bleiben. Ministerpräsident Markus Söder gilt zwar als unpopulär, doch Bundesinnenminister Horst Seehofer, der Chef der CSU, stand bei sämtlichen Streitereien, welche die große Koalition in den vergangenen Monaten erschütterten, im Zentrum des Geschehens. Seine Zeit als Minister könnte bald schon zu Ende sein. Dass die Wahl darüber hinaus unmittelbare Auswirkungen auf die deutsche Regierung haben wird, ist eher unwahrscheinlich: Merkel konnte in Bayern ohnehin nur verlieren (...). Interesse an einem Bruch der Koalition und darauffolgenden Neuwahlen können derzeit weder die Unionsparteien noch die SPD haben."
"NZZ", Zürich
"Es war eine furchtbare Nacht für Angela Merkels bayerische Schwesterpartei. Die CSU hat in dem konservativen Bundesland seit Jahrzehnten uneingeschränkt herrschen können. Aber der Versuch der Partei, seine Rhetorik und seinen politischen Kurs in der Flüchtlingsfrage zu verschärfen, ist nach hinten losgegangen.
"Und das ist auch für Frau Merkel keine gute Botschaft. Bayern spiegelt, was auch auf Bundesebene zu beobachten ist: Der Rückhalt der Mitte-rechts- und Mitte-links-Parteien schwindet. Viel hängt jetzt am Ausgang der Hessen-Wahl in zwei Wochen. Die Generalsekretärin der Union, Annegret Kramp-Karrenbauer, hat es so gesagt: Bayern war eine Warnung."
BBC, London
"Die CSU hat ihre einzigartige Stellung in Bayern als Selbstverständlichkeit angesehen. Dabei ist das Fundament ihrer Macht längst erodiert - wie bei so vielen Volksparteien in Europa. Der schleichende Verlust an Rückhalt fiel zusammen mit der Ankunft von einer Million Flüchtlingen, die im Sommer 2015 durch Bayern zogen und für Verunsicherung im Land sorgten. Die CSU-Führung unter Ministerpräsident Markus Söder und Parteichef Horst Seehofer haben nach Kräften versucht, diese Verantwortung dafür der Kanzlerin und ihrer Migrationspolitik anzulasten. Der Streit darüber, wie die Grenzen Deutschlands geschützt werden sollen, hat beinahe zum Sturz der fragilen Koalition in Berlin gesorgt.
Die harte Linie der CSU gegen Flüchtlinge und der Konflikt mit Berlin, das zeigten schon die Umfragen im Vorfeld der Landtagswahlen, haben zu einer massiven Abwanderung von Wählern geführt. Das miserable Ergebnis der CSU lässt Zweifel daran aufkommen, ob Söder und Seehofer noch eine politische Zukunft haben."
"Guardian", London
"Ein neues politisches Erdbeben - wie viele hat es bereits gegeben? - erschüttert die Europäische Union. Denn das besorgniserregende Ergebnis der gestrigen Wahl in Bayern (...) ist ein weiterer Harpunenschuss in das Gemeinschaftsprojekt und die Möglichkeit, die Werte, auf denen es basiert, zu stärken. Es ist naiv zu glauben, dass das, was in der Lokomotive der EU passiert, den Fortschritt bei der Integration nicht bremsen wird.
Der Absturz der CSU (...) geht mit dem beunruhigenden Aufstieg der extremen Rechten in diesem Bundesland einher, die ein großartiges Ergebnis erzielt. Und, nicht weniger wichtig, ist der Untergang der SPD, die fast in die Irrelevanz stürzt und einen historischen Schlag erleidet."
"El Mundo", Madrid
"Tatsächlich hat die CSU seit mehr als 60 Jahren nicht so wenige Stimmen erhalten. Bislang war die Partei nahezu ohne Einmischung in Deutschlands ältestem, größten und reichsten Staat, Bayern, an der Macht. Diese Ära ist allem Anschein nach nun vorbei. Damit schwindet wahrscheinlich auch die bundesweite Bedeutung der Partei."
"Jyllands-Posten", Aarhus, Dänemark
"Die Sozialdemokraten haben nach der Wahlschlappe vor einem Jahr Europa zum Programm gemacht. Aber auf die großen Ankündigungen im Koalitionsvertrag mit Kanzlerin Merkel sind keinerlei Fakten gefolgt. Diese deutsche Regierung war mit Blick auf Europa noch zurückhaltender und noch visionsloser als die letzte. Und so haben die Wähler den Grünen ihre Stimme gegeben, die wirklich Pro-Europäer sind, die noch in der Lage sind, eine wahre Alternative aufzuzeigen. Und die nie davon abgewichen sind, die Menschenrechte der Flüchtlinge in Deutschland und Europa zu verteidigen."
"La Repubblica", Rom
"Ist es der letzte Akt der Volksparteien in Deutschland? Von der Wahl in Bayern geht die unmissverständliche Warnung aus, dass es große Umbrüche in der politischen Welt in Deutschland geben wird - sie ist nicht mehr der starre Motor auf der europäischen Bühne. Wolfgang Schäuble hat bereits diese großen Beben vorhergesehen, die von der Landtagswahl im reichsten Bundesland ausgehen werden. Kanzlerin (Angela) Merkel ist geschwächt (...). Jetzt kommt Hessen dran, wo die CDU ironischerweise mit den Grünen regiert. Und in Umfragen sieht es nicht gut aus für (CDU)-Ministerpräsident Volker Bouffier. Wenn er verliert, wird der Druck auf Merkel steigen."
"Corriere della Sera", Rom
"Das Verhalten der CSU im Rahmen der Berliner Regierungskoalition war bereits vor der Wahl als einer der Hauptgründe für ihre geringere Beliebtheit bei den Wählern identifiziert worden. Der CSU-Parteivorsitzende und Innenminister Horst Seehofer trat sehr konfrontativ gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel auf. (...) Es ist zu erwarten, dass wegen des schlechten Wahlergebnisses der Druck auf Seehofer wächst, den Parteivorsitz abzutreten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder scheint indes fest im Sattel zu sitzen, denn er hat die Parlamentsfraktion und wichtige Vertreter der CSU hinter sich."
"Lidove noviny", Prag
"Dass die regierenden Christdemokraten CSU 35 Prozent der Stimmen eingesammelt haben, dürfte für die meisten mit schwindender Wählergunst kämpfenden Parteien wie ein Traum klingen. Aber für die CSU, die das bevölkerungsreiche Bundesland ununterbrochen seit mehr als einem halben Jahrhundert regiert, kann man dieses Resultat als nichts anderes als eine historische Niederlage deuten. (...)
Die deutschen Sozialdemokraten SPD haben es historisch gesehen in Bayern schon immer schwer gehabt. Aber dass sie nun bei voraussichtlich knapp zehn Prozent landen, ist schlimmer, als es sich irgendjemand auch nur vorzustellen gewagt hätte. Wenn die Partei bei der Wahl in Hessen in zwei Wochen ähnlich schlecht abschneidet, dürfte das den Gegnern der Großen Koalition weiter Aufwind verschaffen. Für den Fortbestand der Regierung kann das gefährlich werden."
"Dagens Nyheter", Stockholm, Schweden