SPD-Chef über Konflikt mit Russland »Alle Optionen liegen auf dem Tisch«
Markus Feldenkirchen:
Lässt sich aus Ihrer Sicht ein Einmarsch Russlands in die Ukraine noch aufhalten?
Lars Klingbeil:
Das lässt sich aufhalten, da bin ich optimistisch. Ich bin auch froh, dass wir die letzten Tage jetzt doch viele diplomatische Kanäle geöffnet haben. Aber es ist eben auch so und das müssen wir uns bewusst machen: Das steht gerade alles Spitz auf Knopf. Also die Frage, ob Russland einmarschiert, die wird sich in den nächsten Tagen, in den nächsten Wochen entscheiden. Da droht Krieg mitten in Europa. Das ist eine brenzlige, eine gefährliche Situation. Und deswegen ist es umso wichtiger, dass jeder Gesprächskanal von offizieller Seite wirklich genutzt wird.
Markus Feldenkirchen:
Es gibt die Forderung gerade auch an Ihre Partei, dass mehr Druck auf Russland, auf Wladimir Putin ausgeübt werden müsste. Und in Wahrheit ist es so, dass die SPD einen möglichen Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT ablehnt, dass sie auch nicht bereit ist, das Pipeline-Projekt Nord-Stream 2 in Frage zu stellen. Was glauben Sie, wie oft hat sich Wladimir Putin dieser Tage wohl gesagt: Gott sei Dank, auf die SPD ist mal wieder Verlass.
Lars Klingbeil:
Ich glaube, dass er das gar nicht sagt, weil er sehr klar auch registriert hat, wie der Bundeskanzler Olaf Scholz sich geäußert hat, dass er gesagt hat: Alle Optionen liegen auf dem Tisch und alle Optionen heißt alle. Also wenn alles auf dem Tisch liegt, liegt nichts daneben.
Markus Feldenkirchen:
Auch SWIFT? Auch Nord-Stream 2?
Lars Klingbeil: Wissen Sie Herr Feldenkirchen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es wichtig ist, an die russische Seite ein klares Signal zu setzen. In dem Moment, wo ihr die territoriale Integrität der Ukraine angreift und in dem Moment, wo ihr die Grenze politisch, aber auch geografisch überschreitet. In dem Moment gibt es eine klare, eine unmissverständliche Antwort. Alle Optionen liegen auf dem Tisch. Und was das genau ist, das wird die russische Seite in dem Moment zu spüren kriegen, wo sie diese Grenze überschreiten. Aber bis dahin, und das muss der Fokus sein, und da bin ich wirklich auch zuversichtlich, dass wir das nutzen können, geht es jetzt darum, nicht über Krieg zu reden, sondern über Frieden zu reden und die Frage, wie wir den erreichen können und wie die Stabilität mitten in Europa die halten können? Noch mal zwei Flugstunden von Berlin weg droht gerade eine kriegerische Auseinandersetzung mitten in Europa. Und das würde auch den Kontinent komplett verändern. Und das muss abgewendet werden.
Markus Feldenkirchen:
Das klingt auf der allgemeinen Ebene alles nachvollziehbar. Sie gehen immer dann in Deckung, wenn es konkret werden soll, haben eben auch erklärt, warum. Aber warum ist Ihre Partei und die Bundesregierung nicht bereit, die vieldiskutierten Defensivwaffen an die Ukraine zu liefern?
Lars Klingbeil:
Weil ich erst mal fest davon überzeugt bin, dass es richtig ist, über Frieden zu reden und die Frage, wie wir Frieden schaffen können. Und man muss sich doch vorstellen, auch was das bei der russischen Seite gerade bedeutet, wenn jeden Tag neue Drohungen, neue neue Attacken und dann noch die Frage der Mobilmachung, also die Frage von: Liefern wir Waffen und all das. Und dann kommt dazu, dass wir im Koalitionsvertrag klar verabredet haben: Es gibt keine Waffenlieferungen in Krisengebiete. Und das gilt auch hier und das darf man einem solchen grundsätzliche Entscheidung, die auch in den Koalitionsverhandlungen noch ausführlicher diskutiert wurde, darf man nicht im ersten Konflikt brechen.
Markus Feldenkirchen:
Warum hat die Bundesrepublik dann im vergangenen Jahr Rüstungsexporte an Ägypten in Höhe von vier Milliarden Euro, äh, vier Milliarden Euro gemacht, obwohl dort die Menschenrechte verletzt werden und obwohl es dort viele regionale Konflikte gibt?
Lars Klingbeil:
Ich bin, und damit will ich es mir nicht einfach machen. Aber ich bin in den Diskussionen im Bundessicherheitsrat ja nicht dabei. Das war ich als Generalsekretär nicht, das bin ich jetzt als Parteivorsitzender nicht. Ich finde, es gibt viele Exporte in den letzten Jahren, die ich nicht nachvollziehen kann und die ich für falsch halte. Und deswegen ist es richtig, wenn Deutschland eine viel restriktivere Rüstungspolitik fährt und die ist verabredet im Koalitionsvertrag. Und die wird jetzt umgesetzt.
Markus Feldenkirchen:
Ihr Freund und jetziger Generals ekretär Kevin Kühnert hat viel Kritik bekommen für eine Aussage, die er in der vergangenen Woche gemacht hat zu diesem Konflikt. Wir haben ihn dieses Zitat mal eingeblendet. Er spricht von einer gewissen Obsession, Projekte zu beerdigen, die einem schon immer ein Dorn im Auge im Auge gewesen sind. Er meint damit die Gaspipeline und fügt hinzu: Es wehre sich in ihm alles dagegen, dass man potenzielle und internationale Konflikte herbeireden sollte. Finden Sie auch, dass das, was dort in der Ukraine passiert, die Truppenansammlung der Russen rund um die Ostukraine, dass es ein herbeigeredete Konflikt ist? Es ist doch ein Konflikt.
Lars Klingbeil:
Das hat er auch so nicht gemeint. Wie ich Kevin Kühnert verstanden habe, geht es jetzt noch mal darum, sich nicht andauernd gegenseitig zu drohen und die Situation immer noch weiter durch Worte zu verschärfen, sondern es geht darum, diplomatische Kanäle zu eröffnen. Und nochmal: Das ist jetzt gerade passiert. Und das ist der Weg, mit dem wir einen großen Schaden von Europa abwenden können. Und ich finde, jeder politischer Akteur muss sich jetzt darauf konzentrieren, in Europa mitten in Europa keinen Krieg ausbrechen zu lassen.
Markus Feldenkirchen:
Für wie groß halten Sie die Chance, einen Einmarsch der Russen noch zu verhindern?
Lars Klingbeil:
Ich kann das nicht in Prozenten ausdrücken, weil ich natürlich die russische Seite nicht kenne. Das ist übrigens eines der großen Probleme, dass es wenig direkte Kanäle zur russischen Seite gibt, wenig Gesprächskanäle, die da sind. Olaf Scholz hat die Kontakte zu Putin, da gibt es Gespräche über das Normandie-Format, wird es jetzt auch Gespräche wieder mit der russischen Seite geben.
Markus Feldenkirchen:
Gerhard Schröder hat beste Kontakte.
Lars Klingbeil:
Der ist aber nicht in Amt und Würde. Das gab das ja durchaus mal, es gab in der Geschichte der Bundesrepublik viele gute Gesprächskanäle in die Sowjetunion und nach Russland. Aber aktuell gibt es das nicht. Das ist in solchen Krisensituationen ein totales Problem.
Markus Feldenkirchen:
Noch mal zu Gerhard Schröder. Reden Sie als Parteivorsitzender, oder Olaf Scholz als Bundeskanzler in diesen Tagen gerade besonders oft mit Gerhard Schröder im Wissen, dass er ein ganz besonderes Verhältnis zu Wladimir Putin hat?
Lars Klingbeil:
In diesen Tagen rede ich gerade wenig mit ihm. Das hat aber auch mit meinem Kalender zu tun. Aber natürlich, und das habe ich immer gesagt, habe ich in den letzten Jahren sehr viel mit Gerhard Schröder geredet. Teile nicht jede Meinung, aber es ist schon so, dass ich an vielen Stellen auch immer wieder auf den Erfahrungsschatz des Altkanzlers zurückgreifen konnte und mir dann meine eigene Meinung gebildet habe.
Markus Feldenkirchen:
Sie kennen ihn wirklich gut und für viele ist er mittlerweile ein Rätsel. Vielleicht können sie ihn ein bisschen besser erklären, wie er tickt und warum er gerade mit Wladimir Putin wirklich so eng ist. Warum kennt er bei Russland kaum Zweifel? Glauben Sie, dass es wirklich das ist, was ihm viele einfach unterstellen, dass es nur mit Geld zusammenhängt?
Lars Klingbeil:
Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Das sind einfach auch Sachen, die ich nicht weiß, wie da genau das Verhältnis ist. Das kann ich Ihnen nicht beantworten.
Markus Feldenkirchen:
Schröder war Aufsichtsratschef von Nord-Stream. Ist das heute auch noch beim russischen Ölkonzern Rosneft. Er fungiert also als klassischer Lobbyist Russlands. Und da sind Sie auch bereit, das so zu sagen: Gerhard Schröder ist ein Lobbyist Russlands?
Lars Klingbeil:
Ich habe vor allem den Blick natürlich auf jemanden, der diese Partei über einen langen Zeitraum geprägt hat...
Markus Feldenkirchen:
Fällt ihnen das schwer, das zu sagen?
Lars Klingbeil:
...als Altkanzler auch Verdienste für dieses Land hat. Und wissen Sie, ich ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich mit Gerhard Schröder einen engen Draht habe, dass ich auch ihn immer wieder als Gesprächspartner habe. Aber Politik mache jetzt ich als Parteivorsitzender und ich kann meine Entscheidungen schon selbst treffen.
Markus Feldenkirchen:
Noch mal konkret: Wird Nord-Stream 2 ans Netz gehen?
Lars Klingbeil:
Für den Fall, dass Russland die territoriale Integrität der Ukraine angreift, liegen alle Optionen auf dem Tisch.
Markus Feldenkirchen:
Konkreter wird es heute nicht.
Lars Klingbeil:
Nein, nochmal: Es geht die russische Seite gerade überhaupt nichts an. Welche Dinge wird dann von allen Optionen auf dem Tisch liegen? Welche Karten wir ziehen, das halte ich für falsch, da jetzt schon die Gegenseite in die Karten gucken zu lassen.