Laufzeiten-Debatte Zahl der Atomkraftgegner schrumpft

Die Haltung der Deutschen zur Kernkraft ändert sich: Waren vor vier Jahren noch zwei Drittel für den Atomausstieg, ist es jetzt nur noch die Hälfte. Gleichzeitig verschärft sich die politische Diskussion. Zwischen CDU und Grünen tun sich längst verschüttet geglaubte Gräben wieder auf.

Berlin - Der Atomausstieg verliert in der Bevölkerung weiter an Rückhalt. 49 Prozent sind noch dafür, fast genauso viele - 48 Prozent - wollen die Kernenergie aber langfristig nutzen, ergab eine Emnid-Umfrage für N24. Damit hat sich die Einstellung angesichts der Energiekrise und der Debatte um steigende Preise in den vergangenen Jahren gewandelt: Im September 2004 waren 64 Prozent für und 33 Prozent gegen einen Ausstieg aus der Atomenergie, im Januar 2006 waren noch 55 Prozent für und bereits 42 Prozent gegen einen Ausstieg.

Viele Bürger könnten auch der Idee etwas abgewinnen, bestehende Kraftwerke länger laufen zu lassen und damit den Atomausstieg zu verzögern: 59 Prozent fänden dies sinnvoll, 39 Prozent nicht. Dabei scheint das Argument der Versorgungssicherheit die Bürger zu überzeugen. Denn 56 Prozent glauben nicht, dass ein höherer Anteil an Atomenergie den Strompreis wirklich bremsen könnte.

Gleichzeitig verschärft sich die politische Debatte über eine mögliche Abkehr vom Ausstieg. Vor allem die Grünen, während deren gemeinsamer Regierungszeit mit der SPD der Atomausstieg 2000 vereinbart worden war, wollen am Ausstieg festhalten. So sagte Christa Goetsch, zweite Bürgermeisterin in Hamburg, zu SPIEGEL ONLINE: "Atomkraftwerke sind gefährlich, in Zeiten des internationalen Terrorismus gilt das mehr denn je. Atomstrom ist ganz und gar nicht klimafreundlich, dafür aber sehr profitabel für die Stromkonzerne. Wer längere Laufzeiten mit Klimaschutz begründet, handelt unverantwortlich und argumentiert nicht ehrlich. In dieser Frage habe ich eine völlig andere Position als die CDU und Herr von Beust." Das wird den Koalitionspartner nicht überraschen - und nicht freuen.

Zuvor hatte schon Grünen-Umweltexperte Jürgen Trittin im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt, warum der Atomausstieg aus seiner Sicht weder mit dem Ölpreis noch mit steigenden Energiekosten zusammenhängt. "AKWs heizen keine Häuser, und eine Armada von Elektrofahrzeugen auf unseren Straßen sehe ich auch nicht." Die Ölpreise werden laut Trittin in der Debatte instrumentalisiert. "Die Strompreise werden von den vier marktbeherrschenden Energieunternehmen bestimmt. Die betreiben zahlreiche Atomkraftwerke, die ihnen Milliardengewinne bescheren. Wenn wir ihnen die Laufzeiten verlängern, verstärken wir ihre Marktdominanz. Das führt zu höheren Preisen." Auch das Argument, angesichts des Klimawandels auf Atomstrom zu setzen, lässt er nicht gelten. "Atomenergie erzeugt zwar weniger Emissionen als etwa Kohle, doch die CO2-Bilanz ist schlechter als bei den erneuerbaren Energien. Atomkraft ist gleichzeitig wesentlich teurer als erneuerbare Energie." Zudem müsse der radioaktive Atommüll gelagert werden, was auch Kosten verursache.

Atomausstieg - wann die Kraftwerke vom Netz müssen

Kraftwerk Nennleistung in Megawatt voraussichtliche Stilllegung *
Biblis A 1225 2008
Biblis B 1300 2009
Brunsbüttel 806 2009
Neckarwestheim I 840 2009
Isar I 912 2009
Unterweser 1410 2010
Philippsburg I 926 2011
Grafenrheinfeld 1345 2013
Krümmel 1402 2015
Gundremmingen B 1344 2016
Gundremmingen C 1344 2016
Grohnde 1430 2016
Philippsburg II 1458 2016
Brokdorf 1480 2018
Isar II 1475 2020
Emsland 1400 2020
Neckarwestheim II 1400 2021
* Das tatsächliche Datum errechnet sich anhand der verbleibenden Reststrommenge, die im Atomausstieg vereinbart wurde.
Quelle: Deutsches Atomforum, Naturschutzbund Deutschland

Unterstützung erhalten die Grünen auch aus der CSU. Der Bundestagsabgeordnete Josef Göppel hat sich bei SPIEGEL ONLINE skeptisch gegenüber einer grundsätzlichen Verlängerung von Laufzeiten für bestehende Atommeiler gezeigt. "Ich befürchte, dass ein genereller Beschluss zur Laufzeitenverlängerung Einsparbemühungen und Entwicklung der erneuerbaren Energien verschleppen würde", so Göppel.

Die SPD hält dagegen eine längere Nutzung der Atomenergie bis 2030 für möglich, lehnt aber einen Ausbau der im Ausstiegsbeschluss vereinbarten Produktionsmengen weiter strikt ab. SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte im ARD-"Morgenmagazin", moderne Atomkraftwerke könnten länger laufen als im rot-grünen Ausstiegsbeschluss vorgesehen, etwa bis 2030. Dafür müssten aber alte Kraftwerke abgeschaltet und der Ausstieg aus der Atomtechnologie im Grundgesetz "verbindlich" festgelegt werden. Die Union ist zu solch einer Verfassungsänderung nicht bereit.

Inzwischen kommt sogar der Ruf nach dem Bau neuer Atomkraftwerke auf. Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, und der stellvertretende Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Christian Ruck, traten am Dienstag dafür ein, neben der Verlängerung der Laufzeiten bestehender Atommeiler auch den Neubau von AKWs in Betracht zu ziehen. Um Strom verlässlich, kostengünstig und ausreichend für Bürger und Industrie bereitzustellen und die Klimaziele zu erreichen, müsse der Beschluss zum Atomausstieg zurückgenommen werden, mahnte Mißfelder am Dienstag in Berlin.

Der CSU-Politiker Ruck verwies auf die neue Technologie der europäischen Druckwasserreaktoren EPR, die derzeit in Finnland und Frankreich gebaut werden. In der "Augsburger Allgemeinen" betonte er, diese Technik biete die "große Chance für eine Entdämonisierung der Atomenergie".

ler/dpa/ddp

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