Lehren aus Wahlschlappe Merkel will mehr Grün wagen

CDU-Chefin Merkel: Wo sind die Wähler hin?
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERSBerlin - Wenn nur Rainer Brüderle nicht gewesen wäre. Wenn der Wirtschaftsminister das Atom-Moratorium vor den Industriebossen nicht so leichtfertig zum Wahlkampftrick heruntergespielt hätte. "Wenn ich ihn treffe, werde ich mich persönlich bei ihm bedanken", spottet Baden-Württembergs Noch-Ministerpräsident Stefan Mappus am Montag im CDU-Präsidium, das sich in der Berliner CDU-Zentrale trifft. Die Runde, so wird es hinterher berichtet, habe gelacht. Es ist Galgenhumor.
Nein, die CDU ist am Tag nach der Wahlschlappe auch in Berlin nicht besonders gut zu sprechen auf den liberalen Koalitionspartner. Sicher, die Christdemokraten haben massiv verloren. Absolut gerechnet aber konnte man sogar noch zulegen, holte fast 200.000 Stimmen mehr. Die FDP dagegen stürzte ab - auch wegen Brüderle, da ist sich Mappus sicher: "Wenn die FDP ein knappes Prozent mehr gehabt hätte, dann hätten wir die Mehrheit."
Die FDP hat also nicht geliefert. Nicht in Rheinland-Pfalz, wo die CDU fast mit der SPD gleichzog, die Liberalen aber an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. Nicht in Baden-Württemberg, wo sie so eben den Sprung ins Parlament schafften. Wenn die FDP aber nicht einmal mehr im Stammland als Mehrheitsbeschaffer taugt, das fragen sich viele in der Union, mit wem soll man dann künftig im Land überhaupt regieren?
Mit den Grünen.
So deutlich will das am Tag nach der Wahl aus der ersten Reihe der Union natürlich niemand sagen - aus Rücksicht auf den angeschlagenen Partner, mit dem Kanzlerin Angela Merkel die Legislaturperiode bis 2013 zu Ende bringen will. Doch auch der Parteispitze ist klar: Die CDU braucht neue Machtoptionen, in den Ländern genauso wie im Bund. Die Sorge über die Schwindsucht der Liberalen, ist zu hören, sei am Montag bei vielen Wortbeiträgen in den Spitzengremien der CDU mitgeschwungen.
"Nicht an die FDP ketten"
Jens Spahn, der Gesundheitsexperte der Unionsfraktion, spricht aus, was viele in der Union denken: "Wir dürfen uns nicht auf Gedeih und Verderben an die FDP ketten, auch inhaltlich nicht, etwa beim Thema Steuern." Durch die Ereignisse der letzten Wochen in Japan, glaubt Spahn, werde ein schwarz-grünes Bündnis paradoxerweise mittelfristig eher wahrscheinlicher, da mit dem nun geplanten Atomaustieg das größte Hindernis dauerhaft weggeräumt werde.
So sieht es wohl auch die Kanzlerin. Die Energiepolitik ist jetzt ihr Thema, sie will jetzt beweisen, dass es ihr Ernst ist mit der Atomwende. Und als Nebeneffekt wäre endlich ein ideologischer Dauerzwist gelöst, der bisher auf Bundesebene wie eine Mauer zwischen Union und Grünen stand.
Natürlich habe auch sie zu den Befürwortern der Kernenergie gehört, bekennt Merkel. "Aber für mich ist Japan ein einschneidendes Ereignis." Die CDU-Chefin kündigt ein "verändertes" Energiekonzept an - es wird wohl auch ein grüneres Konzept sein. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird beschleunigt, viele der nun abgeschalteten älteren Atomkraftwerke dürften nie wieder ans Netz gehen wenn die erst im Herbst verlängerten AKW-Laufzeiten korrigiert werden.
Im Bundesvorstand deutet Merkel zudem an, dass die eingesetzte Ethikkommission nicht das letzte Wort bei der Suche nach einem gesellschaftlichen Konsens sprechen könnte. Auch die anderen Parteien könnten am Ende mit einbezogen werden. "Ich glaube, dass wir vielerlei Gespräche brauchen", sagte sie am Abend in der ARD-Sendung "Brennpunkt". "Wir brauchen jetzt Sicherheitsüberprüfungen, wir brauchen die Bewertung von Sicherheiten, dafür die Ethikkommission, wir brauchen Gespräche in den Parteien der Koalition. Und zum gegebenen Zeitpunkt sicherlich auch Gespräche über Parteigrenzen hinweg."
Im Bundesvorstand erinnert sie explizit an den Moderationsprozess zum umstrittenen Bahnhofsbau Stuttgart 21, der durchaus Vorbildcharakter für die Atompolitik haben könnte. Auch das wäre ein Angebot an die Grünen.
Merkel meidet das "Hirngespinst"
Auffällig ist, das Merkel bei der traditionellen Nachwahl-Pressekonferenz das Wort vom schwarz-grünen "Hirngespinst", mit dem sie beim Parteitag im Herbst noch die konservative Seele der Partei streichelte, nicht wiederholt. Stattdessen verweist sie darauf, dass es weder in Baden-Württemberg noch in Rheinland-Pfalz die CDU gewesen sei, die die Tür zu den Grünen zugeworfen habe. Vielmehr habe sich die Öko-Partei schon früh auf die SPD als Partner festgelegt. In Rheinland-Pfalz wollen die Grünen nun mit den Christdemokraten reden, bevor sie sich in Verhandlungen mit den Sozialdemokraten stürzen. Das gehört zum rot-grünen Koalitionspoker dazu - aber immerhin, es ist ein Signal.
Ein Signal, das einen wie Norbert Röttgen freut. Für den Umweltminister war Schwarz-Grün immer eine Zukunftsoption. Am Montag bezeichnet er das Lagerdenken als "Denken der Vergangenheit und nicht eines, dass den Interessen der CDU in Gegenwart und Zukunft dient". Im Präsidium soll Röttgen sich noch deutlicher geäußert haben. Dem Vernehmen nach beklagt er unwidersprochen eine Verengung der Koalitionsoptionen bei den zurückliegenden Wahlen auf Schwarz-Gelb.
Doch selbst von - bisher - ausgesprochenen schwarz-grünen Skeptikern kommen am Rande der Präsidiumssitzung bemerkenswert offene Worte. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier spricht sich gegen "ideologische Barrieren" aus: "Wenn es die Sache gebietet, dann werden wir es tun." Und Philipp Mißfelder, Chef der Jungen Union, sieht derzeit zwar noch "festgefahrene Blöcke", räumt aber ein: "Sollten sie eine wirtschaftsorientierte Regierung in Baden-Württemberg führen und uns alle überraschen, dann werden solche Debatten wieder offen sein."
Ähnlich ist die Lage bei der Schwesterpartei in Bayern. Ausgerechnet hier, wo man die Grünen zuletzt am vehementesten als "Dagegen-Partei" verspottete, sind schwarz-grüne Gedankenspiele wieder zugelassen. Zumindest wenn es um die Bundesebene geht.
Fürs Land hingegen setzt CSU-Chef Horst Seehofer auf Themenklau - und sich selbst an die Spitze der Anti-AKW-Bewegung: "Die Energiewende muss jetzt in den nächsten Tagen auf die Beine gestellt werden", verkündet er. Die Basis wolle Beschleunigung. Schon im Mai soll ein eigenes Energiekonzept vorgelegt werden. Grün, grüner, CSU. Mancher aber tut sich noch schwer mit der Kehrtwende. So bat CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt im Vorstand am Montag ihre Kollegen, man möge das ergebnisoffene Atom-Moratorium ernst und mögliche Schlussfolgerungen nicht schon vorwegnehmen.
Klar ist: Der Grünen-Schock aus dem Ländle wirkt allein deshalb in München besonders stark nach, weil man hier Nähe zu den Christdemokraten aus dem Südwesten pflegt: Zwei (Ex-)Staatsparteien in konservativen Landstrichen. Das verbindet. Wie einen Virus fürchtet Seehofer den grünen "Siegesoptimismus". Man werde nun "eine neue Qualität der Auseinandersetzung" erleben, sagt er im CSU-Vorstand.