SPIEGEL-Spitzengespräch »Wir brauchen Sie in den Parlamenten!«
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL:
»Wir schauen gleich zu Beginn mal auf eine Aktion vom vergangenen Wochenende, eine Aktion der letzten Generation. Dort wurde im Berliner Regierungsviertel das Grundgesetz-Kunstwerk beschmiert. So sah das aus. Schwarze Klebemasse wurde da verwendet. Frau van Baalen, was bitte sollte diese Aktion?«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Es ist ganz klar, dass wir uns entscheiden müssen, ob wir eben weiterhin Erdöl fördern oder, ob uns die Grundrechte wichtig sind.«
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL:
»Diese schwarze Masse sollte Erdöl symbolisieren?«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Genau. War es natürlich nicht. Es war Kleber, der gefärbt war und es ist heute auch komplett wieder sauber, das Kunstwerk. Das Manifest quasi. Und uns muss klar sein, wenn wir in die Klimakatastrophe steuern, dann sind unsere Grundrechte einfach absolut bedroht und dementsprechend müssen wir alles dagegen tun, diese Klimakatastrophe weiter zu befeuern. Zum Beispiel Erdöl möglichst schnell nicht mehr fördern, um eben zu verhindern, dass unsere Grundrechte eines Tages nichts mehr wert sind.«
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL:
»Was hielten Sie von der Aktion, Herr Kuhle?«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Ich bin dankbar und offen für jede Form von kreativem Protest und glaube, dass wir eine große gesellschaftliche Debatte brauchen über Klimaschutz. Aber schwarze Farbe auf ein Grundgesetzdenkmal zu kippen, ein Denkmal, wo jeden Tag Leute vorbeigehen unterschiedlichster politischer Couleur, die jeden Tag dafür arbeiten, dass es den Menschen in diesem Land besser geht: Das überzeugt niemanden. Und das führt dazu, dass die gesellschaftliche Spannung und Spaltung mit Blick auf das Thema Klimaschutz immer weiter zunimmt. Und das macht aus Klimaschutz ein absolut radikales Nischenthema. Und das ist total schade.«
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL:
»53 Prozent der Leute sagen, die Bundesregierung tue nicht genug gegen den Klimawandel. Oben sehen wir eine Grafik, die zeigt noch mal die starke Ablehnung der Protestaktionen der letzten Generation. Also, beides ist gleichzeitig vorhanden: Ablehnung gegen ihre Aktion, aber auch einen nicht billigen ihrer Politik, die vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht ambitioniert genug ist. Gibt Ihnen so etwas zu denken?«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Ja, und das gibt mir zu denken. Und das ist der Grund, warum wir hier sitzen und miteinander ringen. Aber das zeigt doch, dass wir diese Auseinandersetzung auf demokratischem Wege miteinander führen müssen. Und ich finde, an der Stelle, wo man die Grundrechte besudelt, die uns diese demokratischen Rechte geben, ist eine Grenze überschritten, die ich nicht mehr mitgehen kann und die ich auch irgendwann nicht mehr ernst nehme.«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Das machen Sie ja jeden Tag mit Ihrer Politik.«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Nein!«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Doch, absolut! Sie führen uns mit den Zielen, mit den Klimazielen, die Sie gerade noch nicht mal einhalten, an eine zwei Grad heißere Welt über die 1,5 hinaus, die wir 2030 überschreiten werden. Ja, und das ist, finde ich, sich dann hinzustellen und zu sagen: Ja, aber wir verlassen den sicheren Raum ja nicht. Was wir definitiv 2030 ab den 1,5 Grad tun werden und die Klimaziele nicht mehr einzuhalten, die uns schon an die zwei Grad heranführen. Wie soll das denn nicht das Besudeln der Grundrechte sein?«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Warum machen wir uns gegenseitig nicht zu Verbündeten? Also warum ziehen wir nicht zusammen los und überzeugen Menschen davon, dass sich im Wirtschaften, das sich im Arbeiten, dass sich im Verkehr Dinge verändern müssen, beispielsweise beim Kohleausstieg, der ja in Deutschland beschlossene Sache ist und der in vielen Regionen dazu führen wird, dass Menschen sich werden umorientieren müssen. Und mit den Menschen jetzt zu diskutieren und zu sagen: Also, es muss alles noch schneller gehen und außerdem dürfte auch euer Auto nicht mehr haben. Und wir verhindern auch, dass ihr morgens irgendwie möglicherweise zu eurer Schulungsmaßnahmen kommt. Das wird dazu führen, dass wir Leute verlieren. Und deswegen ist meine Bitte und mein Appell, dass wir sozusagen diese beiden Zahlen zusammendenken. Also, wenn in der Gesellschaft nicht genug passiert für Klimaschutz und gleichzeitig ein großer gesellschaftlicher Konsens dafür da ist, dass diese Protestformen so weit gehen, dann müssen wir doch gemeinsam dafür arbeiten, dass es mehr wirksame Klimaschutzmaßnahmen gibt.«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Deswegen haben wir alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister dieses Landes angeschrieben. Deswegen treffen wir uns bald mit der FDP Vorsitzenden und haben regelmäßige Treffen in der Politik.«
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL:
»Es ist ja so, dass erste Städte schon auf zumindest diese drei genannten Forderungen eingehen und sogenannte Deals mit der letzten Generation machen. In Tübingen, Marburg und Hannover soll es künftig keine Protestaktionen quasi zum Dank dann mehr geben. Ist das noch legitimer demokratischer Diskurs oder Erpressung gewählter Volksvertreter?«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Also ich finde, das was die Bürgermeister da machen, ist Gratismut. Am Ende sind das Leute, die sitzen im Rathaus und werden im Zweifelsfall durch die Gegend gefahren und wollen halt gerne gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern.«
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL:
»Fahrrad fahren, auch manche.«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Manche fahren, auch mit dem Fahrrad. Sie wollen aber, weil sie werden angesprochen, dass es keine Blockadeaktionen mehr in den Städten gibt und dann sagt man einfach: Ja, ja, ich unterstütze das und es kostet nichts. Also der Oberbürgermeister von Hannover, Belit Onay, den ich persönlich kenne, bin nicht immer mit ihm einer Meinung, aber im Prinzip macht er das schon ganz vernünftig. Der sagt: Ich bin mit euch einer Meinung, dann hört ihr auf zu demonstrieren und es passiert einfach nichts.«
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL:
»Lassen Sie sich da vielleicht verschaukeln?«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Und das ist doch, das ist ein sozusagen, der kann seinen grünen Wählern erklären: Jawoll, letzte Generation, find ich super! Die Proteste hören auf, alle haben was davon und in der Realität hat sich nichts verändert.«
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL:
»Wenn das so ist, wie Herr Kuhle sagt. Lassen Sie sich dann verschaukeln von solchen Bürgermeister?«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Sie lassen sich verschaukeln und er lässt sich auch verschaukeln.«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Wenn absolut nichts passieren würde, ja. Aber ich glaube schon, dass das einen sehr großen Einfluss auch auf die Bundesregierung macht, wenn wirklich viele Städte sich zu diesen Gesellschaften aussprechen. Das zeigt doch, dass das eine vernünftige Forderung ist und das trägt diese Forderung natürlich viel schneller und mit einem viel größeren Druck ins Parlament rein. Also kann ich nicht verstehen, wie Sie da sagen können: Das hat keinen Effekt.«
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL:
»Es hat einfach nur den Effekt, dass Sie aufhören zu protestieren. Er kann sich dafür abfeiern lassen in Hannover. Und am Ende heißt es irgendwie, er unterstützt das. Wenn es so einfach ist.«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Sie schreiben ja auch Briefe an die Bundesregierung, in denen Sie eben darlegen: Wir möchten diesen Gesellschaftrat und die Bundesregierung kommt ja irgendwann in Erklärungsnot, wenn wirklich sehr, sehr viele Städte das unterschreiben, warum der Gesellschaftrat dann nicht kommt.«
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL:
»Wie sollten Bürgermeister auf solche Drohungen reagieren?«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Also ich finde es richtig, miteinander zu sprechen. Auf jeden Fall finde es auch gut, dass man im Dialog miteinander bleibt. Aber einfach zu sagen, ich werfe mich in den Staub und akzeptiere Blockadeaktion, eine maximale Störung der öffentlichen Ordnung. Ich finde, da werden Bürgermeister ihrem Amt nicht gerecht. Ich bin als Bürgermeister doch gerade dafür verantwortlich, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Und wenn dann jemand sagt, ich störe jetzt maximal die öffentliche Ordnung, dem zu sagen, jawohl, ich gebe ja zu 100 Prozent recht. Das ist eine Verhandlung mit Menschen, die einfach die Öffentlichkeit erpressen. Und das geht nicht.«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Was sollen wir denn jetzt noch tun? Die Studienlage ist da. Wir haben alles ausgearbeitet. Wir wissen, was eigentlich zu machen ist. Und trotzdem wird es eben von der Politik nicht aufgefasst. Also das ist ein bisschen ambivalent, was Sie hier sagen, denn ich könnte jetzt natürlich mein Studium anfangen, abschließen, dann forschen. Und wenn es dann trotzdem von der Politik nicht angenommen wird, dann habe ich das umsonst gemacht.«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Wir brauchen sie in den politischen Parteien! Es ist schön, dass Sie sich mit Wissenschaftlern zusammensetzen. Das können Sie den ganzen Tag machen!«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Wir setzten uns auch mit Poltikern zusammen.«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Ja, aber sie brauchen sie in den politischen Organisationen. Wir brauchen sie als Ansprechpartner, als Leute mit einer eigenen Stimme. Das bringt alles nichts. Es führt nur dazu, dass wir alle miteinander reden. Wir sind uns einig, super! Die Politik klopft sich gegenseitig auf die Schultern. Sie sind total frustriert und bilden eine Diskussionsgruppe, die am Ende mit der Politik überhaupt keinen Austausch pflegt. Das bringt nichts!«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Doch! Wir sprechen jeden Tag mit Politik*innen.«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Sie müssen selber Politik machen!«
Aimée van Baalen, »Letzte Generation«:
»Ich habe auch eine eigene Meinung. Ich habe eine eigene Stimme, die ich ja hier jetzt auch benutzt und zum Besten gebe. Und dementsprechend hat das doch total viel Einfluss auch auf den gesamten Diskurs. Und es hat total viel Einfluss, wenn wir diesen Gesellschaftsrat wirklich etablieren. Und das ist ja das, was wir eben auch fordern von der Politik, dass dort ein Raum geschaffen wird, wo eben nicht nur ich letztendlich darüber diskutiere, was jetzt mit dem Klima passieren muss, sondern wo wir als Deutschland wieder mehr zusammenrücken.«
Konstantin Kuhle, FDP:
»Wir haben doch sozusagen herausgearbeitet, dass ihnen die nächste Bundestagswahl zu lange hin ist. Ich habe ein Angebot: es gibt jetzt eine Landtagswahl in Bremen, es gibt eine in Hessen und es gibt eine in Bayern. Dieses Jahr steht unmittelbar bevor. Da müsste doch eigentlich die letzte Generation antreten.«