Liberaler Kurswechsel Rösler treibt die FDP sanft zu neuen Ufern
Rostock - In Philipp Röslers erster Rede als neuer FDP-Chef gab es einen zentralen Satz: "Ab heute wird die FDP liefern." Es ist ein großes Versprechen. Eines, das die Liberalen brauchen, die in den letzten Monaten schwer gebeutelt wurden. In Baden-Württemberg aus der Regierung geflogen, in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt aus den Landtagen. Doch Rösler brachte noch keine fertigen Konzepte auf den Bundesparteitag nach Rostock.
An der Ostsee ging es vor allem darum, die Seelenlage der Partei zu verbessern. In einem Werbefilm am Freitagmorgen, zu Beginn des Parteitags, wurden Mitglieder der Liberalen gezeigt, die offen bekannten, warum sie sich gerade jetzt zur Partei bekennen. Es war ein trotziges Bekenntnis in einer Zeit, in der viele FDP als "Fast-Drei-Prozent" ausbuchstabieren.
Rösler, in Vietnam geboren, als Adoptivkind nach Deutschland gekommen, versuchte der Partei neues Selbstbewusstsein einzuhauchen. Es sei kein Zufall, dass gerade eine liberale Partei "so jemanden zum Bundesvorsitzenden macht".
Vor 19 Jahren ist Rösler in die FDP eingetreten, in Rostock merkte er ironisch an, er habe nicht gesagt, warum. Er sei aber "nicht an falsche Freunde geraten". Die Fähigkeit zur lockeren und entkrampften Selbstironie, die mit ernster Tonlage wechselte, wurde in Rostock von den Delegierten begeistert aufgenommen. Rösler schaffte es sogar, Hans-Dietrich Genschers Balkonrede in der Prager Botschaft im September 1989 vor DDR-Flüchtlingen mit der arabischen Freiheitsbewegung zu verknüpfen, ohne dass es peinlich wurde.
Was Rösler den Delegierten gab, war an sich schon ein Wert: Einen neuen Sound. Vorbei ist die Ära Westerwelle auch in dieser Hinsicht. Selbst die Attacke gegen die CSU und ihren Kurs in den Sicherheitsgesetzen kam Rösler ruhig über die Lippen. Als Westerwelle später zur Europapolitik sprach, vehement für einen soliden europäischen Kurs warb , da wirkte er, obwohl er in der Sache Recht hatte, schon wie aus einer alten Zeit. Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass die FDP genau diesem Westerwelle-Dauertremolo zujubelte - solange er mit Erfolgen einherging. Insofern wird Rösler gewarnt sein, was die Popularität von Parteichefs angeht.
Was mit Rösler nun anders wird als beim alten Parteichef, bleibt abzuwarten. In seiner Rede gab es zunächst eines: Akzentverschiebungen. Nicht die Steuer- und Wirtschaftspolitik stand im Zentrum. Es sprach ein Parteichef, der sich trotz seines neuen Amtes als Wirtschaftsminister nicht auf ein Thema verengen lassen will. Westerwelles Konzept war das einer "Partei für das ganze Volk", Rösler sprach auch hier anders, die FDP müsse zu allen "gesellschaftlichen Fragen" eine liberale Antwort haben, er will eine FDP, die sich den "Problemen der ganz normalen Menschen" zuwendet. Programmatisch ist damit noch nichts gesagt - doch in der Medienwelt ist die sympathische Darstellung schon die halbe Miete.
Der 38-Jährige hat vor Jahren, mitten in der von der FDP-Basis umjubelten Westerwelle-Zeit, ein Buch mit dem heutigen Generalsekretär Christian Lindner herausgebracht, das vor allem für eine wärmere, sympathischere Partei warb. Vom "mitfühlenden Liberalismus" war bei Rösler in Rostock zwar keine Rede, dafür aber sprach er von der alleinerziehenden Mutter, für die es keine kompatiblen Kita-Öffnungszeiten gebe, und von den Problemen in der Pflege. Er verwies dabei auf die eigene Familie, in der die Schwiegermutter die 93-jährige Großmutter ins Haus genommen hat. Hier spricht einer, der von den Problemen weiß - das war die Botschaft.
Hauptthema Freiheit
Die FDP unter Rösler will sich vor allem als Partei der Freiheit darstellen. Gegen Bürokratie, staatliche Gängelung, gegen Allmacht von Konzernen. Ob es liberale Prosa bleibt, wird die Praxis zeigen. Freiheit, zitierte er den ersten Generalsekretär der FDP, Karl-Hermann Flach, "stirbt scheibchenweise". Der Neue an der Spitze legte ein Bekenntnis ab für den Datenschutz, nicht nur gegenüber staatlichen Behörden, sondern auch in Zeiten der Globalisierung gegenüber großen Konzernen. Selten hat man in den letzten Jahren Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger so zufrieden gesehen.
Rösler weiß, dass er im Ruf steht, die FDP nach links verschieben zu wollen. Deshalb grenzte er sich in Rostock auch ab und kam damit Befürchtungen des Wirtschaftsflügels um den neuen Fraktionschef Rainer Brüderle entgegen, die Partei könnte sozialdemokratischer, gar grüner werden. Die Grünen, die andere mit ihrer Lebensauffassung beglücken wollten, könnten niemals eine liberale Partei sein - "und wir wollen niemals eine grüne Partei sein".
"Wir sind keine Ein-Themen-Partei", rief Rösler in Rostock. Das ist zunächst ein Auftrag. Das sieht zwar jeder beim Blick in die liberale Programmatik. Doch nach außen hin wurde sie unter Guido Westerwelle als genau das wahrgenommen - als Partei der reinen Steuersenkung. Das Problem der FDP begann in dem Augenblick, als sie in der Regierung war und nicht halten konnte, was sie einst versprochen hatte.
Zwar hielt Rösler am Doppelziel von Konsolidierung und Steuersenkung, sofern haushaltstechnisch möglich, fest. Für die Steuersenkung aber schob er die Verantwortung in Rostock auf die Union: "Wir sind dazu bereit, wir warten jetzt nur auf unseren Koalitionspartner." Rösler weiß, dass es mit einem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dazu so schnell nicht kommen wird. Damit trägt die FDP die größte Bürde der Westerwelle-Ära erstmal nicht mehr allein.
Rösler sprach in Rostock vieles an: die Beteiligung von Arbeitnehmern an Unternehmen, die Probleme der Integration, die Notwendigkeit von Bildung. Vor allem aber kritisierte er auch den Stil in der Koalition - und damit auch von manchen in der eigenen Partei - mit dem Satz, die Wähler erwarteten von einer bürgerlichen Regierung auch bürgerliche Umgangsformen.
Die Wirklichkeit wird zeigen, was davon bleibt. Es gelte ab Rostock, die Menschen für die Liberalen wieder zu begeistern. Das ist ein großer Anspruch. Rösler fügte in Rostock denn auch hinzu: "Das wird nicht leicht sein."