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Ex-Außenminister Fischer: "Vielleicht das größte Debakel seit Gründung der Bundesrepublik"
Foto: dapdHamburg - Jetzt greift auch noch Joschka Fischer (Grüne) Außenminister Guido Westerwelle (FDP) scharf an. "Das Verhalten der Bundesregierung im Libyen-Konflikt mit der Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat ist ein einziges Debakel", sagte Fischer im Gespräch mit dem SPIEGEL. "Vielleicht das größte außenpolitische Debakel seit Gründung der Bundesrepublik."
Deutschlands Position in der Welt sei dadurch "wesentlich beschädigt" worden, sagte Fischer, der in der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder Außenminister war. Die Liste seiner Vorwürfe ist lang. Westerwelle habe die westlichen Partner vor den Kopf gestoßen. Er verfolge eine "eigenständige Weltpolitik" und suche neue strategische Partnerschaften. Dabei hätten sich die Grundkonstanten der deutschen Lage gar nicht geändert. "Wir sind zu groß, um uns auf eine Rolle wie die der Schweiz zurückzuziehen; wir sind zu klein, um Weltmacht zu spielen", sagte Fischer. "An unserer Verankerung als Teil des Westens festzuhalten, sollte unser höchstes Interesse sein - und vorrangig, ja unverzichtbar ist dabei die Vollendung des europäischen Einigungsprozesses."
Der frühere Außenminister ließ auch an der Europa-Politik der Regierung kein gutes Haar. Der Weg hin zu einer Transferunion sei unvermeidlich. "Wir brauchen mehr Integration. Am Ende müssen die Vereinigten Staaten von Europa stehen", sagte er. Ausdrücklich lobte Fischer die Kritik, die Ex-Kanzler Helmut Kohl vergangene Woche an der Regierung geübt hatte. Dass diese "inhaltlich ähnlich von einem höchst prominenten Schwarzen und einem nicht ganz unbekannten Grünen geäußert wird, muss ja wirklich nicht heißen, dass sie falsch ist".
Westerwelle steht wegen seines Verhaltens in der Libyen-Krise im Kreuzfeuer der Kritik. Es war neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor allem er, der die Bundesrepublik nicht am Militäreinsatz der Nato gegen den Potentaten Muammar al-Gaddafi beteiligen wollte. Die Bundesregierung verärgerte mit dieser Entscheidung viele internationale Partner und provozierte Streit in der schwarz-gelben Koalition.
Jetzt, da das Gaddafi-Regime kollabiert, distanzieren sich immer mehr Koalitionspolitiker von Westerwelle (siehe Zitate-Galerie). Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nun ein deutliches Zeichen gesetzt. In der "Bild am Sonntag" würdigt sie den Beitrag der Nato zum Machtwechsel in Libyen - und bekundet "tiefen Respekt" für den Einsatz.
Auch Führungspolitiker der eigenen Partei düpieren Westerwelle. Unter anderem zollen FDP-Chef Philipp Rösler und FDP-Generalsekretär Christian Lindner dem Nato-Einsatz Respekt - und distanzieren sich dadurch von der Politik des Außenministers.
Westerwelle hatte seine Entscheidung lange lautstark verteidigt - und damit das politische Berlin irritiert. Nun knickt der frühere FDP-Chef ein. "Wir sind froh, dass es den Libyern auch mit Hilfe des internationalen Militäreinsatzes gelungen ist, das Gaddafi-Regime zu stürzen", schreibt Westerwelle in einem Gastbeitrag für die "Welt am Sonntag".
Die Kehrwende könnte zu spät kommen. In FDP-Kreisen kursieren schon Gerüchte über seine Ablösung. Schon in der kommenden Woche könnte der Wechsel vonstatten gehen, heißt es. Als mögliche Nachfolge gelten unter anderem Werner Hoyer, derzeit Staatsminister im Auswärtigen Amt, und Alexander Graf Lambsdorff, Leiter der FDP-Fraktion im Europäischen Parlament. Außenseiterchancen werden Entwicklungsminister Dirk Niebel eingeräumt.
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Guido Westerwelle musste sein Amt als FDP-Chef im Mai 2011 abgeben - einen Posten, den er zehn Jahre innehatte. Jetzt gerät er auch als Außenminister in Bedrängnis.
In seiner Rolle als Minister agierte Westerwelle oft glücklos. Umstritten ist vor allem seine Haltung zum Nato-Einsatz in Libyen: Im März trieb er die deutsche Enthaltung voran. Nach dem Triumph der libyschen Rebellen vermissen viele in der schwarz-gelben Koalition Selbstkritik bei Westerwelle. Schadet er damit nachhaltig seiner politischen Karriere?
Westerwelle hat sich der Politik verschrieben - bereits mit 19 Jahren trat er in die FDP ein. Er gründete die Jungen Liberalen mit und übernahm fünf Jahre lang deren Vorsitz. Er habe die Julis zu einem "kritischen Jugendverband" gemacht, sagte er. Kritik an der "angepassten Kaschmir-Jugend" konnte er nicht nachvollziehen. Westerwelle studierte Jura in Köln und Bonn, später promovierte er und arbeitete als Rechtsanwalt.
Westerwelle, Jahrgang 1961, wurde vom früheren FDP-Chef Klaus Kinkel gefördert und stieg 1994 zum Generalsekretär der Liberalen auf. Die Partei wollte er für "jüngere Wähler attraktiver" machen.
1996 beschloss die FDP ein wirtschaftsliberales Grundsatzprogramm, in dem sie eine deutliche Begrenzung staatlicher Leistung forderte - heftig kritisiert vom linksliberalen Flügel. Westerwelle blieb unbeirrt, er wurde im selben Jahr in den Bundestag gewählt. Das Bild zeigt ihn mit dem damaligen Parteichef Wolfgang Gerhardt (r.), der 1995 die Nachfolge von Klaus Kinkel an der FDP-Spitze antrat.
Westerwelle festigte seine Stellung in der Partei und trat betont lässig auf. Im Parlament legten sich die Liberalen immer wieder - wohlkalkuliert - mit ihrem Koalitionspartner CDU an. Streitpunkte waren unter anderem die Steuerreform, die Wehrpflicht und die von der FDP geforderte Abschaffung der Kultusministerkonferenz.
Westerwelle als Generalsekretär der FDP mit der damaligen Umweltministerin Angela Merkel: 1998 standen Bundestagswahlen an, und die Liberalen mühten sich mit Forderungen nach einer Steuerreform, der Neuordnung von Sozialversicherungen und einer Bildungs- und Privatisierungsoffensive um Wählerstimmen. Doch das Ergebnis fiel mager aus: Die FDP wurde nicht drittstärkste Kraft im Parlament, die erste rot-grüne Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik nahm ihre Arbeit auf. Westerwelles FDP musste in die Opposition.
Zeitungslektüre mit Rainer Brüderle: Auf diesem Bild von 1999 wirken die beiden Politiker schön harmonisch. Daneben saß Wolfgang Gerhardt, der damalige FDP-Bundesvorsitzende.
Ab Januar 2001 führten Westerwelle und Gerhardt die FDP - inzwischen Oppositionspartei - als Tandem. Doch schon vier Monate später wurde Westerwelle neuer alleiniger Parteichef. Die Kapitulation Gerhardts bezeichnete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" damals als das "Meisterstück in Westerwelles Karriere".
Westerwelle ließ sich prompt mit einem "Gelben Trikot" ablichten - und hatte offensichtlich seinen Spaß dabei.
Ein Jahr vor der Bundestagswahl 2001 zeigte Westerwelle, wohin es mit der FDP gehen sollte: ab in den Spaßwahlkampf. Hier ist er noch bei einer Karnevalsveranstaltung zu sehen (er bekam den "Orden wider den tierischen Ernst" in Aachen), doch schon bald irritierte er das Wahlvolk mit ähnlichen Auftritten, bei denen er um Stimmen warb.
Die Liberalen kürten Westerwelle 2002 zum Kanzlerkandidaten, der im Wahlkampf mit dem "Guidomobil" durch Deutschland tourte. Er schüttelte etliche Hände, wagte sich in den "Big-Brother"-Container, lies sich beim Beachvolleyball ablichten - am TV-Duell der Spitzenkandidaten Edmund Stoiber und Gerhard Schröder durfte er trotzdem nicht teilnehmen.
Jürgen Möllemann (r.), schon länger innerparteilicher Rivale, störte Westerwelles Bundestagswahlkampf mit rechtspopulistischen Äußerungen. Auch ein antisemitisches Flugblatt in Nordrhein-Westfalen wurde Möllemann angelastet. Im anschließenden Machtkampf in der Partei setzte sich Westerwelle gegen ihn durch, der Konkurrent muss 2002 von allen Ämtern zurücktreten. Ein Jahr später sprang Möllemann mit dem Fallschirm in den Tod.
Auch Schuhsohlen mit dem Aufdruck "18" für angepeilte 18 Prozent bei der Bundestagswahl zeigten wenig Wirkung: Die FDP verfehlte mit 7,4 Prozent ihr selbstgestecktes Ziel weit. Die SPD bildete eine Koalition mit den Grünen, für die FDP folgten weitere drei Jahre in der Opposition.
Ein triumphales Wahlergebnis konnte Westerwelle bei der Wahl 2009 endlich feiern: Hier winkt er am Abend der Bundestagswahl in die jubelnde Menge. Mit einem Rekordergebnis von 14,6 Prozent schafften die Liberalen den Sprung in die Regierung. Westerwelle selbst übernahm den Posten des Außenministers.
Endlich an der Macht: Guido Westerwelle genoss den erfolgreichen Wahlabend 2009 mit seinem Freund, dem Sportmanager Michael Mronz. Mittlerweile haben die beiden geheiratet. Das Wahlziel war nach vielen Jahren der Misserfolge erreicht, die FDP konnte wieder regieren - doch in den folgenden Monaten stritten die Koalitionäre um Steuersenkungen, Gesundheitssystem und Sparmaßnahmen. Der Start der "Wunschpartner" war holprig.
Nach den Querelen im ersten Jahr von Schwarz-Gelb stieg der Druck auf FDP-Chef Westerwelle: Immer lauter wurden die Forderungen, er müsse einen Teil seiner Aufgaben abgeben. Auch allgemeine Kurskorrekturen wurden verlangt, weil die FDP derart in der Krise steckte. Westerwelle konzentrierte sich im zweiten Halbjahr 2010 auf die Außenpolitik.
Doch die miesen Umfragewerte sorgten in der Partei für Unruhe - und für eine Führungsdebatte, die damit endete, dass Westerwelle nicht mehr für den FDP-Vorsitz kandidierte. Diesen Posten übernahm Philipp Rösler.
Westerwelle blieb Außenminister. Doch jetzt machen Gerüchte über seine Ablösung die Runde.
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