Nato, Uno-Einsätze, Russland Linke diskutiert radikalen Kurswechsel in der Außenpolitik

Die Bundeswehr ist ein heikles Thema in der Linken
Foto: Patrik Stollarz / AFPDie Linke hat sich schon über viele Themen zerstritten, aber keines hat die Bedeutung von Außenpolitik und Armee. Einerseits, weil die Partei sich als Friedenskraft definiert und allem Militärischen mit Misstrauen begegnet. Andererseits, weil diese Politik und die Nähe zu manchen autoritär regierten Ländern wie Russland ein Regierungsbündnis im Bund bislang kaum vorstellbar machte.
Matthias Höhn will das Selbstverständnis als Friedenskraft bewahren, aber im Grunde alles andere verändern.
Höhn ist sicherheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion, Reformer, und hat ein Diskussionspapier an die anderen linken Abgeordneten geschickt, das ein ganz neues außen- und sicherheitspolitisches Programm der Linken skizziert. Es liegt dem SPIEGEL vor.
Man könnte sagen: Es stellt eherne Prinzipien infrage. Man könnte auch sagen: Es rüttelt an überalterten Dogmen. In jedem Fall eröffnet es eine Diskussion, um die die Linke in diesem Wahljahr kaum herumkommt.
»Die Welt dreht sich weiter – auch sicherheitspolitisch«, schreibt Höhn. Doch »die Partei vermeidet die Diskussion darüber.«
Auf sieben Seitens spricht er alle zentralen Streitfragen der Partei an:
das Verhältnis zur Nato,
zur Ausstattung der Bundeswehr,
zur EU
und zu Auslandseinsätzen im Rahmen der Uno,
die Haltung zu den USA und Russland.
Seine Antworten dürften für Widerspruch sorgen.
1. Freunde und Gegner
»Es wird höchste Zeit, dass die Linke Antworten findet, die jenseits ausgedienter Freund-Feind-Bilder zu finden sind«, schreibt Höhn. Nur wer Vertrauen genieße, könne vermitteln. Die Linke müsse dazu auf das Völkerrecht beharren und in alle Richtungen gleich anwenden.
»Ein nicht-mandatierter amerikanischer Luftschlag in Syrien, ein Einmarsch türkischer Truppen in ein Nachbarland oder der Einsatz von verbotenem Nervengift in Russland – wer glaubwürdig sein und Vertrauen aufbauen will, darf nicht mit zweierlei Maß messen«, schreibt er.
Soll heißen: Schluss mit ritualisierter Gegnerschaft zu den USA, aber auch mit dem milden Blick auf Autokratien, wie ihn Außenpolitikerinnen und Außenpolitiker der Partei wie Heike Hänsel (Venezuela), Sevim Dağdelen (China) oder Alexander Neu (Russland) pflegen.
Zuletzt hatte ausgerechnet Gregor Gysi, Ex-Parteichef und außenpolitischer Sprecher, die Schuld Russlands am Mordanschlag auf Alexej Nawalny in Zweifel gezogen – trotz detaillierter Belege. Schon da hatte sich Höhn anders geäußert.
2. Verbleib in der Nato
Dass die Linke keinen sofortigen Nato-Austritt anstrebt, ist mittlerweile klar. Auch wenn manche das noch immer gut fänden. Offiziell will man darauf hinarbeiten, die Nato durch ein europäisches Sicherheitsbündnis abzulösen.
Höhn schreibt, dass ein kurzfristiger Austritt kein Beitrag zur Stabilisierung wäre: »Im Gegenteil. Wer internationale Bündnisstrukturen aufkündigt, ohne in anderen aufzugehen, beschreitet nur den Weg der Nationalisierung von Sicherheitspolitik. Erst stabile europäische Sicherheitsstrukturen können Türöffner für einen solchen Weg sein.«
Eine Mitgliedschaft passe auch zu einem Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag, wofür Höhn ebenfalls plädiert. Es wäre das Ende von US-Atomwaffen in Deutschland. Das ist eine Position, die in der Partei breite Unterstützung haben dürfte.
3. Bundeswehr ausstatten
Höhn will auch das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht abschaffen – aber es neu auslegen. Statt zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in Rüstung zu stecken, plädiert er für ein Prozent in Rüstung und ein Prozent in Entwicklungszusammenarbeit. Das hieße: Der Wehretat würde nicht weiter steigen. Es wäre dennoch ein Bekenntnis zu einer dauerhaft finanzierten Armee, die nur noch, aber immerhin 150.000 Soldatinnen und Soldaten stark sein sollte.
»Solange die Linke keine kurzfristige Auflösung der Bundeswehr fordert, sondern richtigerweise auf eine Neudefiniton ihrer Aufgabe orientiert«, schreibt Höhn, müsse sie »in der Lage sein zu definieren, welche Mittel sie dafür aufwenden will.« Bisher stimmt die Linke aber üblicherweise gegen Rüstungsprojekte: »Pauschale Ablehnung ist kein sicherheitspolitisches Konzept.«
4. Europäische Streitkräfte
Für die Linke seien die EU und Sicherheitspolitik völlig getrennte Dinge, schreibt Höhn: »Das ist ein Fehler«. Wenn die EU strategisch unabhängig sein wolle, müsse sie sich auch sicherheitspolitisch verständigen.
»Dazu gehörten in letzter Konsequenz auch die Abgabe der alleinigen nationalen Hoheit über das Militär und der Ersatz zumindest relevanter Teile der nationalen Armeen durch gemeinsame europäische Streitkräfte.« Eine EU-Armee, deutsche Soldaten, über deren Einsatz nicht allein der Bundestag befindet – es ist eine der in der Partei wohl kontroversesten Passagen.
5. Auslandseinsätze unter Uno-Mandat
Kontrovers ist auch der Abschnitt zu den Vereinten Nationen: Die Linke tue sich schwer mit einem klaren Bekenntnis zur Uno. Die Verantwortung der Uno, in bewaffneten Konflikten einzugreifen, lehne die Linke ab oder blende sie aus: »Doch das wird aus meiner Sicht weder internationalen Erfordernissen noch denen einer in sich schlüssigen Position gerecht. Denn dieser Teil der Charta ist der völkerrechtskonforme Gegenentwurf zu dem Wild-West-Denken der Cowboys dieser Welt.«
Höhn verweist auf das Gutachten mehrerer Friedensforschungsinstitute , das er unterstütze. Darin stehe ein Plädoyer »für ein stärkeres Engagement Deutschlands in UN-Friedensmissionen«, also in Blauhelmeinsätzen. Außerdem solle Deutschland »bei der Finanzierung der Friedensmissionen für eine größere finanzielle Unabhängigkeit dieser Missionen Sorge (...) tragen«.
Eine Alternative sehe er nicht, denn es sei weder akzeptabel, außerhalb der Uno zu agieren, noch sei es akzeptabel, »kein internationales Engagement zur Friedenserhaltung« zu zeigen.
Feste Finanzierung der Bundeswehr, Integration in eine EU-Armee, Bereitschaft zu Blauhelmeinsätzen und mehr Geld für Uno-Missionen, Verbleib in der Nato, mehr Distanz auch zu Russland: Höhn steht damit gegen die meisten anderen bekannten Außenpolitiker der Linken. Die Parteispitze, die die Linke regierungsbereit machen möchte, dürfte dagegen mit mehr Wohlwollen auf das Papier schauen.
Er wolle, schreibt Höhn zum Schluss, ein Diskussionsangebot machen und Debatten in der Partei anstoßen. Die Chancen stehen gut, dass ihm das gelingt.