Linke in Bremen Mosaik des Chaos

Was die Linke in Hessen und Niedersachsen schaffen will, hat sie in Bremen erreicht: Man sitzt im Parlament. Doch dort tut die Fraktion alles dafür, bald wieder außerparlamentarische Opposition sein zu dürfen. Vor allem die Affäre um ihren liebestollen Geschäftsführer entzweit die Genossen.

Hamburg/Bremen - "Ich bin wieder in Bremen", sagt Sirvan-Latifah Çakici. Sie klingt ein wenig heiser, erst gestern ist Çakici mit dem Flugzeug aus der Türkei zurückgekehrt. Zehn Tage war die Linke-Abgeordnete der Bremer Bürgerschaft in Istanbul und Izmir, "es war mein erster Urlaub seit zehn Jahren", sagte sie SPIEGEL ONLINE.

Den hatte sie in jedem Fall nötig. Denn die aparte junge Frau hat außergewöhnlich anstrengende Monate hinter sich.

Dass die Linken in Bremen nur wenige Monate nach dem gloriosen Einzug in die Bürgerschaft - dem ersten in ein westdeutsches Landesparlament - fast schon wieder am Ende sind, hat vor allem mit der stellvertretenden Fraktionschefin Çakici zu tun: Der Geschäftsführer der Linken-Fraktion Manfred Steglich hatte sich in die türkisch-stämmige Kurdin verliebt - und verlor dabei offenbar jedes Maß. Zwar kündigte man daraufhin dem stalkenden Linken, genauso wie seinem Stellvertreter. Doch damit war das Problem nicht gelöst, weil sich einige Genossen mit Steglich solidarisierten.

Nach dessen Rausschmiss machten sie auf einer Sitzung der Bürgerschaft am 12. Dezember Stimmung für den Gekündigten - und gegen sein Opfer. Steglich sei ein "unbescholtener Mann", als könne sein penetrantes Werben als Kavaliersdelikt abgetan werden. Sirvan-Latifah Çakici kann das nicht verstehen: "Da hat ein älterer Mann eindeutig seine Grenzen überschritten", sagt sie.

"Du süße, verbotene Frucht" und ähnliche SMS

Steglich, ehemals Mitglied der WASG, scheint im Wortsinn dem Liebeswahn verfallen zu sein. Der Geschäftsführer belästigte Çakici mit begehrlichen Botschaften, per Handy oder E-Mails. "Du süße, verbotene Frucht", hieß es schwärmerisch - Çakici, 27, empfand das von dem 23 Jahre Älteren allerdings als wenig schmeichelnd. Doch der Sozialwissenschaftler erhöhte den Druck, als er schmachtete: In "tiefer, schwarzer Nacht " sei ihm klar geworden, ohne sie nicht mehr leben zu können. Auch diese Drohung ließ Çakici kalt. Die Bedrängte blieb nicht nur standhaft - sie informierte die Parteiführung in Berlin.

Bodo Ramelow, West-Beauftragter der Linken und Fraktionsvize im Bundestag, nahm sich sofort der Sache an - und entsandte einen Vertrauten nach Bremen. "Stalking-ähnliches Verhalten", monierte schließlich der Fraktionsvorstand, der den Fall zunächst intern debattiert hatte - und entließ den Geschäftsführer samt Stellvertreter. Steglich klagt nun vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung.

Doch die Stalking-Affäre ist nur ein Teilchen aus dem Chaos-Mosaik der Bremer Linken. Da wäre beispielsweise die Fraktions-Pressesprecherin, die nach drei Tagen im Oktober wieder ihre Sachen packte. Die Erfahrungen von Montag bis Donnerstag schienen ihr eine weitere Zusammenarbeit unmöglich zu machen. Mancher wundert sich in Bremen auch über die Auffassung der Linke-Abgeordneten von professioneller politischer Arbeit: Monique Troedel beispielsweise - immerhin Co-Vorsitzende der Fraktion - hält es nicht für nötig, sich privat einen Computer mit E-Mail-Verbindung zu leisten. Dafür hat sie ein sogenanntes Kombi-Faxgerät. Troedel ist übrigens Vorsitzende des "Ausschuss für Informations- und Kommunikationstechnologie und Medienangelegenheiten" in der Bürgerschaft.

"Natürlich haben wir Probleme", sagt Sirvan-Latifah Çakici. "Wir müssen professioneller werden." Ähnlich eindeutig sieht das Bodo Ramelow. Gerade die Vorgänge um Çakici seien unerträglich gewesen, in erster Linie für die Betroffene, findet der Linke-Mann für den Westen. Etwas Gutes habe die unsägliche Affäre allerdings: "Alle neuen Fraktionen sind jetzt noch besser beraten, sich von uns sehr professionell unterstützen zu lassen", sagte er SPIEGEL ONLINE. Erst gestern habe man sich deshalb mit den potentiellen Mitgliedern der hessischen und niedersächsischen Fraktionen zusammengesetzt.

Die Linke will ähnliche Vorgänge verhindern

Allerdings: Das Linken-Chaos in Bremen dürfte die Chancen für Wiesbaden und Hannover sicher nicht verbessern.

Sollte es aber doch klappen mit dem Einzug ins Parlament, will die Berliner Parteiführung Ereignisse wie in der Bürgerschaft verhindern. Auch wenn Ramelow darauf hinweist, dass es ähnliche Vorfälle überall geben könne, an jedem Arbeitsplatz in Deutschland.

Nur: Im Fall der Bremer Linken scheint sogar möglich zu sein, dass der geschasste Geschäftsführer mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht Erfolg hat. Das befürchtet jedenfalls Ramelow. Denn von wem war der Vertrag mit Geschäftsführer Steglich aufgesetzt worden? Genau, von Geschäftsführer Steglich höchstselbst.

Und Sirvan-Latifah Çakici? Die wirkt wieder ziemlich gefasst und guter Dinge. Obwohl sie sich "schon über manche Berichte wundert": Natürlich hätten die Kollegen in Bremen nicht aus der Zeitung von ihrer Reise in die Türkei erfahren. Das sei alles abgesprochen gewesen. Und es sei auch keine "Auszeit" gewesen, sie habe eben dies und das in der Heimat ihrer Eltern getan und erledigt.

Viele türkische Medien, die sehr breit über ihren Fall berichten, seien inzwischen voll des Lobes, erzählt sie. Der Tenor: Es sei doch eher unwahrscheinlich, dass sich in der Türkei bei einem solchen Vorgang am Ende die bedrängte Frau durchsetzen würde.

Dem Landtags-Wahlkampf der Linken nützt das allerdings wenig.

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