Die Linke Splitter-Partei

Beim Linken-Parteitag in Leipzig war es unübersehbar: Immer mehr alte Weggefährten wenden sich von Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch ab. Wackelt deren Bündnis in der Fraktion?
Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht

Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht

Foto: Britta Pedersen/ dpa

Seine Rede ging fast ein wenig unter auf diesem kuriosen Linken-Parteitag. Die Wahl der Vorsitzenden, der Streit, die wilden Szenen nach Sahra Wagenknechts Auftritt bestimmten die Schlagzeilen. Dabei hatten es auch die Worte von Dietmar Bartsch in sich.

Es war Samstagabend, als der Fraktionsvorsitzende auf die Bühne des Leipziger Congress Centers trat. Bartsch berichtete zunächst aus dem Bundestag, lobte den Einsatz der linken Abgeordneten, kritisierte ein wenig auf die Regierung. Nichts Besonderes.

Doch dann brach es aus Bartsch heraus: "Wir werden die Konflikte nicht dadurch lösen, dass wir uns gegenseitig als Rassisten, als Nationalisten oder als neoliberale Naivlinge bezeichnen", schimpfte er. Da ging es noch um die Vorwürfe zwischen den Lagern von Wagenknecht und Parteichefin Katja Kipping.

Jetzt aber wurde Bartsch persönlich, hob den Zeigefinger: "Und diejenigen, die meinen, wenn jemand vermittelt, ihn Opportunisten nennen zu müssen", rief er in den Saal, "die sind im Übrigen auch ganz große Pfeifen".

Bei Reformern rumort es

Es ist wohl Bartschs emotionale Reaktion, auf das, was im eigenen Lager passiert: Im Reformerflügel rumort es, einige Pragmatiker fühlen sich ihm nicht mehr repräsentiert. Die Kritik: Ihr bekanntester Vertreter wehre sich nicht entschieden genug, wenn seine Co-Fraktionschefin Wagenknecht etwa in der Migrationspolitik polarisiere.

Seit Monaten geht das schon so, doch jetzt hat sich der Ärger Bahn gebrochen: Wenige Stunden vor Beginn des Parteitags veröffentlichte Udo Wolf, Linken-Fraktionschef in Berlin, einen Brief. Die weiteren Unterzeichner: Carola Bluhm, die mit Wolf die Berliner Fraktion führt, Anja Mayer, Landesvorsitzende in Brandenburg, Sandra Brunner, Vizeparteichefin in der Hauptstadt.

Ihr Schreiben richteten sie an das "Forum Demokratischer Sozialismus" (fds) - jene zentrale Reformerplattform, der sie selbst lange angehört hatten - und die stets als Bartschs Hausmacht galt. Es ist eine Austrittserklärung.

Gegen Programm verstoßen

"Durch das fds geht ein tiefer Riss", schreiben die Verfasser. Es gehe um die Frage, ob die Reformer in der Partei "aus Freundschaft und Loyalität eine politische (Macht-)Konstellation" unterstützen, "die inhaltlich das Gegenteil unseres Gründungskonsenses propagiert".

Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Andere verstießen gegen Teile des Linken-Programms. "Mit Rücksicht auf das Machtgefüge in der Bundestagsfraktion" falle die fds-Kritik daran "verhalten aus", echauffieren sie sich.

Der Austritt der vier ist ein Schlag für Bartsch. Es ist klar, dass sich die Kritik auch gegen ihn richtet. Dem SPIEGEL sagt Bartsch später, er habe sich in seiner Rede nicht auf die Austritte bezogen, sondern andere in der Partei gemeint. Namen nennt er nicht.

Doch im Reformerlager fühlt man sich angesprochen. Auch unter jenen, die noch fds-Mitglieder sind, hat sich Frust und Enttäuschung breitgemacht. Bartsch habe mit seiner Rede niemandem einen Gefallen getan, heißt es nun. An anderer Stelle ist zu hören, man habe Bartsch an der Fraktionsspitze überschätzt.

Bartsch bei seiner Rede in Leipzig

Bartsch bei seiner Rede in Leipzig

Foto: Britta Pedersen/ dpa

Grund für den Ärger ist das sogenannte Hufeisen, ein Bündnis, das Reformer und das linke Wagenknecht-Lager geschmiedet haben. Jahrelang standen sich beide Seiten unversöhnlich gegenüber. Als Gregor Gysi 2015 als Fraktionschef zurücktrat, suchte die Partei nach einem Weg, die Pole zusammenzubringen. Die Lösung: Wagenknecht und Bartsch sollten gemeinsam die Fraktion führen.

Ein Zweckbündnis. Doch genau darin liegt das Problem. Der Wille zur Eintracht macht die Allianz der Flügel stabil, weniger die geteilten Grundwerte.

Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter und fds-Mitgründer, bedauert die jüngsten Austritte. Diese seien "ein Signal, die fälligen Diskussionen im Reformerlager noch intensiver zu führen". Das Hufeisen stehe "von beiden Seiten unter Druck - das ist offensichtlich", sagte er. "Das ändert aber nichts an der Zusammensetzung der Fraktion."

Bereits Verschiebungen

Doch Verschiebungen hat es bereits gegeben. Auch das klassischen linke Lager bröckelt. Ein Teil der Wagenknecht-Anhänger hat der Fraktionschefin wegen deren Äußerungen in der Flüchtlingspolitik den Rücken gekehrt. Sie halten jetzt zu Parteichefin Katja Kipping.

Niema Movassat ist einer von ihnen. "Ich habe das Hufeisen früher unterstützt, weil die Hoffnung bestand, dass es den Konflikt in der Partei befriedet", sagte der Abgeordnete. "Das hat nur ganz am Anfang geklappt."

Was bedeutet es für die Schlagkraft der Fraktion, wenn sich die Chefs der Loyalität ihrer alten Unterstützer im und außerhalb des Parlaments nicht mehr sicher sein können? Movassat sagt: "Auf lange Sicht schwächt es die Vorsitzenden." Bartsch selbst sagt: "Wir hatten bisher nie Probleme, Mehrheiten zu bekommen."

Unklare Verhältnisse

Ein Bruch mit einem oder gleich zwei der prominentesten Parteipolitiker - davon ist die Fraktion wohl noch weit entfernt. Die Folgen wären kaum vorhersehbar, zu zerstritten ist die Partei, zu unklar die Verhältnisse: Wagenknecht, Reformer, Kipping - in Leipzig bekamen im Grunde alle Lager Applaus, mussten aber auch Niederlagen einstecken. Trotzdem sagt Movassat: "Ein Ende des Hufeisen-Bündnisses wäre ein Beitrag dazu, dass es wieder mehr Versuche geben müsste, alle einzubinden."

Heike Hänsel, Vize-Fraktionschefin, sieht das anders. Sie ist eine Vertraute von Wagenknecht: Die habe "großen Zuspruch" auf dem Parteitag erhalten. "Alle Ausgrenzungsversuche sind kläglich gescheitert." Die Fraktion, sagt sie, sei sogar gestärkt.


Zusammengefasst: Für die Linken-Fraktionschefs Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht könnte die Arbeit künftig schwieriger werden. Sie stehen für ein strategisches Bündnis der beiden großen Lager der Linken: Hardliner und Reformer. Doch die Machtverhältnisse verschieben sich und einstige Weggefährten gehen auf Distanz zu den Vorsitzenden.

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