Linke-Spitzenpolitiker Lafontaine sieht Ende des Euro kommen

Oskar Lafontaine, Chef der saarländischen Linksfraktion: "Sparkassen statt Zockerbuden"
Foto: dapdSPIEGEL ONLINE: Herr Lafontaine, Sie sind als Mahner in der Euro-Krise bekannt. Wie lautet Ihre Prognose: Wird der Euro überleben?
Lafontaine: Wenn die europäischen Regierungen weiter so herumwursteln, glaube ich nicht, dass es ihn noch lange geben wird.
SPIEGEL ONLINE: Was müsste Ihrer Meinung nach denn geschehen, um ihn zu retten?
Lafontaine: Das Euro-System ist falsch konstruiert: Zwar gibt es eine gemeinsame Währung, dafür driften die Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Lohnpolitik auseinander. Das funktioniert nicht. Vor allem das deutsche Lohndumping hat dazu geführt, dass wir den europäischen Ländern viel mehr Waren verkaufen als umgekehrt diese uns. Dies muss mit Krediten bezahlt werden und führt zu steigender Verschuldung. Wenn das deutsche Lohndumping nicht beendet wird, hat der Euro keinen Bestand.
SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie im Ernst sagen, dass durch Lohnerhöhungen in Deutschland der Euro gerettet würde?
Lafontaine: Stärkere Lohnerhöhungen in Deutschland sind ebenso notwendig wie Investitionen in den wirtschaftlich schwächeren europäischen Staaten. Da wir keine Wechselkursanpassung mehr haben, sollten alle Euro-Staaten auf eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik verpflichtet werden.
SPIEGEL ONLINE: Finanzminister Wolfgang Schäuble ist nach eigenen Worten davon überzeugt, dass die EU mit ihren beim Brüsseler Gipfel geplanten Maßnahmen zur Reform der Europäischen Währungsunion die Schuldenkrise in den Griff bekommt. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Lafontaine: Das ist eine völlige Verkennung der Situation. Es ist den Banken jetzt gelungen, die Staaten zu den Schuldigen der Fehlentwicklung zu erklären. Leider plappern die meisten Politiker diesen Unsinn nach. Vor zwei Jahren haben die Staatsmänner und -frauen der Welt erkannt, dass die deregulierte Bankenwelt zu riesigen Zusatzausgaben geführt hat, weil die Banken gerettet werden mussten. Mit anderen Worten: Die deregulierte Finanzwelt ist eine gigantische Schuldenmaschine. Wenn man diese Maschine nicht abstellt - die Banken also nicht verkleinert und strengen Regeln unterwirft -, wird die Verschuldung immer weiter ansteigen.
SPIEGEL ONLINE: Die Banken als Hauptverantwortliche für die Krise, ist diese Sichtweise nicht sehr vereinfacht? Viele EU-Länder haben in der Vergangenheit über ihre Verhältnisse gelebt, sie haben mehr Geld ausgegeben als eingenommen, unter anderem auch, um soziale Wohltaten zu verteilen. Damit haben sich die Länder doch selbst in die Abhängigkeit der Finanzmärkte begeben.
Lafontaine: Nein. Das deutsche Beispiel zeigt - ich nenne nur die HRE, die Commerzbank, die IKB oder die Landesbanken -, dass die von den Banken ausgehenden Schuldenexplosionen gar nichts mit den Sozialausgaben zu tun haben. Irland und Spanien hatten, bevor ihre Banken floppten, kein Schuldenproblem. Es wäre fatal, wenn die europäischen Regierungen sich wieder auf den Irrweg begeben würden, in den Sozialausgaben das Hauptproblem zu sehen. So kommt es zu einer absurden Politik: Statt sich endlich aus der Diktatur der Finanzmärkte zu befreien, wird die Agenda 2010 auf die EU-Länder übertragen. Das Ergebnis ist, dass die Wirtschaft abgewürgt wird und die Schulden immer weiter ansteigen. Wir haben jetzt zwei Schuldenmacher: Die Banken auf der einen Seite und Angela Merkel und Nicolas Sarkozy mit ihren Austeritätsprogrammen auf der anderen Seite.
SPIEGEL ONLINE: Die Bundesbank ist bereit, dem Internationalen Währungsfonds zusätzliche Kreditlinien von bis zu 45 Milliarden Euro einzuräumen - verlangt dafür aber die Zustimmung des Bundestags. Zusätzliche Kredite - das müsste Ihnen doch eigentlich gefallen.
Lafontaine: Diese Vorschläge lösen das Problem nicht. Um die europäischen Staaten von der Abhängigkeit der Finanzmärkte zu befreien, muss es eine direkte Kreditvergabe von der EZB an die Staaten geben, selbstverständlich mit strengen Auflagen. Dazu müssen auch deutliche Kürzungen der Militärausgaben gehören. Es ist ein Treppenwitz, dass die größten Kunden Deutschlands bei der Waffenindustrie ausgerechnet die Euro-Krisenländer Griechenland und Portugal sind. Wir brauchen vor allem eine europäische Vermögensabgabe. Das Geldvermögen der europäischen Millionäre ist in etwa so groß wie die gesamten Schulden der europäischen Staaten.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Modell würde womöglich eine Zunahme der Inflation bedeuten. Viele Bundesbürger sorgen sich schon jetzt davor. Wie wollen Sie denen das erklären?
Lafontaine: In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass trotz der aus dem Ruder laufenden Finanzmärkte und der Spekulation auf Grundstoffe wie Öl und Nahrungsmittel eine Inflation wie in früheren Jahrzehnten nicht eingetreten ist. Inflation gibt es vereinfacht gesprochen dann, wenn mehr Geld in die Geldbeutel der kleinen Leute kommt. Das deutsche Lohndumping, die Renten- und Sozialkürzungen, hatten zur Folge, dass davon keine Rede sein kann.
SPIEGEL ONLINE: Die bisherigen Lösungsansätze für die Neuordnung der Finanzmärkte seien "zu klein für die Größe der uns beschäftigenden Probleme", sagte jetzt Bundespräsident Christian Wulff. Wie könnte der große Wurf aussehen?
Lafontaine: Ein klassischer Liberaler müsste jetzt sagen: Alle Banken müssen so klein gemacht werden, dass sie nicht mehr systemrelevant sind. Das hieße etwa, die Deutsche Bank dürfte nicht ein Bilanzvolumen in der Größenordnung von 2000 Milliarden Euro haben, sondern allenfalls von 200 Milliarden oder besser noch weniger. Wir als Linke sind für ein öffentlich-rechtliches und stark reguliertes Bankensystem. Die Kurzformel lautet: Sparkassen statt Zockerbuden. Nur so kriegen wir die gigantische Geldvernichtungsmaschinerie gestoppt.
SPIEGEL ONLINE: Der angesehene Harvard-Ökonom Martin Feldstein ist jetzt zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich beim Euro um ein teures Experiment handelt, das mehr Schaden als Nutzen bringt. Ist die Währungsunion etwa ein historischer Fehler?
Lafontaine: Das Euro-System war von Anfang an falsch konstruiert. Ohne eine abgestimmte Wirtschafs-, Sozial- und Fiskalpolitik und vor allem ohne eine Koordinierung der Lohnpolitik kann eine gemeinsame Währung nicht funktionieren. Wenn sich die Löhne im EU-Raum so stark auseinanderwickeln wie in den vergangenen Jahren, ist das Instrument der Ab- und Aufwertung von Währungen unverzichtbar.
SPIEGEL ONLINE: Angela Merkel gibt am Mittwoch eine Regierungserklärung zu den Beschlüssen des Europäischen Rats in der vergangenen Woche ab. Was erwarten Sie von der Kanzlerin?
Lafontaine: Dass sie brav ihre Irrtümer wiederholt. Frau Merkel versteht - siehe ihre frühzeitige Ankündigung nach Gläubigerbeteiligung und ihr jetziges Umfallen in dieser Frage -, die Reaktion der Finanzmärkte nicht. Weil die europäischen Staaten vor dieser Ankündigung nicht von den Finanzmärkten abgekoppelt wurden, hat sie dazu beigetragen, dass die Zinsen in der Folge immer weiter nach oben schossen. Sie versteht außerdem nicht - siehe Griechenland -, dass man sich nicht aus der Krise heraussparen kann. Zusammen mit Frankreichs Staatspräsident Sarkozy würgt sie die griechische Wirtschaft ab. Dadurch sinken die Einnahmen des griechischen Staates drastisch, es müssen immer höhere Kredite aufgenommen werden. Dieses irrsinnige Rezept will Merkel auf die anderen europäischen Staaten übertragen.
SPIEGEL ONLINE: Aber mit Verlaub, Herr Lafontaine, wie sollen denn diese Länder mit ihren Milliardenschulden anders aus der Krise kommen als auch durch Sparen?
Lafontaine: Nur wenn die Wirtschaft wächst, steigen die Staatseinnahmen und die Ausgaben sinken. Ein Staat ist keine schwäbische Hausfrau. Wenn die Hausfrau zu viel Geld ausgibt, kann sie durch Sparen ihr Budget wieder in Ordnung bringen, weil ihre Einnahmen gleich bleiben. Wenn der Staat - siehe Griechenland - zum falschen Zeitpunkt spart, brechen die Steuereinnahmen ein und die Schulden werden immer größer. Wirkungsvoller als Sparen ist die Erhöhung der Einnahmen durch eine gerechte Steuerpolitik zu Lasten der Besitzer großer Vermögen und der Bezieher hoher Einkommen.