Der Aufstieg der Grünen stellt die Linke vor ein Dilemma. Im Wahlkampf müssen die Genossen angreifen. Dabei sind sie längst abhängig vom Erfolg der Ökopartei.
Folgt man der Prognose mancher Linker, entscheidet sich 2021 das Schicksal der Partei. Zwei Szenarien gibt es demnach für die Genossen: Das eine klingt nach einer strahlenden Zukunft. Das andere eher apokalyptisch.
In diesem Jahr, heißt es oft, könnten die Linken so einflussreich werden wie noch nie seit ihrer Neugründung 2007. In Thüringen wollen sie Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten verteidigen, in Mecklenburg-Vorpommern das nächste rot-rot-grüne Bündnis schmieden, in Berlin Klaus Lederer zum Regierenden Bürgermeister machen. Und natürlich wollen sie endlich auch im Bund an die Macht.
Soweit der Sozialistentraum.
2021 könnte aber auch das Jahr werden, in dem die Genossen ihre Pleitenserie fortsetzen, in dem sie bei der Bundestagswahl unter die Fünfprozenthürde fallen. Es wäre, auch davor warnen manche Linke, der Anfang vom Ende für die Partei.
Nur mit den Grünen an die Macht
Nun muss man diese Extremanalyse nicht teilen. Aber klar ist: Was aus den Genossen in diesem Jahr wird, liegt nicht allein in ihren eigenen Händen, besonders im Bund nicht.
Vor allem von einer Partei hängt das Wohl der Linken ab: Die Grünen sind inzwischen die Partei, die im bürgerlichen Lager punkten und somit einem Mitte-links-Bündnis zur Mehrheit verhelfen könnte – die einzige Machtoption für die Linken.
Linkenchefs Bernd Riexinger, Katja Kipping mit dem Grünenvorsitzenden Robert Habeck (Archiv)
Foto: Jens Schicke / imago images
Während etwa die SPD wohl leicht für Rot-Rot-Grün zu begeistern wäre, sind die Grünen aber auch die Partei, die sich alles offen hält. Vielmehr noch: Seit Monaten umgarnen grüne Spitzenpolitiker die Union, gerieren sich sogar als Verteidiger der Regierung in der Coronakrise. Selbst Grünenfraktionschef Anton Hofreiter, eigentlich ein Parteilinker, findet im SPIEGEL-Interview kaum ein nettes Wort für die Linken.
Flehentlicher Appell
Wie sehr sich die Genossen um den Kurs der Grünen sorgen, lässt sich auch am Sonntag beim traditionellen Jahresauftakt der Linken beobachten.
In ihrer digital übertragenen Rede richtet die scheidende Linkenchefin Katja Kipping einen geradezu flehentlichen Appell an die Ökopartei. »In Richtung der Grünen«, sagt Kipping: »Die sozial-ökologische Wende ist nur mit uns, mit einer starken Linken, möglich. Alle, die auf Schwarz spielen, können ihr grünes Wahlprogramm eigentlich jetzt schon in die Tonne treten.«
Der Aufstieg der Grünen stellt die Linkspartei vor ein Dilemma, das in der Partei seit Jahren für heftige Kontroversen sorgt. Denn die Grünen sind für die Genossen nicht nur Wunschpartner, sondern auch Konkurrent im Wahlkampf. Inhaltlich und kulturell sind die Schnittmengen der Parteien unübersehbar. Gerade in den Städten bedienen beide inzwischen ähnliche, mitunter identische Milieus.
Miese Kompetenzwerte
Gleichzeitig hadern die Linken, weil mit dem Klimaschutz das Markenthema der Grünen die politischen Zukunftsdebatten prägen wird. Laut Umfragen halten die Menschen die Linken auf diesem Feld für völlig inkompetent.
Die Parteispitze will das schon lange ändern. Das lässt sich auch aus den wirtschaftspolitischen Leitlinien herauslesen, die die Vorsitzenden Kipping und Bernd Riexinger gemeinsam mit Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler und Schatzmeister Harald Wolf am Sonntag veröffentlichen.
Das Papier knüpft an die Coronakrise an, ist jedoch deutlich mehr: Es ist der inhaltliche Aufschlag zum Programmprozess der Linken und damit zur Bundestagswahl. Und es reiht sich ein in die Bemühungen, den Markenkern der Linken (Soziales) mit dem langfristigen Megathema (Klimaschutz) zu verbinden.
Gegen Autobahnen und Inlandsflüge
»Umsteuern jetzt. Für einen sozial-ökologischen Weg aus der Krise«, lautet der Titel des Textes. Und die Verfasser machen gleich klar, was das für sie bedeutet. »Der Klimawandel zerstört die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen«, schreiben sie. »In den nächsten Jahren müssen wir den Umbau zu einer CO2-freien energie- und ressourcensparenden Wirtschaft und Infrastruktur schaffen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.«
Schärfer könnten es auch die Grünen kaum formulieren.
Die Linken stellen eine Reihe konkreter Forderungen auf. Sie werben für eine »ökologische und soziale Verkehrswende«, wenden sich gegen Autobahnausbau, wollen Inlandsflüge perspektivisch komplett einstellen, Regionalflughäfen stilllegen, die Bahn stärken.
Gleichzeitig setzen sie sich für einen ökologischen Umbau der Industrie ein – mit dem Ziel, 2035 CO2-neutral zu produzieren. Unterstützen wollen die Genossen das mit einem staatlichen Transformationsfonds in Höhe von 20 Milliarden Euro.
Angebot und Attacke
Natürlich muss nach Ansicht der Linken parallel der Sozialstaat massiv ausgebaut werden. Das heißt: Verstaatlichung von Krankenhäusern, mehr Geld für Pfleger und Pflegerinnen, Ausweitung von Tarifverträgen, eine Anhebung des Mindestlohns auf 13 Euro – und aktuell ein Corona-Zuschlag auf Sozial- und Transferleistungen.
Riexinger und Kipping bei einer Pressekonferenz zum Jahresauftakt der Linken
Foto: Christophe Gateau / dpa
Um all das zu finanzieren, fordern die Linken eine Abschaffung der Schuldenbremse, eine Vermögensabgabe und die Einführung einer Vermögensteuer. Außerdem wollen sie beim Militär sparen – und bei »klimaschädlichen Subventionen«.
Sicher, all das kann man auch als Angebot an die Grünen sehen. Das Signal: Mit keiner Partei wäre es für die Grünen so leicht, ihre klimapolitischen Forderungen umzusetzen wie mit den Linken. Und tatsächlich: Sollten sich die Grünen nach der Bundestagswahl ihre Partner aussuchen können und sich dennoch für die Union entscheiden, brächte sie zumindest in Erklärungsnöte.
Umstrittener Ökosound
Gleichzeitig aber dürfte das Linkenprogramm im Wahlkampf zum Frontalangriff auf die Grünen werden. Bitten und boxen – das ist die Devise.
Im internen Teil der Gremiensitzung zu Jahresbeginn schwört Parteichef Riexinger laut Teilnehmerangaben die Genossen jedenfalls auf Attacke ein. Man könne es nicht zulassen, dass enttäuschte Grünenwähler zu neu formierten Klimalisten abwandern, wie es sie etwa in Baden-Württemberg gibt.
Allerdings ist der Ökosound nach wie vor umstritten bei den Genossen. Das wird auch an diesem Tag klar. Die Linke müsse an ihrer Kommunikation arbeiten, sagt Fraktionschefin Amira Mohamed Ali in ihrem öffentlichen Statement. Es müsse klar sein, warum man die Linke wählen solle und keine andere Partei. »Unser Anliegen ist es, das soziale in der sozial-ökologischen Transformation stark zu machen.«
Ähnlich äußert sich Mohamed Alis Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch. »Die Linke ist die Sozialstaatspartei«, sagt Bartsch. »Das sollten wir ins Schaufenster stellen.« Soll wohl heißen: weniger grün, mehr rot.