Linkes Europawahlprogramm Ein bisschen dagegen

Linken-Chefin Katja Kipping
Foto: Mohssen Assanimoghaddam/ dpaZunächst einmal hat Bernd Riexinger nicht viel Nettes über die EU zu sagen. Die Europäische Union sei "in der größten Krise ihrer Geschichte", sagt der Linken-Chef in der Parteizentrale im Berliner Karl-Liebknecht-Haus. "Autoritäre Verhältnisse" in Ungarn oder Österreich, "neoliberale Politik", "soziale Spaltung" - alles mies.
Dann aber sagt Riexinger: "Viele Menschen haben jedoch Erwartungen an und Hoffnungen auf ein besseres Europa."
Und Riexingers Co-Vorsitzende Katja Kipping ergänzt: "Wir setzen auf eine EU der Menschenrechte und Solidarität."
Es sind solche Sätze, die entscheidend sind. Denn dass die Linke überhaupt auf die EU setzt, ist in der Partei längst nicht selbstverständlich. Bis heute haben die Genossen eine ihrer großen Streitfragen nie abschließend geklärt: Will man die Europäische Union reformieren - oder gleich ganz abschaffen?
Mehr Macht fürs Parlament
Der Vorstand mit den beiden moderaten Parteichefs hat nun eine klare Linie vorgegeben. Kritik ja, aber keine Grundsatzdebatte - so ist die Tonlage des Programmentwurfs für die EU-Wahl im kommenden Jahr.
Konkret heißt das: Die Linke fordert mehr Macht des Europaparlaments durch das Recht, auch selbst Gesetzesvorschläge einzubringen. Die Partei will ein Lobby- und Transparenzregister und Unternehmensspenden an Parteien verbieten. Ernsthaft ran an die EU-Verträge wollen die Genossen aber nicht.
Ende Februar treffen sich die Linken in Bonn zum Europaparteitag. Die Frage ist, wie groß der Widerstand gegen den Programmentwurf wird. Denn einige der größten EU-Kritiker aus dem linken Hardliner-Lager hat Parteichefin Kipping im Zuge der internen Machtkämpfe auf ihre Seite geholt.
Bedingungslos weltoffen?
Ärger droht allerdings auch beim Thema Migration. Seit Monaten streiten die Genossen über die Frage, ob sie bedingungslos internationalistisch und weltoffen sein wollen - oder in der Asylpolitik auch mal Härte walten lassen dürfen.
Kipping und Riexinger stehen gegen Begrenzungen der Zuwanderung. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht versucht dagegen, mit schärferen Tönen in der Flüchtlingspolitik auch solche Wähler zu gewinnen, die zur AfD abgewandert sind.
Die Auseinandersetzung war mehrfach eskaliert. Jetzt betonen die Vorsitzenden noch einmal ihre Position: Für das Europawahlprogramm schlagen sie ein Seenot-Rettungsprogramm vor, sie lehnen "Schnellverfahren und Inhaftierungen" von Flüchtlingen in Zentren und Hotspots ab. Und sie wollen Kommunen fördern, die Migranten aufnehmen.
Zugleich sprechen sich Kipping und Riexinger für den Uno-Migrationspakt aus. Wagenknecht hatte diesen zuletzt im SPIEGEL scharf kritisiert. Das Abkommen idealisiere Migration, sagte sie. Die Parteichefs fordern dagegen eine Bundestagsabstimmung über den Pakt. Dies sei ein Mittel gegen "rechte Verschwörungstheorien".
Neidisch auf die Grünen
Vor dem Hintergrund dieser Debatte blickt derzeit ein Teil der Linken neidisch auf die Grünen, die in der öffentlichen Wahrnehmung geschlossen als anti-rechtspopulistische Kraft erscheinen - und davon profitieren. In ihrer Wahlstrategie haben die Genossen auch deshalb bereits die Losung ausgegeben, verstärkt Grünen-Wähler umwerben zu wollen.
Ein Mittel dafür: Klimapolitik als neuer Schwerpunkt der Linken. Im Programmentwurf für die Europawahl fordern die Linken nun Investitionen in erneuerbare Energien oder kostenfreien Nahverkehr und eine Abkehr von der Kohleenergie.
In der Sozialpolitik, dem linken Markenkern, gibt es wohl die geringsten Differenzen. Mindestlöhne sollen europaweit 60 Prozent der nationalen Durchschnittsgehälter betragen, in Deutschland 12 Euro. Die Linken treten dafür ein, Länder zu öffentlichen Beschäftigungsprogrammen zu verpflichten, sollte die Arbeitslosenquote über fünf Prozent liegen. Und sie wollen einen europäischen Fonds, mit dessen Mitteln EU-Staaten im Krisenfall bei der Finanzierung ihrer Sozial- und Arbeitslosenversicherung unterstützt werden. Großkonzerne und Milliardäre sollen dagegen Mindeststeuern zahlen.
Auch an ihrer Friedenspolitik will die Linke erwartungsgemäß festhalten. Gegen die Idee einer gemeinsamen europäischen Armee wehren sich die Genossen, Waffenexporte wollen sie stoppen, die Aufrüstungsverpflichtung der EU abschaffen.
"Nur wenn diese EU sich verändert, wird sie weiter fortbestehen", sagt Kipping in Berlin. Ein bisschen dagegen und doch dafür.