Linken-Vordenker André Brie "Im dritten Wahlgang Gauck"

Politiker der Linkspartei streiten heftig über Joachim Gauck. Ihr langjähriger Vordenker André Brie erklärt im Interview mit SPIEGEL ONLINE, warum der Kandidat von SPD und Grünen ein rotes Tuch für seine Partei ist - und warum sie dennoch für ihn stimmen könnte.
Präsidentschaftskandidat Gauck: "Natürlich entlädt sich an ihm der Frust"

Präsidentschaftskandidat Gauck: "Natürlich entlädt sich an ihm der Frust"

Foto: Tobias Kleinschmidt/ dpa

die Linke

Joachim Gauck

SPIEGEL ONLINE: Herr Brie, Oskar Lafontaine giftet gegen Joachim Gauck, er sei ein Begünstigter der Stasi, in der linken Tageszeitung "Neues Deutschland" wettern Altkader per Anzeige gegen den Präsidentschaftskandidaten von Rot-Grün. Warum tut sich so schwer mit ?

Luc Jochimsen

Brie: Verwunderlich ist zunächst nur, dass nicht auch und vor allem gegen Wulff gewettert wird, der die unsoziale und finanzmarktfreundliche Politik der Koalition aktiv unterstützt hat. Unsere Kandidatin hat dagegen ein klares alternatives Profil. Auch Gauck steht nicht für soziale Alternativen. Aber natürlich entlädt sich an ihm der Frust über seine scharfe Auseinandersetzung mit der DDR.

SPIEGEL ONLINE: Woher dieser Hass?

Brie: Gauck hat sich als Behördenchef scharf, oft sehr persönlich und aus meiner Sicht einseitig gegen die damalige PDS gewandt. Das hat die Abwehrhaltung in der Partei verstärkt. Die eigentliche Ursache ist jedoch, dass Gregor Gysis frühere Forderung, die Linke müsse die schärfste Kritikerin der DDR und ihrer krassen demokratischen und bürgerrechtlichen Defizite als entscheidend für das sozialistische Scheitern sein, nicht wirklich akzeptiert und praktiziert wurde.

SPIEGEL ONLINE: Halten Sie Gauck für geeignet, das Präsidentenamt auszufüllen?

Brie: Sicherlich. Sein Freiheitsanspruch, den Jochimsen jedoch ebenfalls verkörpert, ist auch für die Linke bedeutsam.

SPIEGEL ONLINE: Was spricht für Wulff?

Brie: Die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung.

SPIEGEL ONLINE: Könnte die Linke mit der Wahl Gaucks nicht auch ein Signal setzen, aus der Vergangenheit gelernt zu haben?

Brie: In den beiden ersten Wahlgängen müssen wir mit der Unterstützung für Jochimsen ein eindeutiges Beispiel dafür geben, dass die Politik der jetzigen Bundesregierung und ihrer Vorgängerinnen nicht alternativlos ist. Sollte es aber zu einem dritten, entscheidenden Wahlgang kommen, wäre es in der Tat ein starkes und aus meiner Sicht richtiges Signal dafür, dass die Linke fähig und bereit ist, die freiheitliche Kritik Gaucks ernst und aktiv in die eigene Auseinandersetzung mit dem untergegangenen Staatssozialismus aufzunehmen.

Christian Wulff

SPIEGEL ONLINE: Die Abstimmung am 30. Juni wird auch eine über die schwarz-gelbe Koalition. Wird die Linke am Ende zum Präsidenten machen und Schwarz-Gelb retten?

Brie: Das Ende dieser Koalition wäre nach den jüngsten antisozialen Sparbeschlüssen und ihres finanzpolitischen Versagens absolut wünschenswert, wenn das auch einen Politikwechsel bedeutete. Wulffs Scheitern wäre dafür sicherlich ein Beitrag. Doch sehe ich bei SPD und Grünen noch immer keine echte Bereitschaft zu einer anderen Politik.

Das Interview führte Stefan Berg
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