Linker Präsidentschaftsbewerber Sodann Der verschmähte Kandidat

Er kann Brecht und Goethe zitieren, aber wenn es politisch wird, fehlen Peter Sodann oft die Worte: Als Präsidentschaftsbewerber der Linken tingelt der Schauspieler durch Deutschland - während die Parteispitze ihn meidet. Seine Kandidatur gilt den Genossen als Pleite.

Hamburg/Bremen - Er muss nur in seine Tasche greifen, in diesen schwarzen Hartschalen-Aktenkoffer, da ist alles drin, was Peter Sodann braucht: seine Autobiografie, gelbe, grüne und rote Merkzettel zwischen den Seiten, Notizen und auch dieser Brief von 1961. Ein Schreiben des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes Marburg an den sowjetischen Regierungschef Chruschtschow.

Die Studenten beklagen sich beim "lieben Genossen Nikita", dass Sodann und sein DDR-Kabarettistenensemble vom SED-Staat der "konterrevolutionären Aufwiegelung" bezichtigt wurde. Das ist Sodanns Gag, westdeutsche Studenten schreiben an Chruschtschow, die Gäste im Hamburger Atelier "Die Schlumper" lachen. "Keine halben Sachen" heißt Sodanns Buch, damit ist er unterwegs durch Deutschland: Bensheim zum Beispiel, Bad Driburg, Görlitz, Halle, Zwickau, Bremerhaven, Hamburg. Sodann, 72, erzählt Anekdoten aus seinem Leben.

Das ist unterhaltsam.

Es ist nun aber so, dass er nicht nur Zuhörer unterhalten, sondern auch Bundespräsident werden will. Jedenfalls ist er der Kandidat der Linken. Deswegen werden ihm auf seiner Reise manchmal Fragen gestellt. Fragen die es nicht gäbe, wäre er lediglich als Schauspieler auf dieser lange vor seiner Kandidatur geplanten Lesereise unterwegs.

Etwa die Frage eines Journalisten in Bremen, wo Sodann die Bürgerschaftsfraktion der Linken besucht: Ob er ein Rezept habe gegen die Wirtschaftskrise. "Darüber nachdenken", sagt Sodann. Kunstpause. Es werde zu wenig nachgedacht, fährt er fort. "Was machen wir mit dem Atommüll?", fragt er dann. Oder mit dem Kohlendioxid, mit der Demokratie, in der immer weniger Menschen wählen gingen, mit dem zunehmenden Autoverkehr oder mit den Menschen, die sich irgendwo in Afrika in ein Boot setzten und später auf ihrer Flucht in ein besseres Leben zu ertrinken drohten.

"Zwei Züge noch, dann geht's los"

Politische Probleme, eingedampft auf ein paar Fragen. Antworten gibt er keine. Sodann wirkt in solchen Momenten, als würde ihm der passende Text fehlen. Er kann Brecht, Goethe und Kästner nach Belieben zitieren, aber wenn es konkret politisch wird, fehlt Sodann oft die Sprache. Immerhin, Monique Troedel, Fraktionschefin der Linken in Bremen, begrüßt Sodann mit freundlichen Worten. "Du bist unser Kandidat, und das meinen wir auch so."

Selbstverständlich ist dieses Bekenntnis nicht. In der Parteizentrale in Berlin sind sie nicht sonderlich begeistert von den Auftritten ihres Kandidaten. Eigentlich wollten sie eine westdeutsche Frau als Herausforderin von Amtsinhaber Horst Köhler. Sie fanden aber keine und auch niemanden aus dem Westen - am Ende blieb ihnen nur Sodann. "In der Partei haben sich einige damals zu weit aus dem Fenster gelehnt. Natürlich gab es den Wunsch nach einem anderen Kandidaten - aber der wurde eben nicht gefunden", sagt eine Bundestagabgeordnete der Linken, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen möchte.

Mit seinen ersten Auftritten irritierte Sodann selbst wohlmeinende Genossen. Er ist jetzt bekannt als derjenige, der Deutschland für keine richtige Demokratie hält, gern Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann verhaften würde und morgens auf der Toilette Kreuzworträtsel löst, damit der Tag mit "zwei Erfolgserlebnissen" beginnt.

Im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale der Linken, achten sie seitdem bei Interviews peinlich genau auf jedes Wort des Kandidaten, bevor sie es zur Veröffentlichung freigeben.

Auf Sodanns Deutschland-Tour begleitet ihn Volker Steinke, ein erfahrener Organisator aus dem Vorstandsbüro im Karl-Liebknecht-Haus. Steinke gibt schon mal Direktiven aus, wie in Bremen, als sich Sodann um eine Rede vor der Linksfraktion der Hansestadt drücken wollte: "Natürlich gibt es nachher eine kurze Ansprache - die sollte nur nicht eine Stunde dauern." Später steht Sodann an der Theke im Bremer Presseclub, die Fraktion der Linken ist versammelt, dazu ein paar Gäste. Sodann hat ein Glas Bier in der Hand und raucht, er hat schon ein paar Termine hinter sich an diesem Tag. "So, zwei Züge noch, dann geht's los", sagt Steinke. Sodann drückt seine Zigarette aus, holt ein Buch aus seinem Koffer und tritt vor.

Führende Genossen wie die Parteichefs Oskar Lafontaine und Lothar Bisky oder Fraktions-Co-Chef Gregor Gysi vermeiden es möglichst, sich an Sodanns Seite zu zeigen. Oder sie sorgen dafür, dass er nicht auffällt. Wie etwa beim Europa-Parteitag im Februar. Da saß Sodann zwar auf seinem Platz in der Essener Grugahalle, reden durfte er aber nicht. "Sodann fährt überall hin, wenn er gerufen wird, aber Auftritte mit Lafontaine und Gysi gibt es nicht", sagt eine aus der Bundestagsfraktion. Selbst bei Terminen in der Hauptstadt wahrt die Parteiprominenz Distanz. Einen Auftritt beim "Neuen Deutschland", der Parteizeitung der Linken, absolvierte Sodann am Dienstag nicht mit Lafontaine oder Gysi, sondern mit der Sängerin Regina Thoss.

Die Kür eines eigenen Kandidaten war auch eine beleidigte Reaktion der Linken auf Äußerungen von SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan, die Lafontaine einen Demagogen nannte und die Linke kritisierte. Die Dämonisierung Schwans taugt inzwischen nur noch bedingt als Reflex. Längst war die SPD-Politikerin zu Besuch bei der Linksfraktion, man verstand sich gar nicht so schlecht. Und mit ihren jüngsten Äußerungen über die Gefahr sozialer Unruhen wegen der Wirtschaftskrise verärgerte Schwan zwar die SPD-Spitze, stößt aber in der Linksfraktion auf Zustimmung: Sie habe doch recht, heißt es dort.

Die Kandidatur als Marathon

Im ersten Wahlgang will die Linke für Sodann stimmen. Wie es dann weitergehen könnte, wolle sie erst in der Bundesversammlung am 23. Mai entscheiden. Sodann weiß, dass er nicht mehr ist als ein Zählkandidat, aber eines ist ihm wichtig: dass die Linke ihn um die Kandidatur gebeten hat. "Die haben mich gefragt, dann habe ich mich dafür entschieden", sagt er. So etwas ist vielleicht nicht unerheblich für einen, den manche zuletzt nicht mehr wollten: Etwa beim MDR, der ihn 2007 als "Tatort"-Kommissar Bruno Ehrlicher absetzte, 15 Jahre lang spielte er die Rolle. Oder beim von ihm selbst aufgebauten Neuen Theater in Halle, wo seine Intendanz 2005 endete.

"Wie ein Marathon" komme ihm seine Kandidatur manchmal vor, sagt er in Hamburg, als er vor dem Auftritt durch seinen Kaffee rührt. Später in einem Interview formuliert er es so: "Ich tue es. Und man muss dann auch durchhalten." Er habe einige Großkopferte mit seiner Kandidatur geärgert und etwas Humor in den Politikbetrieb bringen wollen, sagt Sodann. Das sei für ihn ein Erfolg. Die Aufregung über manche seiner Äußerungen kann Sodann nicht verstehen.

Ob er den "Tatort"-Kommissar vermisse, will einer in Bremen von ihm wissen. "Ja", sagt Sodann. Nur dieses eine Wort, mehr nicht, dazu ein enttäuschter Blick.

Peter Sodann hat eine Rolle verloren, in seine neue als Kandidat fürs höchste Staatsamt hat er gar nicht erst gefunden.

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