Linkspartei vs. Gauck Poltern, pöbeln, piesacken

Gauck als Talkmaster mit Gast Lafontaine (Bild von 2000): Heftige Angriffe des Saarländers
Foto: DPA/WDRBerlin - Jetzt ist dran. ? Der ist "für die Linke nicht wählbar", poltert die ehemalige Fernsehfrau im "Hamburger Abendblatt". Der Bundespräsidenten-Kandidat sei aus Sicht der schlicht "nicht versöhnlich". Jochimsen, Kandidatin der Linkspartei für das höchste Staatsamt, glaubt an einen klaren Sieg von CDU-Bewerber . Gauck keilt seinerseits Richtung Linke: "Wer den Systemwechsel will, wird bei mir auf Widerspruch treffen", stellt er fest. Und: Eine "antikapitalistische Attitüde ist mir suspekt", es sei Unsinn, wegen einer Finanzkrise den Kapitalismus abschaffen zu wollen.
Der Ex-Chef der Stasi-Unterlagenbehörde und die Linke - das droht immer mehr zu einer Geschichte mit bösem Ende zu werden. Denn ohne die Stimmen der Linkspartei hat der rot-grüne Kandidat Gauck wohl kaum Chancen, am 30. Juni zum Bundespräsidenten gewählt zu werden. Ausgerechnet jetzt entbrennt zwischen Gauck und Teilen der Linken jedoch ein Krieg der Worte.
Besonders heftig ist die jüngste Attacke von Ex-Parteichef Oskar Lafontaine. "Gauck hatte sich wie andere evangelische Pfarrer mit dem System arrangiert", sagte Lafontaine stern.de. Den ehemaligen Chef der Stasi-Unterlagenbehörde nennt sogar einen Stasi-Begünstigten: Die Ostdeutschen wüssten, "dass der protestantische Pfarrer Gauck durchaus zu jenen gehört hat, die von der Staatsicherheit auch Privilegien erhalten haben". Lafontaine bedient sich mit seinem Vorwurf der Argumentation des letzten DDR-Innenministers Peter-Michael Diestel. Der ehemalige CDU-Politiker und Rechtsanwalt führte Anfang der Neunziger einen Kleinkrieg gegen den damaligen Chef der Stasi-Unterlagenbehörde - mit genau diesem Vorwurf.
Gauck nennt Lafontaines Anschuldigungen eine "Infamie". Der Bundespräsidenten-Kandidat ist fassungslos über jenen Mann, den er Ende 2000 als Premierengast in seine ARD-Talkshow zu einem keineswegs feindseligen Gespräch einlud. Und ist das nicht derselbe Oskar Lafontaine, der Gauck am 6. Juni bei "Anne Will" als "sehr respektabel" bezeichnete, ihn einen "hervorragenden Mann" und "einen wirklich großartigen Menschen" nannte?
Gauck wird zum Spielball zwischen SPD und Linkspartei
Gauck lernt in diesen Tagen, dass er eben doch ein sehr politischer Kandidat im ist. Überparteilich würde Gauck gern sein, weil es in der Bevölkerung den "Wunsch nach einer Instanz, die anders sein soll" gebe - wie er im Interview mit SPIEGEL ONLINE sagte. Aber schon seine Nominierung von SPD und Grünen war auch ein parteipolitischer Schachzug: Einmal als bürgerlicher Stachel ins schwarz-gelbe Lager und gegen deren Kandidaten Wulff - genauso aber als klare Absage an die Linkspartei. Dort erfuhr man von der Gauck-Nominierung erst nach deren Vollzug. Kurz darauf präsentierte sie mit Luc Jochimsen ihre eigene Kandidatin.
Vielen Linken aus der ehemaligen DDR ist Gauck wohl vor allem wegen seiner früheren Rolle als Stasi-Aufklärer ein Dorn im Auge. Doch plötzlich fallen der Linken immer neue Gründe ein, warum sie gegen Gauck stimmen wollen: Er wird vehement zum Apologeten von Sozialabbau und Militäreinsätzen erklärt. Auch unter Revanchismus-Verdacht stellte man den Bundespräsidenten-Kandidaten.
Gauck ärgert das, er fühlt sich falsch wiedergegeben - und stänkert seinerseits gegen die Linken. "Der Linkspartei fehlt die programmatische Verlässlichkeit", sagte er SPIEGEL ONLINE. Die Ansage: Ein Joachim Gauck biedert sich nicht an - selbst wenn es seine ohnehin schon geringen Wahlchancen endgültig zunichte macht.
So poltert die Linkspartei weiter gegen den rot-grünen Bundespräsidenten-Kandidaten.
Und dennoch: In Stein gemeißelt scheint die Ablehnung Gaucks noch nicht. Sollte Wulff in den ersten beiden Wahlgängen scheitern, "dann brauchen wir auch eine Auszeit", sagte Fraktionschef Gysi am Mittwoch - und widerspricht damit seiner Kandidatin Jochimsen. In diesem Falle müsste seine Partei überlegen, ob die eigene Kandidatin zurückgezogen wird, sagt Gysi.
Linkes Lager tief zerstritten
Vordergründig geht es um den 30. Juni - aber auch um mehr. Der heftige Streit um Gauck sagt viel darüber aus, wie wenig das "linke Lager" politisch wie biografisch derzeit vereint - und wie wenig , Grüne und Linke überhaupt gewillt sind, nach Gemeinsamkeiten zu suchen.
Das ist erstaunlich, böten sich doch im Windschatten der desolaten schwarz-gelben Regierung reihenweise Chancen zur Annäherung. Aber es ist auch verständlich, denn die Parteien haben ihre Rolle, die sie in diesem Lager spielen könnten, noch nicht ansatzweise gefunden. Vorneweg die SPD und die Linke.
Muskelspiele prägen seit Jahren deren Verhältnis zueinander, und so ist es eben auch bei Gauck. Die Linke sieht sich in ihrem alten Feindbild bestätigt, die SPD freut sich diebisch darüber, dass sie die Linkspartei in ein Dilemma manövriert hat. Kein Wunder, dass Parteichef die Angriffe Lafontaines schlicht "peinlich" nennt. Die Attacke werfe die Linkspartei zwei Jahrzehnte zurück.
Ihrem Ziel, wieder Souveränität im Umgang mit den SED-Nachfolgern zu erlangen, sind die Sozialdemokraten ein Stück näher gekommen. Die war in den vergangenen Jahren nicht vorhanden, eher war es die Linke, die die SPD in der Sozial- und Außenpolitik vor sich her trieb.
Jetzt haben die Sozialdemokraten den Spieß einmal umgedreht - möglicherweise aber für einen hohen Preis: Die Pragmatiker in der Linken, das fürchten auch manche in der SPD, dürften durch den Streit um Gauck weiter geschwächt werden, das Linksbündnis als Machtoption für 2013 wird so unrealistischer.