Lissabon-Vertrag Seehofer gibt keine Ruhe

Bayerns Ministerpräsident Seehofer vorm Europaausschuss: "Ein Quantensprung"
Foto: ddpMünchen - In der CSU setzen sie auf die Unbestechlichkeit von Zahlen. 14 Forderungen an die neuen Begleitgesetze zum Lissaboner EU-Vertrag habe man im Juli vorgelegt. Neun davon seien nun in der vorläufigen Einigung der Koalitionsfraktionen umgesetzt. Das sei doch ein prima Ergebnis. Oder nicht?
Nein, befindet jedenfalls Thomas Oppermann, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion: "Seehofer ist als bayerischer Löwe abgesprungen, aber als europäischer Bettvorleger gelandet."
Es kommt eben darauf an, wie man die Zahlen interpretiert - und welche Wertigkeit den einzelnen Forderungen zugemessen wird. Denn unter den fünf nicht umgesetzten CSU-Punkten ist die im Europawahlkampf dezidiert beworbene Idee von Volksabstimmungen zu zentralen europäischen Entscheidungen, der völkerrechtliche Vorbehalt, dass der EU-Vertrag nur in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts gelten soll sowie ein Kontrollrecht des deutschen Höchstgerichts gegenüber Brüssel.
Und der christsoziale Wunsch, dass Bundestag und Bundesrat künftig für die Regierung verbindliche Stellungnahmen abgeben können, ist verwässert: Äußerungen deutscher Parlamentarier müssen zwar zukünftig stärker berücksichtigt werden, sind aber nicht bindend. Die Bundesregierung muss sich rechtfertigen, wenn sie sich nicht an Beschlüsse des Parlaments gehalten hat.
Trotzdem: Die CSU spricht von "beachtlichem Verhandlungserfolg". Und Parteichef Horst Seehofer machte an diesem Donnerstag deutlich, dass er auf weitere Verhandlungen drängt. Viel Zeit bleibt nicht mehr, denn noch vor der Bundestagswahl sollen die neuen Begleitgesetze - insgesamt vier - vom Bundestag (8. September) und danach vom Bundesrat (18. September) verabschiedet werden, so dass sie zum 1. Oktober in Kraft treten können. Bereits in der kommenden Woche ist die erste Lesung eingeplant.
Vor dem Europa- und Verfassungsausschuss des bayerischen Landtags sagte Seehofer gleich zu Beginn seiner Ausführungen über die Berliner Einigung, dies sei "ein Zwischenbericht". Es stünden "noch intensive Beratungen" an, man müsse "offen sein gegenüber den Argumenten in den nächsten Wochen". Zwar würdigte Seehofer die vorliegenden Gesetzesentwürfe als Ausweitung der Parlamentsrechte ("Liebe Freunde, das ist ein starker Fortschritt", "Ein Quantensprung"), allerdings werde er weiter auf einen zusätzlichen Entschließungsantrag drängen.
Hintergrund: Mit einem solchen, nicht rechtsverbindlichen Antrag kann der Bundestag seine politische Auffassung dokumentieren. Seehofer möchte eine Entschließung, aus der hervorgeht, dass der Lissabonner Vertrag allein im Sinne des Verfassungsgerichtsurteils ausgelegt werden darf. Zudem soll darin eine sogenannte Kompetenzkontrollklage beschrieben sein, heißt: die Regierung, der Bundesrat oder ein Drittel der Bundestagsabgeordneten sollen ein Klagerecht vorm Verfassungsgericht bekommen für den Fall, dass die EU ihre Zuständigkeiten überschreitet. Zusätzlich forderte Seehofer, auch den Landtagen eine solche Klagebefugnis einzuräumen.
Es ist demnach unwahrscheinlich, dass die Abgeordneten von CDU und CSU bereits am Freitag in ihrer Fraktionssitzung zu einer Einigung gelangen. Hartmut Koschyk, der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, sagte dem "Deutschlandfunk", die CSU werde den Begleitgesetzen nur zustimmen, wenn parallel ein Entschließungsantrag verabschiedet wird. Seehofer will dies bis vor der ersten Lesung der Gesetze im Bundestag am kommenden Mittwoch geklärt wissen.
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmte den Begleitgesetzen auf einer Sondersitzung am Donnerstag bereits zu. Geschäftsführer Oppermann betonte mit Blick auf die weitergehenden CSU-Forderungen, eine Kompetenzklage vor dem Verfassungsgericht sei aufgrund des erheblichen europapolitischen Konfliktpotentials nicht machbar. In Europa würde dies als Kampfansage aufgefasst. Es dürfe keinen Entschließungsantrag mit falschen politischen Botschaften geben: "Eine solche Erklärung wäre der untaugliche Versuch, dem Lissabon-Vertrag den Mantel der Verfassungswidrigkeit anzuheften, obwohl Karlsruhe den Vertrag selbst überhaupt nicht beanstandet", so Oppermann zum "Handelsblatt". Andere fordern da schon ein Machtwort der Kanzlerin: "Wir erwarten, dass Frau Merkel auf die CSU einwirkt, damit aus ihren Reihen keine neuen Verfassungsklagen gegen den EU-Reformvertrag mehr kommen", so SPD-Vize-Fraktionsvorsitzende Angelica Schwall-Düren.
Von einem Scheitern des gesamten Gesetzesvorhabens geht man allerdings in keiner der drei Regierungsparteien aus. Ein Sprecher der CSU-Landesgruppe sagte, die Union habe der SPD einen neuen Formulierungsvorschlag unterbreitet. Er sei vorsichtig optimistisch, dass dieser vom Koalitionspartner mitgetragen werden könne.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast griff die CSU massiv an. Deren geforderter Entschließungsantrag sei "in Paragrafen gekleidete systematische Europafeindlichkeit". Dem könne ihre Fraktion "definitiv nicht zustimmen". Den verhandelten Begleitgesetzen aber werde man zustimmen, man halte sie "im Wesentlichen für gut". Künast sagte: "Für uns ist der Kern der, dass das Verfassungsgerichtsurteil eins zu eins umgesetzt wird." Wichtig sei auch, dass die Begleitgesetze noch vor dem irischen Referendum zum Lissabon-Vertrag in Kraft träten, das am 2. Oktober abgehalten wird. Irland ist nach dem gescheiterten ersten Referendum das letzte der 27 EU-Länder, das den Vertrag noch ratifizieren muss. Das Inkrafttreten des Vertrags dürfe "nicht auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben werden", so Künast.
So wird es nicht kommen. Denn die Große Koalition scheint entschlossen, die Gesetze in dieser Legislatur zu beschließen. Und bei allem neuerlichen Verhandlungsbedarf - eines seiner Ziele, das er am Donnerstag im Landtag formulierte, hat Seehofer bereits erreicht: "Wir wollen öffentliche politische Diskussionen über europäische Entscheidungen."