Lobbyismus »Die CDU sollte den Wirtschaftsrat nicht mehr in den Vorstand einladen«

Wirtschaftsrats-Vize Merz (beim Jahresempfang des Landesverbands Sachsen-Anhalt im Februar 2020)
Foto: Klaus-Dietmar Gabbert / dpaDie Affären um fragwürdige Geschäfte von Unionsabgeordneten befeuern die Debatte über neue Regeln für Parlamentarier. Die Union, die sich lange gegen weitere Beschränkungen bei Nebeneinkünften gewehrt hat, will nun hart durchgreifen.
Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt haben in einer »Zehn-Punkte-Transparenzoffensive« strenge Regeln angekündigt. Ein »Compliance-Team« soll die Einhaltung überwachen.
Auch die Diskussion um den Einfluss von Lobbygruppen auf Parteien und Parlamentarier erhält neue Aufmerksamkeit, Anfang März hatte sich die Große Koalition auf ein verpflichtendes Lobbyregister geeinigt.
In diesem Umfeld nun platzierte LobbyControl in dieser Woche einen Bericht , in dem die Nichtregierungsorganisation dem CDU-Wirtschaftsrat einen großen Einfluss auf die CDU vorwirft. Beim Blick auf die Namensgebung dieser »Stimme der Sozialen Marktwirtschaft« (Eigenwerbung) wirkt ein möglicher Einfluss auf die CDU erst mal logisch, verwendet die Organisation doch prominent das Parteiakronym.
Tatsächlich aber ist der Wirtschaftsrat keine Vereinigung der CDU wie etwa die Junge Union oder die Frauen Union, sondern ein »unternehmerischer Berufsverband mit derzeit über 12.000 Mitgliedern«, wie es auf dessen Website heißt. LobbyControl bezeichnet den Wirtschaftsrat als »mächtiges Lobbyforum und Klimaschutzbremser«.
Der Verband wies die Kritik gegenüber dem SPIEGEL zurück. Mit dem »üblichen Linksdrall« seien »transparente Informationen« zu einer »Broschüre« zusammengefasst worden, »die jetzt hochtrabend ›Studie‹ genannt wird«. Die Zusammenhänge seien konstruiert und an den Haaren herbeigezogen. Der Wirtschaftsrat wolle »die Klimaziele mit marktwirtschaftlichen Instrumenten durch Anreize und technologieoffen erreichen«.
Im SPIEGEL-Interview erklärt Christina Deckwirth, Autorin des LobbyControl-Berichts, warum es sich ihrer Meinung nach um manipulativen Lobbyismus handelt und welche Rolle Friedrich Merz spielt.
SPIEGEL: Frau Deckwirth, ab wann ist Lobbyismus problematisch?
Deckwirth: Lobbyismus ist dann problematisch, wenn er intransparent, einseitig oder manipulativ ist.
SPIEGEL: Wie kommen Sie da auf den CDU-Wirtschaftsrat?
Deckwirth: Weil der Wirtschaftsrat einen privilegierten Zugang zur CDU und sogar zu deren innerstem Machtzirkel hat. Hier handelt es sich ganz klar um einseitigen Lobbyismus, weil andere gesellschaftliche Gruppen diesen Zugang nicht haben.
SPIEGEL: In Ihrem Bericht kritisieren Sie den CDU-Wirtschaftsrat schon wegen dessen Namen. Warum?
Deckwirth: Der Wirtschaftsrat baut auf einer irreführenden Konstruktion auf. Durch den Zusatz »CDU« klingt es so, als wäre er ein Parteigremium. Das ist aber ein Berufsverband, also ein ganz normaler Lobbyverband, der von rund 12.000 Unternehmen und Einzelpersonen finanziell getragen wird. Trotzdem agiert er wie ein Parteigremium.
SPIEGEL: Können Sie das bitte konkreter machen?
Deckwirth: Die Veranstaltungen, zu denen Politiker eingeladen werden, sind das Herzstück seiner Lobbyarbeit. Der Wirtschaftsrat formuliert zudem eigene Positionspapiere, verschickt Pressemitteilungen und ist im direkten Austausch mit CDU-Politikern, sei es in kleinen Kamingesprächen oder bei größeren Veranstaltungen. Seine Vertreter werden aber auch direkt ins Wirtschaftsministerium eingeladen. Der Wirtschaftsrat macht also ganz klassische Lobbyarbeit: Netzwerke bilden, Kontakte pflegen und bei passender Gelegenheit eben die eigenen Positionen an die Parteien und an die Politik herantragen.
SPIEGEL: Dass Lobby-Organisationen mit ihren Belangen an Parteien herantreten ist normal. Warum ist das beim CDU-Wirtschaftsrat denn problematischer als bei anderen Verbänden?
Deckwirth: Wegen der Nähe zur CDU. Die Präsidentin Astrid Hamker sitzt qua Amt im Parteivorstand. Sie hat zwar kein Stimmrecht, kann aber die Diskussionen beeinflussen. Ansonsten gibt es einfach ein sehr enges Netzwerk zwischen Wirtschaftsrat und den Politikern der Partei. Hamker wurde im letzten Jahr mehr als einmal pro Monat eingeladen, sowohl vom CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak als auch vom Wirtschaftsministerium. CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer hat den Wirtschaftstag, die größte Veranstaltung des CDU-Wirtschaftsrats, vor zwei Jahren sogar mal als »Pflichtprogramm« bezeichnet.
SPIEGEL: In Ihrem Bericht kritisieren Sie vor allem den Einfluss des Berufsverbands auf die Klimapolitik der CDU. Wieso haben sie sich darauf konzentriert?
Deckwirth: Im Wirtschaftsrat ist vor allem die fossile Industrie vertreten. Jene Fachgruppe des Wirtschaftsrats, die sich mit Klimafragen befasst, wurde lange von Johannes Lambertz geleitet, dem früheren Vorstandsvorsitzenden der RWE-Braunkohlesparte. Mittlerweile wird sie vom E.on-Vorstand Karsten Wildberger geführt. Und wenn man sich zum Beispiel die Besetzung der Energie-Klausurtagungen anschaut, ist da die Solarbranche überhaupt nicht vertreten. Das spiegelt sich teilweise dann eben auch in den Positionspapieren des Wirtschaftsrats wider, die von Parteikreisen übernommen werden.
SPIEGEL: Dass diese Positionen in der Partei übernommen werden, liegt laut Ihrem Bericht vor allem an zwei Personen.
Deckwirth: Thomas Bareiß und Joachim Pfeiffer. Bareiß ist als Parlamentarischer Staatssekretär für die Energiepolitik der Bundesregierung verantwortlich. Er ist immer wieder Referent auf Veranstaltungen des Wirtschaftsrats. Er ist das Bindeglied des Berufsverbands in das Wirtschaftsministerium. Pfeiffer ist als Bundestagsabgeordneter auch für Energiepolitik zuständig. Gleichzeitig sitzt er im Landesvorstand Baden-Württemberg des CDU-Wirtschaftsrats.
SPIEGEL: In Ihrem Bericht nennen Sie aber noch einen weiteren, sehr viel prominenteren Politiker, der im Wirtschaftsrat eine wichtige Rolle spielt: Friedrich Merz.
Deckwirth: Friedrich Merz ist auf jeden Fall die schillerndste Figur im Wirtschaftsrat. Er ist dort schon sehr lange aktiv, seit 2009 ist er im Präsidium und seit 2019 ist er einer von zwei Vizepräsidenten. Er ist zwar nicht Vorsitzender der CDU geworden, er drängt aber weiterhin in die Politik, wäre gern Wirtschaftsminister geworden. Jetzt will er ja für den Bundestag kandidieren.
SPIEGEL: Was spräche denn gegen einen Wirtschaftsminister Merz?
Deckwirth: Er ist ein Lobbyist. Das war er schon bei BlackRock. Und weil der Wirtschaftsrat wie gesagt selten als Lobbyverband wahrgenommen wird, ist vielen gar nicht klar, dass Herr Merz hier ebenfalls als Toplobbyist für einen wirklich großen Berufsverband agiert. Als Vizepräsident des Wirtschaftsrats hat er eine führende Funktion. Das ist problematisch.
SPIEGEL: Sie fordern als Fazit Ihres Berichts, dass die CDU Distanz zum Wirtschaftsrat wahren sollte. Warum sollte sie das tun?
Deckwirth: Wir sehen doch gerade, welche Probleme Parteimitglieder mit diversen Lobby-Verstrickungen haben. Das ist ein strukturelles Problem. Die CDU muss beweisen, dass sie dieses Problem ernst nimmt. Ein erster Schritt: Sie sollte den Wirtschaftsrat nicht mehr in den Parteivorstand einladen. Die CDU könnte so zeigen, dass sie auf Distanz geht und keiner einzelnen Lobbygruppe einen privilegierten Zugang in eines ihrer wichtigsten Gremien gewährt. Der nächste Schritt: strengere Regeln für die Lobbyarbeit und die Nebentätigkeiten von Politikern.