Bundesministerien Staatsrechtler kritisiert Einfluss der Lobby-Leiharbeiter

Bundesministerium für Bildung und Forschung (Symbolbild): Keine "bloße Horizonterweiterung"
Foto: Stephanie Pilick/ picture alliance / dpaBerlin - Die Praxis hat sich über Jahrzehnte im politischen Betrieb der Hauptstadt eingespielt: Permanent sind Dutzende Mitarbeiter deutscher Unternehmen in Bundesministerien beschäftigt; sie verfassen Redeentwürfe für Minister, basteln an Gesetzestexten oder nehmen für das Ministerium an Tagungen teil.
Die Leih-Experten kommen von der Deutschen Bank, von Lufthansa, BASF, Daimler, Siemens, SAP oder auch aus dem Bundesverband der Deutschen Industrie. In vielen Fällen zahlt ihr Arbeitgeber sogar das Gehalt weiter. Und nach der Auszeit im Polit-Biotop Berlin kehren sie in den alten Job zurück.
Der Staatsrechtler Bernd Hartmann, Professor an der Universität Osnabrück, nennt dieses Vorgehen "verfassungswidrig". Es sei "eines Rechtsstaates unwürdig", sagte er dem SPIEGEL. In seiner knapp 80-seitigen Expertise ("Inklusive Verwaltung: Der vorübergehende Seitenwechsel aus der Privatwirtschaft in den Staatsdienst") weist Hartmann nach, dass sich die Praxis, einst für wenige Einzelfälle gedacht, verselbständigt hat.
So gibt es eine Verwaltungsvorschrift, wonach der Einsatz "im Regelfall" die Dauer von sechs Monaten nicht überschreiten soll. Tatsächlich waren laut Hartmann in den vergangenen Jahren über 80 Prozent der Leiharbeiter länger als sechs Monate im Einsatz, über 25 Prozent sogar länger als zwei Jahre. Genug Zeit, Firmeninteressen einzubringen und Netzwerke zu spinnen.
Ein Daimler-Manager will "den Staat bewegen"
Der Nutzen für Unternehmen und Verbände liegt auf der Hand. Es gehe der Wirtschaft nicht nur um "bloße Horizonterweiterung" ihrer Mitarbeiter, analysiert Hartmann. Vor allem diene die Personal-Ausleihe der gezielten und rechtzeitigen Einflussnahme. Hartmann zitiert einen der Führungsleute des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie: "Früher waren wir über Anhörungen eingebunden, das war oft zu spät. Heute sind wir sehr viel früher beteiligt an der Entwicklung von Maßnahmen. Das ist für uns ein wesentlich effizienterer Ansatz." Ein Daimler-Manager begründete seinen temporären Seitenwechsel einst mit der Möglichkeit, auf diese Weise "den Staat zu bewegen".
Das Problem: Rechtlich sind Ministeriumsbeamte zu unparteilichem Handeln verpflichtet, Verwaltungshandeln hat dem Gemeinwohl zu dienen. Deswegen hätte theoretisch auch der Seitenwechsler die Pflicht, während seiner Zeit im Bundesministerium ausschließlich die Ministeriumsinteressen wahrzunehmen. Doch kann er das überhaupt?
Hartmann hat Zweifel. Denn die Karriereperspektive des Kurzaussteigers liegt außerhalb des Öffentlichen Dienstes. "Die Identifikation des extern Beschäftigten gilt seinem Arbeitgeber, für den er schon bald wieder tätig sein wird." Der Schluss des Juristen: "Verbände und Wirtschaftsunternehmen partizipieren an der Verwaltung, um eigene Interessen gezielt durchzusetzen."
Offenlegen will das einseitige Geschäft niemand so richtig. Hartmann klagt: "In welchem Umfang Bundesbehörden Externe beschäftigen, lässt sich nur schwer ermitteln." Das Bundesinnenministerium berichtet zwar dem Bundestag über Art und Umfang des Leih-Geschäfts, doch: "Die Verwaltung hält die Berichte unter Verschluss."
Guttenberg ließ sich noch 2009 Gesetze schreiben
Tatsächlich beschäftigt die Bundesverwaltung seit mindestens 35 Jahren Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden - in sämtlichen Ministerien. Bekannt wurde das Leih-Geschäft aber erst 2006 - nach einem Bericht des Polit-Magazins "Monitor".
2008 legte die Bundesregierung einen ersten "Bericht über den Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung" vor. Und legte auch fest, dass Mitarbeiter von außen nicht länger an der Formulierung von Gesetzen mitwirken dürften.
Doch die Realität war eine andere. 2009 wurde bekannt, dass der damalige Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die internationale Großkanzlei Linklaters aufgefordert hatte, den Entwurf für ein "Gesetz zur Ergänzung des Kreditwesengesetzes" zu schreiben.
Der Einsatz der Leiharbeiter ist nur eine von vielen Varianten, mit der der Lobbyismus in Berlin Einfluss nimmt. Die einflussreichsten Interessenvertreter treffen sich im Adler-Kreis oder, 46 an der Zahl, im "Collegium", einem verschwiegenen Klub, der gerne auch mal einen Staatsminister aus dem Kanzleramt dazu lädt. Die TV-Dokumentation "Lobbyisten - die stille Macht im Land" von Thomas Leif (SWR, 3. Dezember, 20.15 Uhr) beleuchtet die Branche, die zu den maßgeblichen Akteuren im politischen Betrieb gehört.
Für Rechtswissenschaftler Hartmann ist der Grundgedanke, Wirtschaft und Verwaltung zusammenzubringen, nachvollziehbar. Aber: "Es fehlt an neutraler und damit unabhängiger Kontrolle." Der Ausweg aus dem Dilemma? Braucht die Verwaltung eine Expertise von außen, sollte sie laut Hartmann diese nicht durch Einstellung von Externen, sondern durch Konsultation decken: Dies "ließe die geschilderten Neutralitätsprobleme entfallen oder milderte sie jedenfalls erheblich".