Stimmenfang - Der Politik-Podcast Lobbyisten oder Politiker – Wer macht unsere Gesetze?
PR-Beratung, Consulting, Interessensvertretung - für das Wort Lobbyismus gibt es viele Synonyme. Aus gutem Grund: Dem Lobbyismus haftet ein negatives Image an. Wer an Lobbyarbeit denkt, hat Hinterzimmer-Deals im Kopf oder zwielichtige Treffen in dunklen Tiefgaragen. Doch meist wird Lobbyismus ganz normal in Büros und Konferenzräumen betrieben. Oder direkt in der Öffentlichkeit, wie das Beispiel der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft zeigt.
Im vergangenen Sommer twitterte Julia Klöckner (CDU) ein Video, das sie mit dem Deutschland-Chef des Lebensmittelkonzerns Nestlé zeigt. Ganz erfreut blickt die Ministerin in die Kamera und sagt: "Ich habe heute viel Neues erfahren und freue mich, dass wir Unterstützung haben für unsere neue Innovations- und Reduktionsstrategie. Weniger Zucker, weniger Salz, weniger Fett." Der Nestlé-Chef steht daneben und nickt zufrieden.
Solche Treffen zwischen hochrangigen Politikern und Lobbyisten - sind sie die Ausnahme oder doch eher die Regel? Und wie viel Einfluss haben Lobbyisten tatsächlich in Deutschland? Darum geht es in der neuen Folge von Stimmenfang, dem Politik-Podcast.
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Wir treffen den Lobbyisten Andreas Geiger, der die Interessen von Unternehmen und Staaten in Berlin und Brüssel vertritt. Er sagt: "Mein Job ist es immer, dem Mandanten zum bestmöglichen Erfolg zu verhelfen." Und er kann sich vorstellen, für jeden Auftraggeben zu arbeiten - auch für Rüstungsunternehmen oder die Tabakindustrie: "Mich treibt der Grundsatz an: Jeder hat ein Recht auf Verteidigung."
Außerdem gehen wir auf eine lobbykritische Stadtführung durch das Berliner Regierungsviertel. Auch wenn die genaue Zahl der Lobbyisten in der Hauptstadt nicht bekannt ist, bekommen wir dort einen Eindruck, wie viele Interessensvertreter direkt an der politischen Halsschlagader Deutschlands arbeiten.
Und der SPIEGEL-Reporter Sven Becker erklärt, warum eigentlich so viele Politiker nach ihrer aktiven Karriere für Wirtschaftsunternehmen Lobbyarbeit betreiben. "Viele Politiker finden, sie haben das Recht, nach jahrelangen 80-Stunden-Wochen ihre Kontakte zu versilbern", sagt er.
Der ganze Podcast zum Lesen
[00:00:04] Matthias Kirsch Willkommen zu Stimmenfang, dem Politik-Podcast vom SPIEGEL.
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[00:01:01] Julia Klöckner (CDU) Essen und Trinken ist wichtig, aber die Frage ist: Ist es mit unserer Umwelt gut vereinbar und ist es vor allen Dingen gut für unsere Gesundheit? Deshalb freue ich mich, dass wir uns heute über die Philosophie von Nestlé unterhalten haben.
[00:01:15] Matthias Kirsch Im vergangenen Sommer twitterte die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ein Video, aus dem wir hier einen Ausschnitt gehört haben. Sie erntet dafür einen Shitstorm. Weil sie sich mit dem Chef des Lebensmittelkonzerns Nestlé trifft, wird Ihr Nähe zur Lebensmittel Lobby vorgeworfen.
[00:01:31] Julia Klöckner (CDU) Ich habe heute viel Neues erfahren und freue mich, dass wir Unterstützung haben für unsere Innovations- und Reduktionsstrategie.
[00:01:38] Matthias Kirsch Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft lässt sich also ausgerechnet von einem der umstrittensten Lebensmittelkonzerne der Welt beraten. Vor allem bei der Opposition trifft sie damit auf Unverständnis. Der stellvertretende Fraktionschef der Grünen im Bundestag zum Beispiel, Oliver Krischer, der sagt der WDR-Sendung Aktuelle Stunde damals:
[00:01:58] Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) Das ist eigentlich ein Vorgehen, was einer Ministerin unwürdig ist - sich hier als Werbefläche für private Konzerne hergeben.
[00:02:07] Matthias Kirsch Dass sich also hochrangige Politiker mit Lobbyisten treffen- ist das die Ausnahme oder doch vielleicht einfach die Regel? Und wie viel Einfluss haben Lobbyisten überhaupt auf die deutsche Politik? Darum geht es in dieser Folge von Stimmenfang. Ich spreche dafür mit einem Lobbyisten, der die Interessen von Unternehmen vertritt. Mein Kollege Sven Becker erklärt, warum so viele Politiker nach ihrer aktiven Karriere dann in den Lobbyismus gehen. Zuerst aber gehe ich mit meinem Kollegen Sebastian Spallek auf eine Stadtführung der besonderen Art.
[00:02:37] Martin Jähnert Vielleicht habt ihr es ja schon gesehen - auch richtig schön beleuchtet extra für uns - die deutschen Brauer. Das ist unsere erste Station, erst einmal eben so ein klassischer Lobbyvertreter, nämlich so ein Verband.
[00:02:45] Matthias Kirsch Der Mann, den wir hier gehört haben, das ist Martin Jähnert. Im Auftrag der Organisation LobbyControl macht er lobbykritische Stadtführungen durch Berlin.
[00:02:55] Martin Jähnert Diese Verbände haben dann die Aufgabe, so ein bisschen branchenintern Service zu leisten, Austausch zu machen und dann auch die Interessen der jeweiligen Branche zu vertreten. Hier haben sich dann die Brauer, die Brauereien in Deutschland, zu so einem Dach- beziehungsweise Bundesverband zusammengeschlossen, und der vertritt dann die Interessen der Brauereiwirtschaft bei der Bundesregierung und beim Parlament.
[00:03:14] Matthias Kirsch Mein Kollege Sebastian Spallek, der hat zu dem Thema Lobbyismus recherchiert. Er war auch kürzlich auf einer lobbykritischen Stadtführung dabei. Jetzt ist er hier im Studio. Hallo, Sebastian.
[00:03:24] Sebastian Spallek Hi, Matthias!
[00:03:25] Matthias Kirsch Sebastian, sag mal, eine lobbykritische Stadtführung - das klingt erst mal ungewöhnlich. Kannst du uns mal erklären, was man da eigentlich macht?
[00:03:34] Sebastian Spallek Es war auch wie jede andere Stadtführung, aber man guckt sich eben keine Sehenswürdigkeiten an, sondern eben Lobbybüros. Und Martin Jähnert, unser Stadtführer, der hat uns dann erklärt, wie Lobbyisten arbeiten und wie Lobbyismus funktioniert.
[00:03:47] Martin Jähnert Was ist für euch Lobbyismus? Ist das gut? Ist das schlecht? Was würdet ihr sagen?
[00:03:52] Matthias Kirsch Eine Stadtführung mit erklärendem Charakter irgendwie. Was sind das denn für Leute, die sich für eine solche Stadtführung anmelden? Das sind wahrscheinlich keine Touristen, nehme ich mal an.
[00:04:03] Sebastian Spallek Bei meiner Gruppe, das war ein Abendgymnasium.
[00:04:06] Teilnehmer der lobbykritischen Führung Also, in erster Linie ist es erstmal vorwiegend nur Interessenvertretung, und das ist erst mal neutral oder positiv vielleicht auch zu betrachten.
[00:04:15] Sebastian Spallek Die haben gerade in ihrem Politik-Leistungskurs das Thema Lobbyismus bearbeitet.
[00:04:18] Teilnehmer der lobbykritischen Führung Aber gleichzeitig ist es natürlich negativ behafteter Begriff häufig, weil ja Lobbyisten, weiß man ja...
[00:04:29] Sebastian Spallek Es waren so um die zwölf Leute und alle so Mitte zwanzig.
[00:04:32] Martin Jähnert Ich glaube, dann kann ich fast unsere kleine Einleitung, die wir immer so machen, ein bisschen kürzer fassen als sonst, denn da ist schon vieles drin, was wir am Anfang, was uns am Anfang dieser Stadtführung häufig sehr wichtig ist.
[00:04:42] Matthias Kirsch Ist es denn eigentlich leicht oder ist es schwer, die Büros von Lobbyisten in Berlin zu finden?
[00:04:48] Sebastian Spallek Das ist überhaupt nicht schwer. Unsere Gruppe hat sich einfach direkt im Regierungsviertel getroffen, quasi direkt an der Quelle. Da sitzen die ganzen Lobbybüros.
[00:04:55] Matthias Kirsch Also ganz in der Nähe vom Bundestag, nicht weit von den Abgeordnetenbüros und so?
[00:05:01] Sebastian Spallek Ganz genau. Und da fällt einem auch auf, dass, wenn man durch Berlin-Mitte läuft, da sind extrem viele Lobbysbüros.
[00:05:08] Matthias Kirsch Und der Stadtführer Martin Jähnert? Der hat euch dann einfach erklärt, wie die tägliche Arbeit von Lobbyisten aussieht - oder wie muss man sich das vorstellen?
[00:05:15] Sebastian Spallek Ganz genau. Wir haben es ja gerade schon gehört: Unser erster Stopp war dann der Deutsche Brauerverband und dort hat er dann erklärt, wie direkter Lobbyismus funktioniert.
[00:05:25] Martin Jähnert Am besten hat man Freundinnen und Freunde in der ganzen politischen Auseinandersetzung. Und Freunde kann man sich unter anderem schaffen, indem man Menschen schmeichelt. Und das tut die Brauereiwirtschaft, indem sie jährlich eine größere Veranstaltung schmeißt. Und da wird dann der Botschafter oder die Botschafterin des Bieres gekürt, der Ehrenpreis, jedes Jahr.
[00:05:42] Sebastian Spallek Und das heißt, die Lobbyisten suchen die Nähe zur Politik, damit sie dann eben Einfluss, langfristigen Einfluss auf die Politik nehmen können und eben so ihrer Branche Vorteile bringen.
[00:05:52] Matthias Kirsch Und dieses Nähesuchen, von dem du geredet hast, wie sieht das in der Realität aus?
[00:05:58] Sebastian Spallek Also mal ein Beispiel: Der Bier-Botschafter dieses Jahres ist Sigmar Gabriel. Und dadurch, dass der Brauerei-Verband eben diesen Preis vergeben hat, haben die schon so eine Art Nähe geschaffen. Und solche Preise gibt es doch relativ viele. Der FDP-Chef Christian Lindner, der ist gerade Brot-Botschafter und da steckt der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks dahinter.
[00:06:19] Matthias Kirsch Also die Lobbyisten vergeben Preise, kommen so in Kontakt mit den Politikern und können die dann langfristig irgendwie ausnutzen, um Einfluss zu gewinnen. Das ist ja interessant. Aber sag mal, die Politiker, die wissen doch ganz genau, was diese Verbände, was diese Unternehmen vorhaben. Die wissen doch: Die Lobbyisten kommen mit einem ganz klaren Plan zu denen.
[00:06:38] Sebastian Spallek Na klar, das wissen die auch. Den Politikern, denen geht es in erster Regel ja um Informationen.
[00:06:42] Martin Jähnert Speziell die Abgeordneten im Parlament brauchen diese externe Expertise, dieses Fachwissen, weil sie gar nicht genügend Ressourcen haben, sich so intensiv in die Themen einzuarbeiten, wie das notwendig wäre. Deshalb sagen da einige: Ich kann ohne Lobbyistinnen und Lobbyisten gar nicht arbeiten, ich brauche dieses Fachwissen. Das Fachwissen ist natürlich immer auch interessengeleitet, natürlich - allzu interessengeleitet darf es dann auch nicht sein. Denn wenn es falsch wird, dann blamieren sich die Abgeordneten, wenn sie dieses Fachwissen annehmen, blamieren sich vor der Presse, vor Kolleginnen und Kollegen, und werden vielleicht mit dem Lobbyisten, der dieses Fachwissen zur Verfügung gestellt hat, ab sofort nicht mehr reden.
[00:07:14] Matthias Kirsch Das heißt, wenn es jetzt im Bundestag zum Beispiel zu einer Abstimmung, zu einem bestimmten Thema kommt und eine Politikerin, ein Politiker, die kennen sich bei diesem Thema jetzt nicht so gut aus, dann kriegen die tatsächlich ihre Informationen von Lobbyisten.
[00:07:28] Sebastian Spallek Ja, das ist ganz oft so. Und das machen übrigens alle. Es sind nicht nur die großen Industrieunternehmen, wie man sich das vorstellt, die Politikern eben Infos liefern, sondern auch NGOs wie Greenpeace oder Amnesty - die machen genau das Gleiche.
[00:07:40] Matthias Kirsch Okay, ich fasse einmal kurz zusammen: Der direkte Lobbyismus, wie du ihn genannt hast, das ist also, wenn Lobbyisten die Nähe von Politikern suchen, um so Einfluss zu gewinnen. Gibt es denn noch andere Formen von Lobbyismus?
[00:07:54] Du hast ja schon gesagt, das Ziel von Lobbyismus ist immer Einfluss zu gewinnen. Und dann muss man nicht immer die Politik selbst beeinflussen, sondern kann auch die Wähler, also die Bürgerinnen und Bürger, beeinflussen.
[00:08:04] Martin Jähnert Gerade eben ging es ja um persönliche Kontakte, die man braucht, um direkt Einfluss nehmen zu können. Man kann aber auch indirekt Lobbyismus machen, indem man sich an die breite Öffentlichkeit wendet, versucht das politische Klima so zu beeinflussen, dass dann politischer Druck in die eine, in die gewünschte Richtung entsteht und politische Entscheidungen wahrscheinlicher werden, die man selber will.
[00:08:22] Sebastian Spallek Diese Art von Lobbyismus, die kann man eben so als Polit-PR verstehen. Im Grunde ist das nichts anderes wie Öffentlichkeitsarbeit.
[00:08:29] Matthias Kirsch Und wie muss man sich das vorstellen, wie schaffen es die Lobbyisten denn im Endeffekt die große, breite Öffentlichkeit zu erreichen?
[00:08:36] Sebastian Spallek Da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Man kann zum Beispiel Online-Kampagnen schalten, um Aufmerksamkeit zu bekommen mit emotionalen Bildern, die die Menschen sensibilisieren. Oder man verteilt Flyer oder ganz traditionell, lässt Zeitungsanzeigen schalten.
[00:08:50] Matthias Kirsch Das heißt, wenn ich hier am Berliner Hauptbahnhof vorbeigehe und da sind diese Organisationen, die gerne mal so ein Zelt aufstellen und die Leute ansprechen und auch mal Flyer verteilen - die machen im Grunde nichts anderes als Lobbyismus.
[00:09:02] Sebastian Spallek Ganz genau. Es geht immer darum, Aufmerksamkeit für ein Thema zu generieren. Und da ist in Organisationen eigentlich jedes Mittel recht. Das ist nichts anderes wie Werbung.
[00:09:11] Matthias Kirsch Okay, es gibt durchaus mehrere Möglichkeiten, Lobbyismus zu betreiben. Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten da gehört. Was ich mich aber jetzt frage: Wird eigentlich für jedes Thema Lobbyismus betrieben?
[00:09:23] Sebastian Spallek Ich denke für so ziemlich jedes Thema, und das sieht man allein daran, wie viele Lobbybüros es in Berlin gibt.
[00:09:29] Martin Jähnert Man sieht aber, wie dicht es sich doch hier so ein bisschen stapelt. Das ist hier zugegebener Weise auch eine ziemlich dichte Ecke. Aber von solchen Ecken, von solchen Bürogebäuden, in denen hauptsächlich Lobbyorganisationen sitzen, von denen gibt es hier doch einige. Und man sieht auch, dass im Grunde für jedes erdenkliche Interesse, das man sich vorstellen kann, auch die jeweilige Organisation gibt, die genau dieses Interesse vertritt.
[00:09:48] Sebastian Spallek Um das mal zu verdeutlichen: Ich bin dann eine Straße im Regierungsviertel mal abgelaufen, und direkt nebeneinander sind da zum Beispiel der Verband der Chemischen Industrie oder der Backzutatenverband oder der Verband der Getreidewirtschaft und so weiter.
[00:10:02] Matthias Kirsch Also, auf jeden Fall gibt es hier im Regierungsviertel sehr viele Lobbybüros anscheinend. Kann man denn eigentlich sagen, welche die mächtigste Lobby in Deutschland ist?
[00:10:11] Sebastian Spallek Das ist gar nicht so einfach, und das kann man auch nicht so genau sagen. Aber genau das Thema kam auch bei der Stadtführung auf:
[00:10:17] Martin Jähnert Messen kann man vielleicht ein Stück weit den Einfluss am Geld oder an der Anzahl der Lobbyistinnen und Lobbyisten. Und deswegen fragen dann Journalist*innen häufig auch uns: Sagt mal, wisst ihr eigentlich, wie viele Lobbyisten gibt es eigentlich hier im Regierungsviertel? Solche Fragen werden dann häufig gestellt. Wir finden, die werden auch zurecht gestellt, und wir müssen dann genauso wie die Journalistinnen und Journalisten sagen: Wir wissen es leider nicht.
[00:10:38] Matthias Kirsch Es ist also nicht ganz klar, welche Lobby in Deutschland die mächtigste ist. Wir wissen auch nicht so genau, wie viele Lobbyisten es eigentlich in Berlin gibt. Der Lobbyismus bleibt dann doch irgendwie ein relativ intransparentes Gewerbe. Sebastian, dir schon einmal vielen Dank für die vielen Informationen.
[00:10:54] Sebastian Spallek Danke dir, Matthias!
[00:10:56] Matthias Kirsch Um mehr über das Innenleben der Lobbybranche zu erfahren, spreche ich jetzt mit einem echten Lobbyisten. Er wird von Unternehmen und von Staaten beauftragt, um ihre Interessen zu vertreten. Andreas Geiger ist Jurist und betreibt seit 13 Jahren eine Lobbykanzlei. Hallo, Herr Geiger!
[00:11:10] Andreas Geiger Schönen Tag und herzlichen Dank für die Einladung.
[00:11:13] Matthias Kirsch Herr Geiger, Lobbyismus hat in der Öffentlichkeit nicht den allerbesten Ruf. Sie nennen sich trotzdem ganz offen Lobbyist. Viele Ihrer Kollegen allerdings nicht - warum nicht?
[00:11:24] Andreas Geiger Ich denke, weil viele Angst davor haben, damit dann in eine "shady" Ecke gestellt zu werden, irgendwo im Halbschatten arbeiten und versuchen, durch die Begrifflichkeit dann dem auszuweichen. Public Affairs oder wie sie das alles dann immer nennen wollen.
[00:11:44] Matthias Kirsch Consulting, PR-Berater, solche Begriffe.
[00:11:48] Andreas Geiger Das halte ich für eigentlich fehlerhaft, weil damit überhaupt erst die fehlerhafte Wahrnehmung entsteht, man würde a) machen, tritt dann aber b) machend auf, und das passt dann nicht zusammen. Wenn ich legitime Interessen zu vertreten habe, dann kann ich das genauso artikulieren. Wenn ich illegitime Interessen vertrete, sollte ich das lieber bleiben lassen, so oder so. Und dann bringt auch ein anderes Label auf der Tätigkeit nichts.
[00:12:14] Matthias Kirsch Das heißt, Lobbyarbeit in Berlin ist in der Regel ganz legal?
[00:12:19] Andreas Geiger Lobbyarbeit sollte immer überall ganz legal sein. Alles andere ist Korruption, Käuflichkeit, Bestechung, Bestechlichkeit. Das hat mit Lobbyarbeit eigentlich überhaupt nichts zu tun.
[00:12:32] Matthias Kirsch Wie sieht denn Ihr Job als Lobbyist so tagtäglich aus?
[00:12:36] Andreas Geiger Im Grunde genommen handelt es sich um nichts anderes als Interessenvertretung im Gesetzgebungsverfahren in den meisten Fällen. Und unser Job ist es, dafür zu sorgen, dass die Argumente derer, die eben unter so einer Gesetzgebung dann leiden würden,...
[00:12:54] Matthias Kirsch Ihre Kunden.
[00:12:55] Andreas Geiger ...unsere Mandanten, eben gehört werden und nicht einfach weggewischt werden.
[00:12:59] Matthias Kirsch Das heißt, Sie tun alles dafür, dass die Politik Gesetze so formuliert, dass es ihren Kunden in den Kram passt?
[00:13:06] Andreas Geiger Unser Job ist es immer, dem Mandanten zum bestmöglichen Erfolg zu verhelfen. Das heißt aber nicht, dass wir die Gesetzgebung machen. Die Gesetzgebung macht noch immer der Gesetzgeber.
[00:13:18] Matthias Kirsch Aber Sie beeinflussen sie.
[00:13:19] Andreas Geiger Ja, wir versuchen - wie bei jedem Gerichtsprozess - natürlich, den Prozess für meine Seite zu gewinnen, weil ich glaube, ich habe die besten Argumente. Der Gesetzgeber hinterher trifft die Entscheidung, welche Argumente eher für sich persönlich dann für am überzeugendsten hält. Das ist eine völlig andere Frage.
[00:13:38] Matthias Kirsch Herr Geiger, zu den Kunden Ihrer Kanzlei gehören ganz unterschiedliche, da gehören Staaten dazu, da gehören Unternehmen aus sämtlichen Industrien dazu. Würden Sie für jeden arbeiten?
[00:13:50] Andreas Geiger Auch da treibt mich der alte anwaltliche Grundsatz, dass jeder ein Recht auf eine Verteidigung hat. Es ist so, dass, je tiefer Sie in eine Materie einsteigen, umso eher finden Sie ein Argument, was bislang nicht berücksichtigt wurde und was für diesen Mandanten spricht, auch wenn alles andere dagegen zu sprechen scheint.
[00:14:13] Matthias Kirsch Aber was spricht denn dafür, für Waffenhändler zu arbeiten oder für die Tabakindustrie?
[00:14:18] Andreas Geiger Sie müssen das, glaube ich, immer sachbezogen und nicht themenbezogen sehen. Was ist das konkrete Problem, was ist das konkrete Unterfangen? Wenn, um bei dem Beispiel der Zigarettenindustrie zu bleiben, wenn Philip Morris uns rausschicken würde mit der Information, Zigaretten sind gesund, bitte proklamiert das überall, würden wir das natürlich nicht machen, weil es nachweislich falsch ist. Ich vertrete einen bestimmt inhaltlichen Ansatz oder ich vertrete den nicht. Aber das hat mit dem Mandat, mit dem Mandanten per se eigentlich nichts zu tun. Also wenn Sie sagen, "würden Sie KraussMaffei vertreten", ist die Antwort: kommt drauf an.
[00:14:59] Matthias Kirsch Aber Sie könnten ja zum Beispiel entscheiden, Lobbyismus zu machen für Themen, für Unternehmen, die Dinge tun, die Sie persönlich gut finden.
[00:15:08] Andreas Geiger Im Gegenteil: Je kritischer ich persönlich einem Produkt gegenüberstehe, umso besser arbeite ich für dieses Produkt, weil ich dann natürlich mich auch nicht in diese Scheuklappenpositionen begebe. Ich werde also niemals Teil dieses Unternehmens oder dieses Produkts.
[00:15:25] Matthias Kirsch Aber sagen Sie damit nicht auch im Umkehrschluss, dass, wenn man aus ideologischen Gründen Lobbyismus für etwas betreibt, zum Beispiel, wie es Greenpeace für den Umweltschutz oder PETA für den Tierschutz macht, dass man dann Lobbyismus mit Scheuklappen betreibt?
[00:15:40] Andreas Geiger Das passiert relativ oft, leider. Es gibt da sehr schlaue Menschen in diesen gerade genannten Institutionen, die eben diese Distanz wahren. Es gibt aber eben auch Überzeugungstäter - die gibt es in allen Richtungen, gibt es in der Industrie genauso, wie es die in NGOs gibt. Das ist, glaube ich, das Problem, wenn Sie etwas vertreten, hinter dem Sie zu 120 Prozent stehen: Sie verlieren die notwendige, persönliche Distanz.
[00:16:08] Matthias Kirsch Wir haben zu Beginn unserer Folge schon gehört, warum Politiker sich mit Lobbyisten treffen. Die Politiker kommen so recht einfach und schnell an Informationen. Aber warum besorgen sich die Politiker diese Infos nicht aus einer neutralen Quelle, zum Beispiel aus Universitätsstudien oder ähnlichem?
[00:16:25] Andreas Geiger Studien, da haben Sie immer hundert, zweihundert Seiten Papier, die Sie erst mal durchforsten müssen. Im Grunde genommen machen wir kostenlos genau diese Arbeit für den Abgeordneten, indem wir sagen: Gib uns eine halbe Stunde, eine Stunde, wir kommen, haben dir hier unsere wesentlichsten Punkte auf einer Seite, sechs Bullet Points niedergeschrieben. Wir erklären es dir auch nochmal kurz, was das genau heißt. Das heißt, du hast von unserer Seite diese ganzen 150 Studien, die es dann eben aus der Branche zu dem Thema gibt, alles heruntergebrochen auf einer Seite.
[00:17:06] Matthias Kirsch Aber Sie fassen ja nur die Studien zusammen, die in Ihrem Interesse liegen.
[00:17:09] Andreas Geiger Genau. Und wenn jetzt Greenpeace kommt und genau das Gleiche macht, dann hat er in zwei Stunden so viel Informationen gesammelt, wie er sonst in 20, 200 Stunden vielleicht hätte.
[00:17:20] Matthias Kirsch Ist in dem Sinne denn die Politik irgendwie abhängig geworden von dem Lobbyismus?
[00:17:26] Andreas Geiger Die Politik war und ist und wird immer sein und zu Recht abhängig von Informationsinput. Das ist, glaube ich, der wesentlichste Bestandteil, um vernünftig Politik betreiben zu können. Das ist unsere Arbeit, wenn Sie so wollen.
[00:17:41] Matthias Kirsch Was ich mich frage, was sich vielleicht unsere Hörer auch fragen: Warum machen diese Unternehmen, die Sie beauftragen, nicht Ihre Lobbyarbeit selbst? Warum beauftragen die Lobbyistenkanzleien wie die ihre?
[00:17:54] Andreas Geiger Nicht jedes Unternehmen hat ja jeden Tag ein Gesetzgebungsverfahren, was es irgendwie an den Rand des Ruins treiben würde. Das heißt also, da kommt mal was alle drei, fünf, zehn Jahre. Und wenn das da ist, dann brauchen die normalerweise auch zusätzliche Manpower. Vom Know-how her zusätzliche Manpower, aber auch von den Zugängen her.
[00:18:16] Matthias Kirsch Das heißt, Ihre Kunden kaufen im Grunde das Adressbuch von Ihnen und Ihren Kollegen in der Kanzlei.
[00:18:23] Andreas Geiger Nicht das Adressbuch, würde ich sagen, sondern die Arbeitsroutine zu wissen, mit wem man wozu, wann am besten spricht. Und den Umstand, dass wir eigentlich täglich mit genau diesen Leuten reden, zu anderen Themen, aber eben diesen Leuten vertraut sind.
[00:18:41] Matthias Kirsch Aber kommt daher nicht das Misstrauen gegenüber dem Lobbyismus her, dass die Menschen in der Öffentlichkeit irgendwie das Gefühl haben, da werden hinter verschlossener Tür Kontakte ausgenutzt? Oft gehen ja auch frühere Politiker nach ihrer Karriere in den Lobbyismus.
[00:18:56] Andreas Geiger Der Vorteil ist gleichzeitig der Nachteil. Der Nachteil ist das Bauchgefühl, was entsteht, wenn Sie sagen, die Leute arbeiten jetzt auf der anderen Seite. Der Vorteil ist: Sie haben auch schon mal auf der anderen Seite gearbeitet und wissen deswegen, wie diese Apparate funktionieren, haben besseres Verständnis auch für die Leute und für die Zwänge, in denen diese Leute stehen. Dementsprechend haben sie einen etwas verständnisvolleren Umgang miteinander.
[00:19:26] Matthias Kirsch Schauen wir zum Schluss nochmal zurück: Wir hatten am Anfang über den Vorwurf geredet, dass Lobbyismus ein intransparentes, nicht ganz durchsichtiges Geschäft ist für ganz große Teile der Öffentlichkeit. Würden Sie dem denn eigentlich zustimmen?
[00:19:43] Andreas Geiger Ich glaube, das hängt stark mit der Berichterstattung darüber zusammen. Ich meine, wenn Sie wüssten: Okay, da war der bei dem und hat über dieses geredet, und das ist auch hier und dort dokumentiert, was ja in Brüssel beispielsweise passiert - je mehr Sie diesbezüglich an Transparenz schaffen, umso weniger Skepsis besteht da auch. Deswegen bin ich ja auch ein Verfechter dieses verpflichtenden Transparenzregisters, sowohl in Brüssel als auch in Berlin.
[00:20:13] Matthias Kirsch Glauben Sie denn, dass ein Lobbyregister, Transparenzregister, das Organisationen wie LobbyControl, aber auch politische Parteien mittlerweile im Bundestag fordern - würde so ein Lobby-, so ein Transparenzregister tatsächlich etwas ändern?
[00:20:28] Andreas Geiger Ich glaube, damit würde schon sehr viel, was diese Verschwörungstheorien angeht, sehr viel Wind aus den Segeln genommen. Sie nehmen vor allem den Verdacht, dass es irgendwelche schwarzen Schafe gibt aus der Öffentlichkeit, weil eben jeder nachschauen kann, was da eigentlich gemacht wird.
[00:20:47] Matthias Kirsch Also, Sie wären für ein Transparenzregister, wo die Unternehmen und die Lobbykanzleien so viel wie möglich offenlegen.
[00:20:54] Andreas Geiger Absolut.
[00:20:56] Matthias Kirsch Herr Geiger, vielen Dank für Ihre Zeit und für das Gespräch.
[00:20:58] Andreas Geiger Ich danke Ihnen für die Zeit.
[00:21:00] Matthias Kirsch Wir haben jetzt gehört, welche verschiedenen Formen von Interessensvertretung es gibt. Der Lobbyist Andreas Geiger hat uns die Innenansicht aus der Perspektive eines Lobbyisten gegeben. Wir können also festhalten: Lobbyisten sind tatsächlich eine wichtige Informationsquelle für Politiker. Aber sie sind natürlich nicht die einzige. Trotzdem bleibt jetzt noch die Frage: Wie geht Politik eigentlich mit Lobbyismus um? Und warum landen so viele Politiker nach ihrer politischen Karriere auf der Gegenseite? Darüber spreche ich jetzt mit Sven Becker. Er ist Reporter im Investigativ- Team des SPIEGEL und er arbeitet schon lange zum Thema Lobbyismus. Hallo, Sven.
[00:21:40] Sven Becker Hallo, grüße dich.
[00:21:40] Matthias Kirsch Wir haben gerade ja vom Lobbyisten Andreas Geiger gehört, dass er sich eigentlich ein Lobbyregister wünschen würde. Warum gibt es dieses Register in Deutschland nicht?
[00:21:49] Sven Becker Ja, das ist eine gute Frage. Ich denke, es liegt daran, dass die Politik das seit langem blockiert, im Moment insbesondere in Form der Unionsfraktion. Es gibt immer wieder Ideen und Ansätze, Entwürfe, Debatten im Bundestag über ein Lobbyregister, meistens initiiert von den Oppositionsfraktionen.
[00:22:07] Petra Sitte (Die Linke) Oft genug hinterlassen Lobbyisten ihren Fußabdruck nämlich gar nicht nur im Bundestag, sondern vor allem auf der Ebene der Ministerien. Sie arbeiten mit an der Problemdefinition, sie arbeiten mit an Gesetzentwürfen und bei der Ausrichtung von Förderprogrammen.
[00:22:23] Sven Becker Aber meistens versandet das dann kurz vor den Wahlen. Und dann kommt eine neue Regierung, und dann wird darüber wieder vier Jahre diskutiert, und es passiert nichts.
[00:22:32] Matthias Kirsch Sven, wie müsste denn so ein Lobbyregister aussehen, damit es seinen Zweck auch erfüllt, nämlich mehr Transparenz schaffen?
[00:22:38] Sven Becker Ja, sicherlich müssten Lobbyregister offenbaren, erst einmal, wer als Lobbyist in Berlin tätig ist, von Unternehmen, von Verbänden, von Lobby, Agenturen, von Anwaltskanzleien.
[00:22:50] Friedrich Straetmanns (Die Linke) Wie viel Geld die Dax-Konzerne in Berlin in Lobbytätigkeit stecken, ist nirgends aufgeführt. Wir haben ein Verbandsregister, in dem nur rudimentäre Daten stehen. Das ist im Sinne der Transparenz nicht länger hinnehmbar.
[00:23:04] Sven Becker Das müsste verpflichtend sein, dass die eben offenbaren a) für wen bin ich tätig, in wessen Auftrag, welche finanziellen Mittel stehen mir dafür zur Verfügung. Es müsste sicherlich drinstehen, an welchen Gesetzen sie beteiligt gewesen sind oder an wen sie sich gewandt haben.
[00:23:21] Matthias Kirsch Jetzt haben wir viel über das geredet, was es gerade im Moment noch gar nicht gibt. Lass uns über die Realität sprechen. Wie stark ist denn der Einfluss der Lobbyisten im Endeffekt - zum Beispiel auf den Gesetzgebungsprozess?
[00:23:34] Sven Becker Was wir beobachten, ist, dass es immer wieder Fälle gibt, wo Lobbyisten Gesetze mitschreiben - natürlich am Ende verabschiedet vom Bundestag, aber wo der Einfluss schon sehr enorm ist. Es hat auch in der Vergangenheit Fälle gegeben, wo man Passagen fast eins zu eins wiedergefunden hat, nicht nur in Gesetzen, sondern auch zum Beispiel in Koalitionsverträgen. Darüber habe ich mit dem Kollegen Gerald Traufetter schon mal eine Recherche gemacht, die wir auch veröffentlicht haben. Nach der vorletzten Bundestagswahl sind uns Informationen zugespielt worden, dass damals die Kohleindustrie eine Passage fast wortgleich im Koalitionsvertrag von Union und SPD unterbekommen hat, die sehr zum Wohle der Kraftwerksbetreiber und Kohleunternehmen gewesen ist.
[00:24:20] Matthias Kirsch Erst vor kurzem hast du mit Kollegen vom SPIEGEL aufgedeckt, wie viele Jobangebote zum Beispiel der frühere Vizekanzler Sigmar Gabriel aus der Wirtschaft angenommen hat, seit er eben nicht mehr als aktiver Politiker tätig ist - das ist ein Beispiel. Aber warum wechseln überhaupt so viele Ex-Politiker dann die Seite in Richtung Wirtschaft, in Richtung Lobbyismus?
[00:24:42] Sven Becker Viele Politiker haben ein dickes Adressbuch aus ihrer Regierungszeit, haben Zugänge bekommen zu anderen Politikern, zu Informationen, haben mitentschieden über die Zukunft des Landes. Und viele Politiker sehen es eben so: Sie haben jetzt viele Jahre lang hart gearbeitet - 60-, 70-, 80-Stundenwochen, keine Wochenenden. Viele sehen es quasi auch als ihr Recht an, jetzt mehr Geld zu verdienen, ein bisschen weniger vielleicht zu arbeiten und versilbern ihre Adressbücher.
[00:25:09] Matthias Kirsch Genau das ist ja ein Punkt, der besonders in der Öffentlichkeit, bei den Bürgerinnen und Bürgern irgendwie für Unverständnis sorgt. Hier sind Menschen, die eigentlich im Interesse der Bürger arbeiten sollten, die dann im Nachhinein sich ihre Kontakte, wie du sagst, versilbern. Gibt es denn Regeln, die das irgendwie im Zaum halten?
[00:25:31] Sven Becker Ja, es gab in den letzten Jahren einige große Affären, große Skandale, wo Politiker quasi nahtlos die Seiten gewechselt haben.
[00:25:38] Matthias Kirsch Hast du ein Beispiel, ein rezentes?
[00:25:41] Sven Becker Ich erinnere mich da an den Fall Eckart von Klaeden, Staatsminister im Kanzleramt, der fast über Nacht die Seiten gewechselt hat und Cheflobbyist des Autobauers Daimler geworden ist. Da stand dann der Vorwurf im Raum, dass er quasi belohnt wurde, für Hilfen, die er im Amt geleistet hat, indem er dann hinterher den Cheflobbyisten-Posten bekommen hat. Er hat das immer bestritten. Ich glaube, es ist auch wichtig, das hier an dieser Stelle einmal zu erwähnen -das war sicherlich so einer der Affären, die zu einem Umdenken in der Politik geführt haben.
[00:26:10] Matthias Kirsch Ein Umdenken in der Politik, so ein Wechsel von heute auf morgen über Nacht - der ist ja heute nicht mehr möglich.
[00:26:18] Sven Becker Genau, ausgelöst durch solche Affären ist vor der letzten Bundestagswahl das Ministergesetz geändert worden. Es ist ein Grenzzeit-Gremium, eine sogenannte Ethikkommission, eingeführt worden, die Fälle vorgelegt bekommt. Wenn Politiker 18 Monate nach Ausscheiden aus dem Amt eine neue Tätigkeit anstreben, müssen sie die, wenn sie außerhalb des öffentlichen Dienstes ist, diesem Gremium anzeigen. Die bekommen diese Fälle dann auf den Tisch und gucken die sich unter dem Blickwinkel an, sind da potenzielle Interessenkonflikte. Ist, wie es im Gesetz heißt, die Integrität der Bundesregierung in der Öffentlichkeit gefährdet. Dann können die Politiker bis zu 18 Monate lang untersagen, diesen Job anzunehmen.
[00:27:01] Matthias Kirsch Und, würdest du sagen, diese Regelung funktioniert?
[00:27:05] Sven Becker Wir sehen in vielen, vielen Fällen auch von Sigmar Gabriel, den du angesprochen hast, schon, dass diese Regelung wirkt. Politiker müssen Zwangspausen einlegen. Insofern klappt das schon ganz gut. Was wir in der Recherche herausgefunden haben, ist, dass bei einigen Politikern der Verdacht naheliegt, dass sie ihre Karenzzeit umgehen und trotzdem wieder in Ministerien vorstellig werden.
[00:27:28] Matthias Kirsch In der Rolle von Lobbyisten.
[00:27:30] Sven Becker Also, es gibt den ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretär im Innenministerium, der eine Karenzzeit von zwölf Monaten auferlegt bekommen hat, weil er angezeigt hat, er würde gerne als Rechtsanwalt und Unternehmensberater arbeiten. Wir haben eben herausgefunden, dass er auch innerhalb dieser zwölf Monate wieder in diversen Ministerien vorstellig geworden ist. Da sieht man, das Gesetz ist noch nicht perfekt, und es gibt im Moment noch keine Überlegungen, schärfere Sanktionen einzuführen. Also LobbyControl, zum Beispiel, fordert, dann, wenn Vergehen bekannt werden, dass man an die Versorgungsansprüche herangeht, dass auch finanzielle Einbußen für die Beteiligten oder Betroffenen gibt. Ja, das wäre aus meiner Sicht auch sinnvoll, weil dann würden sich auch wirklich alle ehemaligen Politiker, die die Seiten wechseln, dranhalten.
[00:28:16] Matthias Kirsch Jetzt, wo du von solchen Beispielen erzählst, da macht das auf jeden Fall den Eindruck, als bräuchte es dringend diese Sanktionen, damit sich wirklich etwas ändert. Sven, vielen Dank dir.
[00:28:26] Sven Becker Sehr gerne.
[00:28:31] Matthias Kirsch Das war Stimmenfang, der Politik-Podcast vom SPIEGEL. Die nächste Episode von Stimmenfang hören Sie wie immer ab nächstem Donnerstag auf spiegel.de, bei Spotify, bei Apple Podcasts und in allen möglichen Podcast-Apps. Wenn Sie uns Feedback schicken möchten, schreiben Sie uns einfach eine Mail an stimmenfang@spiegel.de oder nutzen Sie unsere Stimmenfang-Mailbox unter 040 380 80 400. An die gleiche Nummer, also 040 380 80 400, können Sie uns auch eine WhatsApp-Nachricht schicken. Diese Folge wurde produziert von Sebastian Spallek, Yasemin Yüksel und mir, Matthias Kirsch. Danke für die Unterstützung an Philipp Fackler, Sebastian Fischer, Lena Jessen, Johannes Kückens und Matthias Streitz. Die Stimmenfang-Musik kommt wie immer von Davide Russo.