Logbuch al-Qaida Wir sind nicht Spanien!

Al-Qaida & Co. drohen in mehreren neuen Videos, und schon warnen Sicherheitsexperten: Deutschland müsse im Superwahljahr Terrorattacken fürchten wie Spanien vor der Wahl 2004. Doch der Vergleich mit den Anschlägen von Madrid ist irreführend.
Von Yassin Musharbash

Berlin - Klar, man kann schon verstehen, dass sich der Gedanke beim ersten Nachdenken aufdrängt: Da drohen Terroristen von al-Qaida, Islamischer Dschihad-Union und Islamischer Bewegung Usbekistans in einer regelrechten Videoflut mit Anschlägen gegen deutsche Interessen. Zugleich beginnt gerade ein bundesdeutsches Superwahljahr mit mehreren Abstimmungen in den Ländern und einer Bundestagswahl.

Denn da war doch schon mal so etwas, oder nicht?

Ach ja, richtig: Spanien, 2004, die Anschläge in Madrid, kurz vor der Wahl. Und direkt danach sind die Spanier aus dem Irak abgezogen, so wie von al-Qaida geplant...

Genau in diesem Sinne äußerten sich denn auch an diesem Wochenende drei nicht ganz unwichtige deutsche Sicherheitsexperten: "Die Islamisten wollen offenkundig auf das Superwahljahr Einfluss nehmen", erklärte Innen-Staatssekretär August Hanning der "Bild am Sonntag." Heinz Fromm, der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, wird mit der Aussage zitiert, das Terrornetzwerk al-Qaida ziele wohl auf die Bundestagswahl und wolle womöglich den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan erzwingen.

Und der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, sagte dem "Focus": "Ein paar Monate vor der Bundestagswahl stellen wir deutliche Parallelen zur Situation in Spanien fest. Der Madrider Terroranschlag im Jahr 2004 sollte die bevorstehende Wahl beeinflussen und zum Abzug spanischer Soldaten aus dem Irak führen. Das Ergebnis ist bekannt: Spanien hat sich zurückgezogen."

Was für "deutliche Parallelen" denn bitte, Herr Ziercke?

Zur Erinnerung: Im Spanien des Jahres 2004 war die größte Oppositionspartei gegen das Irak-Engagement und hatte auch vor dem Anschlag schon gute Siegchancen. (Das war im Übrigen genau der Grund, warum al-Qaida in einem Strategiepapier von 2003 Spanien als sinnvolles nächstes Ziel identifizierte.)

Will Bin Laden Lafontaine als Bundeskanzler?

In Deutschland hingegen ist die einzige deutsche Partei, die geschlossen gegen das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr steht, die Linke. So verblendet sind aber nicht einmal al-Qaida & Co., dass sie einen herbeigebombten Wahlsieg von Oskar Lafontaine erwarten.

In Wahrheit ist es so: Bei keinem realistisch vorstellbaren Ausgang der Bundestagswahl 2009, selbst falls sie im Schatten eines gerade erfolgten Anschlags stattfinden sollte, könnten al-Qaida & Co. propagandistisch Honig saugen. Denn für die beiden großen Volksparteien gehört der Afghanistan-Einsatz zur Staatsräson.

Klar, irgendwie gibt es natürlich schon eine Parallele: al-Qaida & Co. wollen die Bundeswehr aus Afghanistan weghaben, so wie sie vor fünf Jahren Spanien aus dem Irak weghaben wollen. Und irgendwie ist es auch eine Parallele, dass al-Qaida & Co. sich aus diesem Grund den Kopf darüber zerbrechen, gerne auch öffentlich, wie man denn diesmal Deutschland schaden könne.

Aber gleich von "deutlichen Parallelen" zu Madrid 2004 zu sprechen, ist eben trotzdem übertrieben. Jetzt bibbert die halbe Nation, weil suggeriert wird, es sei nahezu zwangsläufig, dass es in der Bundestagswahlnacht kracht. Dabei gibt es andere, aus Terroristensicht sinnvollere Anlässe als Urnengänge in Deutschland. Etwa die jährlich (beziehungsweise alle 14 Monate) anstehenden Mandatsverlängerungen im Bundestag für den Afghanistan-Einsatz. Ganz abgesehen davon, dass in den Videos, wenn man genau hinhört, eher von Anschlägen auf deutsche Soldaten die Rede ist. Eine vernünftige Analyse hätte das berücksichtigt. In jedem Fall hätte sie sich nicht auf eine Pseudo-Parallele beschränkt.

Aber für Sicherheit verantwortliche Behördenleiter haben eben die Tendenz, lieber vor allem einmal zuviel zu warnen, damit es hinterher nicht heißt, sie hätten nicht jedes Szenario vorgedacht.

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