Luftnummer Lizenzentzug Hohle Drohungen gegen Vattenfall

Vattenfall unter Druck: Der Landtag von Schleswig-Holstein diskutiert, ob dem Konzern die Betriebserlaubnis für Atomkraftwerke entzogen werden kann. Dabei haben sich die Politiker bisher offenbar kaum Gedanken gemacht, was dann wirklich zu tun wäre.

Kiel/Hamburg - Wegen der Störfälle und Pannen in den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel gerät der Betreiber Vattenfall immer weiter unter Druck: Weil der Stromkonzern den Namen des Reaktorfahrers nicht herausrücken wollte, rückte die Kripo mit einem Durchsuchungsbeschluss im AKW Krümmel an. Als die Ermittler diesen der AKW-Leitung vorlegten, teilte diese den Namen des gesuchten Mitarbeiters mit, so konnte der Mann letztendlich doch vernommen werden.

Doch damit sind die Probleme des Konzerns längst nicht ausgestanden: Der schleswig-holsteinische Landtag in Kiel beriet heute auf Antrag der Grünen-Fraktion über einen möglichen Lizenzentzug für den Energiekonzern. Der energiepolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Olaf Schulze, kritisierte Vattenfall als "dilettantisch". Das Unternehmen müsse "längst freiwillig seine Atomkraftwerke stilllegen". Das vom für die Reaktorsicherheit zuständigen Sozialministerium eingeleitete Prüfverfahren zur Zuverlässigkeit des Betreibers sei mehr als berechtigt: "Das Unternehmen Vattenfall ist selber zum Störfall geworden."

Im Sozialministerium sind derzeit zahlreiche Mitarbeiter mit dem Fall beschäftigt: "Unsere Juristen prüfen derzeit, ob die Voraussetzungen für eine Betriebserlaubnis an Vattenfall noch gegeben sind", sagte Sozialministeriums-Sprecher Christian Kohl zu SPIEGEL ONLINE. Man könne derzeit aber "nicht beantworten", wie die einzelnen juristischen Schritte aussähen, sollte man Vattenfall tatsächlich die Lizenz entziehen wollen. Derzeit sei man noch damit beschäftigt, die Fakten zusammenzutragen.

Der Entzug der Betriebserlaubnis - nur eine leere Drohung? "Das ist tatsächlich nicht so einfach", sagt Karl-Martin Hentschel, Fraktionschef der Grünen im Kieler Landtag. In Paragraf 7 des Atomgesetzes sind die Voraussetzungen für die Lizenz zum Betreiben von Kernkraftwerken aufgelistet. Hier heißt es unter anderem:

  • Der Betreiber und das leitende Personal des Atomkraftwerks müssen zuverlässig sein,
  • Das Personal muss ausreichend fachkundig sein, um die Anlage sicher betreiben und in Notfällen richtig reagieren zu können,
  • Der Betrieb des Kernkraftwerks muss technisch sicher sein, was die Vorsorge gegen Schäden nach außen und gegen Störfälle einschließt.

Laut Hentschel hat Vattenfall gleich in mehreren Punkten gegen diese Voraussetzungen verstoßen. "Wenn das Personal bei einem Störfall die falschen Hebel bedient, ist es nicht fachkundig genug", sagte der Politiker zu SPIEGEL ONLINE. Besonders kritisch sei in diesem Zusammenhang, dass während des Feuers im Trafohaus des AKW Krümmel Rauchgas in die Leitwarte eingedrungen sei. "Die Leitwarte muss immer voll einsatzfähig sein, selbst bei einem GAU. Das ist nicht mehr gegeben, wenn dort Rauchgas eindringt."

Offen sei auch, warum 25 statt nur sechs Personen die Leitwarte während des Störfalls bevölkert hätten. "Die hatten da wohl eine Feier", vermutet Hentschel. "Das Sozialministerium sollte prüfen, ob Alkohol im Spiel war." Ein Vattenfall-Sprecher hatte gestern auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE bestätigt, dass sich zum Zeitpunkt des Brandes 25 Menschen im sogenannten Schaltanlagen-Gebäude aufgehalten hätten. Alle dort befindlichen Personen seien aber mit gutem Grund in dem Gebäude gewesen, betonte der Sprecher: nämlich entweder als Mitglieder der Stammbesatzung von 10 Personen, oder weil sie zur Unterstützung oder zum Abholen von Störfall-Instruktionen herbeigerufen worden seien.

Hentschel hält es trotz der Vorwürfe für "höchst unwahrscheinlich", dass Vattenfall die Betriebserlaubnis verliert. Die entsprechende Drohung ist eher ein juristisches Instrument als eine reale Möglichkeit - denn das Atomgesetz ist so formuliert, dass es eigentlich nie zum Lizenzentzug kommt.

Das dazugehörige Kleingedruckte steht in Paragraf 17. Hier ist geregelt, dass die Aufsichtsbehörde einen Verstoß des Betreibers gegen die Lizenzbedingungen feststellen und entsprechende Nachbesserungen verlangen kann. Der Betreiber kann die Lizenz verlieren, wenn er nicht "in angemessener Zeit" die neuen Auflagen erfüllt - oder wenn die Behörde feststellt, dass der Betreiber überhaupt nicht mehr dazu in der Lage ist.

"Dieser Paragraf ist genial", sagt Hentschel. "Er gibt der Atomaufsicht eine scharfe Waffe in die Hand." Es sei schon vorgekommen, dass die Behörden Fristen von einem Tag für Nachbesserungen gesetzt hätten. "Nach der Wasserstoff-Explosion in Brunsbüttel im Jahr 2001 hat das etwa dazu geführt, dass das gesamte leitende Personal des Kraftwerks ausgewechselt wurde", sagt Hentschel. "Im Extremfall könnten die Nachforderungen der Behörden jetzt sogar zum Austausch der Vattenfall-Konzernspitze führen."

So weit dürfte es allerdings nicht kommen, da das Unternehmen sich den Forderungen der Behörde kaum offen entgegenstellen wird. "Dann könnte die Lizenz tatsächlich entzogen werden, und sie käme nicht mehr zurück", erklärt Hentschel. Vattenfall müsste dann das AKW komplett neu anmelden. "Die Voraussetzung dafür ist, dass das Kraftwerk dem neuesten technischen Stand entspricht", so Hentschel. "Im Fall von Krümmel oder Brunsbüttel wären die Umbauten teurer als ein Neubau."

Bis zu diesem Stadium hat das Kieler Sozialministerium allerdings noch gar nicht vorausgeplant - obwohl Ministerin Trauernicht wiederholt den Lizenzentzug ins Spiel gebracht hat. Sprecher Kohl: "Wenn der Betreiber keine neue Lizenz anstrebt, wäre fraglich, was passiert."

Trauernicht verwies im Landtag darauf, "dass Vattenfall durch seine Informationspolitik das Vertrauen der Menschen in seine Zuverlässigkeit öffentlich und politisch verspielt hat". Dies allein genüge aber laut Atomgesetz noch nicht für einen Lizenzentzug. Sie forderte den Konzern auf, eine bislang unveröffentlichte Liste mit Sicherheitsmängeln des AKW Brunsbüttel freizugeben: "Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit." Sie wird in der nächsten Sitzung des Kieler Sozialausschusses am Donnerstag einen ausführlichen Bericht zu den AKW vorlegen.

Mit Material von AFP

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