Mehr Macht für Brüssel Widerstand gegen Merkels Europa-Pläne

Angela Merkel: Die Kanzlerin will mehr Macht für die EU
Foto: Olivier Hoslet/ dpaBerlin/Brüssel - Ihr Name ist bislang nicht mit den großen politischen Linien oder mit Visionen verbunden, es warteten andere Aufgaben: Angela Merkel hat als Kanzlerin zunächst den Weg aus der Finanzkrise gemanagt, später ging es für sie um die Euro-Rettung. Auch was sich jetzt vor den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD abzeichnet, deutet nicht auf den großen Wurf für Deutschland hin.
Wie es aussieht, könnte der Beginn ihrer dritten Amtszeit für eine neue Facette der studierten Physikerin sorgen. Merkel hat sich einiges vorgenommen, offenbar weniger in der Innenpolitik, dafür umso mehr in der Europapolitik. Nach SPIEGEL-Informationen will die Kanzlerin Europa deutlich mehr Macht verleihen, auch die EU-Kommission soll davon profitieren. Ihre Pläne würden die EU in ihren Grundzügen verändern.
Scharfe Kontroll- und Einspruchsrechte
Im Kern geht es Merkel darum, der Gemeinschaft weitreichende Kontrolle über die Haushalte der 28 Mitgliedstaaten zu verschaffen. Brüssel soll künftig ein gehöriges Wort mitreden können, wenn die einzelnen Länder Schulden machen wollen. Damit der Euro dauerhaft stabil wird, will Merkel die EU mit schärferen Kontroll- und Einspruchsrechten ausstatten. Auch vertraglich bindende Auflagen sollen dazugehören.
Merkels Weg zum Ziel sind weitreichende Änderungen an bestehenden EU-Verträgen. Nach SPIEGEL-Informationen soll das bislang eher unverbindlich formulierte "Protokoll 14" des EU-Vertrags mit klaren Befugnissen für die EU-Kommission angereichert werden. Die Kommission könnte dann mit jedem Euro-Staat vertragsähnliche Vereinbarungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Haushaltsdisziplin abschließen.
Die CDU-Chefin hat offenbar schon an ein Lockmittel gedacht, um die EU-Partner für ihr Projekt zu gewinnen: Folgsame Mitgliedstaaten sollen aus einem immer mal wieder diskutierten Extrabudget für die Euro-Zone belohnt werden.
Merkel hat bereits testen lassen, wie ihre Pläne bei den Partnern ankommen. Die Resonanz war mehr als verhalten. Kein Wunder, schließlich lässt sich mit der Losung 'Mehr Macht für Brüssel' in kaum einem EU-Land punkten. Die Euro-Gegner bekommen wachsenden Zulauf. So wurde erst vor wenigen Wochen bei der österreichischen Nationalratswahl die FPÖ deutlich gestärkt. Die Rechtspopulisten halten den Euro für "gescheitert" und haben Wiens Austritt aus der EU zur "Ultima Ratio" erklärt.
"Mit uns nicht zu machen", signalisiert die SPD
Merkels Pläne wurden auch in der SPD, dem wohl künftigen Koalitionspartner, zurückhaltend aufgenommen. "Die SPD trägt keine Regelungen mit, wenn Merkel parallel mit Großbritanniens Premier David Cameron darüber verhandelt, EU-Kompetenzen wieder auf die Mitgliedstaaten zu übertragen", sagte SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer SPIEGEL ONLINE. Zuletzt hatte es Berichte über einen angeblichen Schulterschluss Merkels und Camerons gegeben, Merkel hatte diese Berichte allerdings zurückweisen lassen. Schäfer betonte außerdem, dass die SPD keine Vertragsänderungen akzeptiere, die zu Referenden in einzelnen EU-Staaten führen würden. "Das ist mit uns nicht zu machen", sagte Schäfer.
Auch Martin Schulz, sozialdemokratischer Präsident des Europaparlaments, hat die Kanzlerin intern bereits gewarnt: Eine Vertragsänderung sei mit ihm kaum zu machen. Das Europaparlament habe eine klare, fraktionsübergreifende Position. Die nationalen Regierungen sollten die Euro-Zone mit den Instrumenten wetterfest machen, die man sich im Laufe der vergangenen drei Jahre Zug um Zug geschaffen habe, und zwar ohne Vertragsänderung.
Schulz fürchtet, dass eine Vertragsveränderung wegen des aufwendigen Ratifizierungsverfahrens in allen Mitgliedsländern zu viel Zeit kostet und die Gefahr birgt, dass in dem einen oder anderen Land sogar eine Volksabstimmung fällig wird - die bei der derzeitigen Stimmung nicht zu gewinnen ist. "Wir werden alle Vorschläge der Kanzlerin auf ihre Durchsetzbarkeit in allen EU-Staaten hin abklopfen", sagt Schulz.
Pikant: Auf den ebenso scharfzüngigen wie machtbewussten Sozialdemokraten trifft die Kanzlerin nicht nur, wenn sie ihre Pläne in Brüssel durchsetzen will - sondern auch während der Koalitionsverhandlungen in Berlin. Bei der SPD ist Schulz federführend in allen Europa-Fragen, und Parteichef Sigmar Gabriel vertraut ihm.