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Machtwechsel im Ländle Die grüne Revolution

Zeitenwende für Baden-Württemberg: Ausgerechnet das konservative Stammland wird jetzt von einem Grünen regiert. Winfried Kretschmann tritt aller Voraussicht nach als Chef einer grün-roten Koalition die Nachfolge von Stefan Mappus an.

Der Mann ist keiner, der sich am Erfolg betrinkt. Selbst nicht im Moment seines größten politischen Triumphs. Während um ihn herum die Menschen vor Freude tanzen, sich in den Armen liegen und ihr Glück laut heraus schreien, sagt Winfried Kretschmann, 62, mit seiner immer leicht knarzigen Stimme: "Wir feiern und freuen uns heute - und morgen gehen wir wieder an die Arbeit."

Nüchterner geht es wohl nicht.

Aber genau deshalb wird er in diesem Moment auf der Wahlparty der baden-württembergischen Grünen, gegenüber vom Landtag, wohl als künftiger Ministerpräsident gefeiert. Kretschmanns manchmal schon ans Phlegmatische grenzende Nüchternheit ist das Gegenmodell zum Stil von Stefan Mappus, der das Land mit überbordendem politischen Temperament regierte. Die Menschen im Südwesten, das zeigt der Wahlabend, hatten davon offensichtlich genug.

Verlässlichkeit und Pragmatismus - damit warb der vorsichtige Kretschmann im Wahlkampf. Mit diesen Parolen gewann früher die CDU Wahlen in Baden-Württemberg. Dem christdemokratischen Ministerpräsidenten Mappus hat man das offenbar nicht mehr abgenommen.

Die Kretschmann-Truppe hat ihr Resultat verdoppelt

"Dass wir es ausgerechnet in diesem Land schaffen", sagt eine grüne Landtagsabgeordnete auf der Wahlparty ihrer Partei. Ausgerechnet im Stammland der CDU. Andere Kollegen lesen bereits Glückwunschnachrichten auf ihren Handys, in denen man ihnen zum Ministeramt gratuliert. Und in Berlin bejubelt Grünen-Chefin Claudia Roth "eine politische Zeitenwende".

Eine grün-rote Landesregierung wird künftig dort das Sagen haben, wo knapp 58 Jahre die CDU den Ministerpräsidenten stellte. Mappus ist der vorerst letzte in einer langen Riege von christdemokratischen Regierungschefs im Ländle. Er wollte seine Koalition mit der FDP fortsetzen, aber laut vorläufigem amtlichen Endergebnis kommt die CDU nur auf 39 Prozent - ein Verlust von 5,2 Prozentpunkten. Gleichzeitig ist ihr Koalitionspartner abgestürzt: Die FDP halbierte ihr Ergebnis und schafft den Einzug in den Landtag nur knapp mit 5,3 Prozent.

Dagegen hat die Kretschmann-Truppe ihr Ergebnis mehr als verdoppelt. 24,2 Prozent heißt es im vorläufigen Endergebnis, ein weiterer Schritt für die Grünen auf dem Weg zur kleinen Volkspartei, für die ehemalige große Volkspartei SPD geht es in Baden-Württemberg dagegen wieder ein Stückchen nach unten, sie liegt nun bei 23,1 Prozent.

Aber die leichten Verluste werden von den Sozialdemokraten weggejubelt - für sie zählt an diesem Abend nur eines: "Schade Mappus, alles ist vorbei", singen die Jusos auf der SPD-Wahlparty in einem Hotel gegenüber vom Hauptbahnhof, und "Nie mehr Stefan Mappus". Dass der Ministerpräsident und seine CDU gestürzt wurden, sorgt bei den Sozialdemokraten für Hochstimmung. "20.997" - jede einzelne Zahl betont SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid, als er um 18.20 Uhr vor seine Anhänger tritt.

20.997 Tage hat die CDU in Baden-Württemberg regiert - damit ist nun Schluss.

Jubel und ein bisschen Enttäuschung

Schmid ist ähnlich wie Kretschmann ein ruhiger Zeitgenosse, kein Aus-sich-raus-Geher, aber es ist auch wohl ein bisschen Enttäuschung, die sein Lächeln trübt. Schmid wollte selbst Ministerpräsident werden, nun wird es wegen der starken Grünen nur zum Vizeregierungschef. Andererseits reicht es überhaupt nur deshalb zum Machtwechsel, das ist auch dem ehrgeizigen Schmidt klar. Und Vize mit 37 ist ja auch nicht so übel. "Wir haben es geschafft", ruft er seinen Anhängern zu.

Das wird in diesen Momenten auch Stefan Mappus klar. Es ist die brutale Wirklichkeit zweier Zahlen, die ihm ins Gesicht geschrieben steht: 58 Jahre gegen 14 Monate. Die Regierungszeit der CDU gegen die Episode Mappus. Nach fast sechs Jahrzehnten haben sich zwei voneinander getrennt: das Land von der Partei. Dafür wird fortan der Name Mappus stehen. Den Blick ins Leere, den Mund geformt, als würde er lächeln, schieben die Leibwächter den Mann in den Landtag, der mal Rambo, mal Boxer genannt wurde.

Jetzt aber ist es aus. "Oben bleiben, oben bleiben", skandieren lachend die Grünen-Anhänger im Foyer des Hohen Hauses den Schlachtruf der S-21-Gegner, als der Ministerpräsident an ihnen vorbeigeschoben wird. Es ist die Anti-Mappus-Hymne. Dann erst finden sich auch ein paar CDU-Anhänger zum Applaus für den Gefallenen. Sie haben ihm gleich hier, neben der Eingangstür, ein kleines Podium samt Mikrofon aufgebaut.

Mappus will ordentlich raus aus der Nummer

Mappus muss gar nicht erst hoch, in den ersten Stock, zu den TV-Studios. Er kann gleich hier unten über sich richten. Der Mann hat sich alles genau aufgeschrieben. "Ich werde meinen Teil in den nächsten Tagen beitragen, dass wir inhaltlich und personell neu starten können." Heißt: Mappus gibt auf, wird den CDU-Vorsitz niederlegen und nicht den Oppositionsführer geben. Nur sagen will er das in dieser Klarheit an diesem Wahlabend öffentlich noch nicht.

Er will halbwegs ordentlich aus der Nummer raus. Und seine Partei hat ihm dafür eine Nacht Zeit gegeben - bis zu den Gremiensitzungen am Montag. Eine Nacht für Mappus, um an der Dolchstoßlegende zu basteln: "Heute vor zwei Wochen lag die CDU in Umfragen bei 42 und die FDP bei sieben Prozent. Und dann kam das schreckliche Ereignis in Japan."

Doch wahr ist auch: Die Reaktorkatastrophe von Fukushima konnte nur deshalb entscheidend für den Wahlausgang im Ländle werden, weil sich Mappus selbst in den Monaten zuvor als größter Atom-Fan der Republik zu inszenieren suchte. Nun, am Wahltag hat ihn sein geschärftes Profil eingeholt.

Katholik und Schützenkönig - so einer kommt an

Der Andere für die Geschichtsbücher - das ist an diesem Abend Winfried Kretschmann: der erste grüne Ministerpräsident dieser Republik. Das ist schon deshalb kurios, weil Kretschmann und seine Partei immer mal wieder auf Kriegsfuß standen: Zweimal nahm sich der Mann von der schwäbischen Alb sogar eine komplette Politik-Auszeit, als es zwischen dem Oberpragmatiker und den Oberidealisten bei den Grünen wieder mal so richtig geknallt hatte. "Der Winfried hat auf Parteitagen sehr viel auf die Fresse bekommen", so erinnert sich Fritz Kuhn, ebenfalls ein sturmerprobter Realo aus dem Südwesten.

Kretschmann ist Katholik und Schützenkönig. Das kommt offenbar in Baden-Württemberg besser an als in seiner Partei. Und er bleibt im Moment seines Triumphs gelassen. "Wir werden den Weg in eine Bürgergesellschaft gehen", sagt er noch am Wahlabend. "Und wir freuen uns auf alle, die uns dabei kritisch begleiten."

Er ist Realist genug zu wissen, wie anstrengend das wird. Besonders bei S 21: Die Grünen sind gegen den unterirdischen Bahnhof, die SPD dafür. Immerhin ist man sich einig, darüber das Volk abstimmen zu lassen. Dennoch dürfte S 21 zur ersten großen Bewährungsprobe für den neuen Politikstil in Baden-Württemberg - und die Belastbarkeit der künftigen Koalition werden.

Aber der Politiker Kretschmann hat Politik schon immer für eine Sache gehalten, die große Anstrengungen verlangt. Von den Gewählten - aber auch den Wählern.

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