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Merkel und Co.: Frauen in der Politik

Foto: Achim Scheidemann/ dpa

Machtwechsel in NRW Angriff der Power-Frauen

Die deutsche Politik wird weiblicher: Angela Merkel sitzt im Kanzleramt, in Nordrhein-Westfalen haben Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann die Macht übernommen. Was zeichnet Deutschlands Top-Politikerinnen aus? SPIEGEL ONLINE analysiert die Stärken von Merkel, Kraft und Co.

Nordrhein-Westfalen

rot-grünen Regierung geführt, die keine Mehrheit hat

Berlin/Düsseldorf - Dieser Mittwoch hat in Erstaunliches hervorgebracht. Das größte Bundesland wird künftig von einer . Die beiden Partner werden das Experiment als kleine Renaissance jenes Bündnisses verkaufen, das auf Bundesebene mal ein teilweise erfolgreiches Großprojekt war.

Hannelore Kraft

Sylvia Löhrmann

Und dann ist da noch etwas - es sind zwei Frauen, die an Rhein und Ruhr künftig das Sagen haben. als SPD-Ministerpräsidentin und die Grüne als ihre Stellvertreterin.

Ausgerechnet von NRW soll ein Zeichen weiblicher Stärke ausgehen. Nordrhein-Westfalen - das war lange Zeit Kohle und Stahl, Malocher und Moloch. Ein Land, in dem sich eher Machtmänner tummelten, vom Schlage eines Wolfgang Clement, Peer Steinbrück oder Jürgen Rüttgers.

Das soll anders werden. Wenn möglich dauerhaft. "Zukunft geht nur mit Frauen und Mädchen", heißt es im rot-grünen Koalitionsvertrag. Das Teilressort "Frauen" wird künftig "Emanzipation" heißen. "Wir sind davon überzeugt, dass Geschlechtergerechtigkeit Chancen in allen gesellschaftlichen Bereichen schafft", ist im Vertrag zu lesen.

Frauen an der Macht. Was für NRW neu klingen mag, ist in anderen Teilen der Republik längst Normalität. Wie sehr sich die Geschlechterverhältnisse in der Politik verschoben haben, dafür sind Kraft und Löhrmann nur das aktuellste Beispiel.

Kraft und Löhrmann in Merkels Fußstapfen

Grünen

SPD

Angela Merkel ist seit inzwischen fünf Jahren Kanzlerin, ihrer Arbeitsministerin Ursula von der Leyen wird so gut wie jedes Amt zugetraut. Die und die Linkspartei werden von zwei Frauen mitgeführt - Claudia Roth und Gesine Lötzsch -, die hat mit Andrea Nahles erstmals eine Generalsekretärin, die FDP mit Birgit Homburger eine Bundestags-Fraktionschefin. "Frauen sind in allen politischen Bereichen und Themen zu einer Selbstverständlichkeit geworden", sagt die ehemalige Familienministerin Renate Schmidt (SPD).

Sicher, eine Frauen-Republik ist das Land noch nicht. Nach wie vor sind Spitzenpolitikerinnen unterrepräsentiert, scheitern Frauen wie die Hessin Andrea Ypsilanti an sich selbst, haben viele mit Vorurteilen zu kämpfen. Machen sie Dampf, gelten Politikerinnen nicht selten als hysterisch, handeln sie besonnen, wird ihre Durchsetzungsfähigkeit bezweifelt - in der Psychologie nennt man das einen "double bind". Im Boulevard wird dem Äußeren von Politikerinnen mitunter mehr Beachtung geschenkt als ihrem Abstimmungsverhalten, in Talkshows kann von Parität keine Rede sein: Eingeladen wird, wer lauter brüllt. Das sind meist die Männer.

Angela Merkel

Trotz diverser Frauenquoten sind die Schaltstellen der Macht für viele Frauen noch immer weit weg. Hannelore Kraft wäre neben der Thüringerin Christine Lieberknecht (CDU) die einzige Ministerpräsidentin der Republik. Vor ihnen schaffte nur Schleswig-Holsteins Heide Simonis (SPD) den Sprung in die Staatskanzlei. "Politikerinnen werden immer dann gerufen, wenn etwas schiefgegangen ist", sagt Simonis heute. Die Frau als Rettungsanker. Bei war das so, als die CDU im Spendensumpf steckte. Und auch Kraft kam erst ans Ruder, als die NRW-Genossen 2005 nach 39 Jahren die Macht abgeben mussten.

Dennoch: Es ist ein Trend erkennbar. Ein deutlich positiver. Dass CSU-Mann Michael Glos heute wie 1984 einer Bundestagskollegin zuruft "Sie sehen besser aus, als sie reden", ist jedenfalls schwer vorstellbar.

Politikerinnen drängen in Ämter und Würden - auf Landes- wie auf Bundesebene. Was können Frauen in der Politik besonders gut? SPIEGEL ONLINE versucht sich an einer Erklärung für ihren wachsenden Erfolg.

Interessant für neue Wählerschichten

2005 tritt Angela Merkel als erste Kanzlerkandidatin bei einer Bundestagswahl an. Es ist eine Zeitenwende. Eine Frau im Kanzleramt - kann das gut gehen? Einer bemüht sich gar nicht erst, im Wahlkampf Ressentiments auszublenden: Franz Müntefering. Öffentlich zweifelt der damalige SPD-Chef an Merkels Eignung als Kanzlerin. "Die Frau kann es nicht", sagt er. "Das war nah an einer Sauerei", sagt Heide Simonis heute an den Spruch ihres Parteifreunds.

Sauerei hin oder her - Münteferings Satz verpufft. Merkel wird zur Kanzlerin gewählt und vier Jahre später im Amt bestätigt. Nicht nur ihr Beispiel zeigt: Die Zeiten, in denen Kompetenz am Geschlecht bemessen wurde, sind zum Glück vorbei. Durch weibliches Spitzenpersonal wollen sich Parteien einen modernen, liberalen Anstrich verpassen, andere Wählerschichten erschließen, neue Themen setzen.

Beispiel Ursula von der Leyen: Als die Niedersächsin 2005 Familienministerin wurde, schien sie zunächst wie ein Fleisch gewordenes Klischee. Um welche anderen Fragen sollte sich eine siebenfache Mutter von der CDU schon kümmern? Doch tatsächlich beweist die Personalie von der Leyen, wie geschickt es strategisch ist, wenn Politikerinnen vermeintliche Frauenthemen vorantreiben. Sie wirken glaubwürdig, authentisch.

Das war nicht immer so. "Wenn ich in meinen Anfangsjahren versucht hätte, Kinderbetreuung zum Thema zu machen, hätten mich meine Parteifreunde für verrückt erklärt", sagt die SPD-Politikerin Renate Schmidt. "In den achtziger Jahren mussten wir bis in die Sprache hinein männliche Muster übernehmen. Das ist heute nicht mehr so."

Wenig Lust auf Hahnenkämpfe

Es wäre vermessen zu glauben, dass Politikerinnen von Natur aus friedfertiger wären als ihre männlichen Kollegen. Für weibliche Rauflust in der Politik gibt es genügend Beispiele. Doch ist eben auch interessant, wie geräuschlos mögliche Konflikte mitunter ausgeräumt werden.

Christine Lieberknecht und Birgit Diezel hätten im Herbst 2009 um die Macht kämpfen können. Dieter Althaus hatte nach der vergeigten Landtagswahl als Ministerpräsident und Chef der Thüringer CDU abgedankt - Lieberknecht und Diezel galten als Nachfolgekandidatinnen. Doch die Christdemokratinnen machten es ganz anders als von ihren männlichen Kollegen gewohnt: Sie verabredeten sich heimlich in einem Erfurter China-Restaurant und besprachen die nächsten Schritte. Diezel organisierte als kommissarische Ministerpräsidentin den Übergang - danach überließ sie Lieberknecht das Feld als Regierungs- und Parteichefin.

Ralf Stegner wundert das nicht. Der schleswig-holsteinische SPD-Chef, zunächst Staatssekretär unter zwei Ministerinnen und später Mitglied des Kabinetts von Heide Simonis, sagt über Frauen in der Politik: "Bei Politikerinnen ist der Teamgedanke wichtiger." Alphatier-Gehabe sei ihnen total fremd.

Deshalb kommen sie möglicherweise auch schneller zum Punkt. Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, von 2002 bis 2005 Chefin der Grünen-Fraktion, sagt: "Sitzungen unter Frauen sind viel kürzer, weil sie weniger selbstdarstellerisch sind." Ihre Parteifreundin Renate Künast - Ex-Verbraucherministerin und heute Chefin der Bundestags-Grünen - drückt das so aus: "Frauen vertun weniger Zeit mit Hahnenkämpfen und sind weniger laut, dafür oft beharrlicher."

Und disziplinierter. Das zeigten Kraft und Löhrmann im langen NRW-Koalitionspoker.

Die neue Sachlichkeit?

Angela Merkel hatte es nicht leicht in den vergangenen Monaten. Die angebliche Wunschkoalition mit der FDP brachte die Kanzlerin in größte Nöte - auch weil sich Spitzenvertreter von Union und Liberalen regelmäßig und in aller Offenheit fetzen. Das beißt sich mit dem Bild Merkels als oberster Sachlichkeits-Vertreterin der Republik. Die Politikerin Angela Merkel scheint beispielhaft für das zu stehen, was Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit der "Bunten" einmal so ausdrückte: Frauen agierten "stärker sachbezogen und nüchterner. Leider wirkt das für die Öffentlichkeit zuweilen langweiliger."

Zum selben Sachlichkeits-Typ werden in der CDU beispielsweise Thüringens Ministerpräsidentin Lieberknecht oder Bundesbildungsministerin Annette Schavan gezählt. Niemand von ihnen haut laut auf den Tisch. Weil sie glauben, dass es am Ende womöglich nichts nützt. "Politikerinnen denken vernetzt", sagt die Ex-Bundesfamilienministerin Renate Schmidt. "Sie drehen an einem Schräubchen und wissen, dass sich dadurch an einem ganz anderen etwas tun kann." Dagegen würden Männer "eher in Kästchen denken", glaubt die SPD-Politikerin.

Schöne Schein-Bescheidenheit

Der Dienstwagen sei das letzte, was sie als Mitglied der Landesregierung interessiere - so haben es Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann im Wahlkampf gebetsmühlenartig wiederholt. Es ist ein nicht untypisches Kokettieren mit weiblicher Bodenständigkeit. Nach dem Motto: Die Insignien der Macht sind für Frauen in der Politik zweitrangig. Das kommt beim Wahlvolk gut an.

"Frauen stehen nicht auf Brimborium", sagt die Grünen-Politikerin Göring-Eckardt. Das klingt ein bisschen zu schön, um wahr zu sein. Aber ganz aus der Luft gegriffen ist es vielleicht nicht. Oder wäre es vorstellbar, dass Angela Merkel sich ein derart monströses Kanzleramt bauen ließe, wie es ihr Vor-Vorgänger Helmut Kohl tat? Nun sitzt sie in dem Betonkasten an der Spree, wo nicht einmal die Klimaanlage ordentlich funktioniert. Auf dieses Detail hätte Merkel als Bauherrin bestimmt geachtet.

In Schleswig-Holstein erinnert man sich noch daran, wie Ministerpräsidentin Heide Simonis, wenn sie im Landtag zu Gast war, zum Mittagessen brav in der Schlange der Kantine wartete. Und die Theologin Christine Lieberknecht bleibt auch als Regierungschefin so unprätentiös, dass sie jederzeit auf die Kanzel ihrer Heimatkirche in Ramsla treten könnte - so wie vor ihrer politischen Karriere.

Leise, kühl, brutal

"Frauen sind keine Engel. Aber sie fühlen sich wohler, wenn sie anderen das Gefühl geben, an der Macht beteiligt zu sein." Diese Einschätzung von Heide Simonis könnte man folgendermaßen übersetzen: Frauen sind geschickter auf dem Weg nach oben.

Für diesen Befund lohnt der Blick auf Löhrmann und Kraft: Natürlich sind beide äußerst ehrgeizig. Anders wären sie niemals so weit gekommen - und stünden jetzt nicht kurz vor der Machtübernahme in Nordrhein-Westfalen. Aber die Sozialdemokratin und die Grünen-Frau haben es geschafft, sich ein Image als nüchterne Pragmatikerinnen aufzubauen. Das kommt ihnen nun zugute, da immer noch viel Skepsis gegenüber dem wackligen Minderheits-Modell in NRW besteht.

Leise Macht ist das.

Genauso agierte Ulla Schmidt als Bundesgesundheitsministerin. Die freundliche Frau Schmidt aus Aachen hielt sich acht Jahre lang an der Spitze des Hauses, das wie kein anderes von knallhart agierenden politischen Interessengruppen belagert wird. Der "Bunte" sagte die Sozialdemokratin im vergangenen Herbst: "Ohne Macht kann man nichts verändern, weil man ohne sie nichts durchsetzen kann."

"Frauen in der Politik müssen auch lernen, mit den Männerwerkzeugen umzugehen, da dürfen wir uns nicht die Butter vom Brot nehmen lassen", sagt Grünen-Frau Künast. Das hat wohl niemand besser umgesetzt als Kanzlerin Merkel. Von Ex-Wirtschaftsminister Glos gibt es einen schönen Satz über seine frühere Chefin: Merkel wisse sehr genau, dass man Auerhähne auf dem Balzplatz schießt, sagte der CSU-Politiker. Nur - die Kanzlerin tut das so geschickt, dass es nicht augenfällig wird.

Die lange Reihe der entmachteten Unions-Ministerpräsidenten kann ein Lied davon singen.

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