
Männliche Erzieher dringend gesucht Allein unter Frauen
Hamburg - Der Lärmpegel ist beeindruckend. Die 22 Kinder der Perlentaucher-Gruppe in der Kita Feuerwache in Hamburg haben gefrühstückt, und die frisch aufgenommene Energie will umgehend in Dezibel umgewandelt werden. Lotte, Angelina und Jana streiten, wer die Prinzessinnenkrone tragen darf. Kurt räumt mit Krawumm die Autos aus dem Regal. Und alle anderen Kinder rennen, toben, wuseln auch irgendwie - bis auf Anton. Der sitzt mit schreckgeweiteten Augen auf Mamas Arm und will nach einer Woche Urlaub lieber wieder mit nach Hause.
Erzieher Attila Möhl nimmt den Kleinen auf seine Arme, warmherzig, aber bestimmt.
"Ich bin genau da, wo ich sein will", sagt der 36-Jährige. Er trägt Jeans und ein etwas ausgewaschenes "Captain America"-Shirt. "Ich mag den Trubel, ich mag das Chaos." Und er kennt seinen Wert: "Als Mann ist man verkaufsfördernd für eine Kita", sagt er selbstbewusst.
Möhl gehört zu den wenigen Männern, die in Deutschland als Erzieher in einer Krippe oder einer Kita arbeiten - unter 450.000 Kolleginnen. Politiker, Wohlfahrtsverbände, Fachleute sind sich einig: Es müssen mehr Männer in die Kitas. Weil es gut ist, wenn Kinder männliche und weibliche Bezugspersonen haben, so der allgemeine Konsens - obwohl es dafür kaum wissenschaftliche Belege gibt. Und weil bis 2013, wenn alle Einjährigen einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz haben, massenhaft Fachkräfte fehlen - nach einer Studie vom Deutschen Jugendinstitut mindestens 23.000.
Das Bundesfamilienministerium startete 2011 das Modellprojekt "Mehr Männer in Kitas". Der Europäische Sozialfonds und das Ministerium investieren 13,5 Millionen Euro in das Programm. Beteiligt sind 1300 Einrichtungen in der ganzen Republik. Das Ziel ist herauszufinden, wie man mehr Männer davon überzeugt, den Beruf zu ergreifen - durchaus auch als Quereinsteiger.
Image als Basteltante
Die bisherigen Zahlen sind wenig ermutigend. Die Koordinationsstelle des Projekts "Mehr Männer in Kitas" hat ausgerechnet, dass im Jahr 2010 nur knapp 2,7 Prozent der Mitarbeiter in Kitas Männer waren - wenn man Verwaltungsleute und Freiwilligendienstler weglässt. Im Krippenbereich, also bei den Ein- bis Dreijährigen, sind es sogar nur ein Prozent. Dabei gibt es starke regionale Schwankungen: In Großstädten wie Hamburg, Bremen oder Kiel liegt der Männeranteil in Kitas bei um die zehn Prozent - im ländlichen Bereich in Süddeutschland tendiert er mancherorts gegen null.
Die Gründe liegen auf der Hand: Das Image als klarer Frauenberuf und die für eine bis zu fünf Jahre dauernde Ausbildung nicht eben üppige Bezahlung. "Es gibt immer noch das Bild von der Basteltante", hat Psychologe Tim Rohrmann von der Koordinationsstelle "Mehr Männer in Kitas" festgestellt.
Attila Möhl ist auf solche Vorurteile gestoßen. "Als Erzieher wäre ich ja nicht wirklich was, habe ich durchaus gehört." Die Kampagne "Mehr Männer in Kitas" findet er wichtig. Er hofft darauf, dass sich das Bild des Erzieherberufs in den kommenden Jahren ändert. Weg vom Weichei- und Softie-Etikett.
Auch Norbert Hocke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft lobt die Initiative. "Wir brauchen etwas, um Frauenberufe für Männer interessanter zu machen." Mehr als einen kleinen Baustein zur Veränderung sieht er dennoch nicht darin. "Die Bereiche Betreuung und Erziehung werden in unserer Gesellschaft nicht besonders hoch geschätzt", moniert er. Und das hält er auch für den Grund für das geringe Gehalt: Erzieher verdienen als Berufseinsteiger um die 2000 Euro brutto und erreichen in der Endstufe rund 2900 Euro für eine volle Stelle - die jedoch gibt es in Kitas kaum.
Attila Möhl hat eine 30-Stunden-Stelle. Um noch etwas dazu zu verdienen, jobbt er am Wochenende regelmäßig in der Jugendbetreuung. "Den klassischen Ernährer kann man mit diesem Beruf nicht geben." Er selbst bezeichnet sich in dem Punkt als emanzipiert: "Ich hab den Luxus, dass meine Freundin Lehrerin ist."
Generalverdacht Kindesmissbrauch
Rohrmann glaubt allerdings, dass das Argument Bezahlung überschätzt wird. "Junge Leute gucken bei der Berufswahl meist nicht in die Gehaltstabelle. Die Bezahlung ist selten ein Argument für die Berufsentscheidung." Wer vordringlich über Geld spreche, mache es sich zu leicht mit der Suche nach den Ursachen für den geringen Männeranteil. Problematisch seien auch die geringen Aufstiegschancen.
Und dann ist da noch das Thema Missbrauch. "Ein Mann, der diesen Beruf ergreift, ist durchaus dem Generalverdacht ausgesetzt, ein potentieller Kindesmissbraucher zu sein", weiß Rohrmann. Erzieher Möhl geht damit souverän um. "Jeder Mensch hat Vorurteile. Das ist eben auch eins."
Der Leiterin der Kita Feuerwache, Birgit Wietholz, ist es wichtig, dass auch Männer dort arbeiten. Von 13 Angestellten sind drei Männer. "Männer bringen auf jeden Fall neue Aspekte in eine Kita: Superhelden und Comics etwa. Das ist für die Jungs wichtig, und die Eltern schätzen das auch." Allerdings erwartet sie sowohl von den Erziehern als auch von den Erzieherinnen, dass sie die Geschlechterklischees sprengen. "Attila tobt mit den Jungs, aber er kann auch trösten. Er kocht Nudeln mit den Kindern und nimmt auch mal den Besen in die Hand."
Doch die Chance, dass Möhl mit seinem Beruf bald kein Exot mehr ist, bleibt gering. "Das ist ein langer Prozess," sagt Rohrmann. Die absolute Zahl männlicher Fachkräfte in Kitas ist im letzten Jahrzehnt zwar deutlich gestiegen, aber ihr prozentualer Anteil ist dennoch nach wie vor gering. "Es geht hier um Stellen hinter dem Komma". Erzieherin sei eben ein traditioneller Frauenberuf, und "das System erhält sich selber": Weil Jungen im Kindergarten persönlich fast nie Erfahrungen mit Erziehern gesammelt haben, kommen sie selber auch selten auf den Gedanken, den Beruf zu ergreifen.
Möhl macht kräftig Werbung für den Job. "Man muss den Leuten sagen, dass das ein erfüllender Beruf ist - für Männer und Frauen." Aber er hat schon wieder alle Hände voll zu tun. Louis hat heute Geburtstag. Er wird sechs. Und das will ordentlich gefeiert werden.