Mai-Randale in Berlin Krawalle erschüttern Kreuzberg

Sie schleuderten Steine, Flaschen, Brandbomben: Autonome haben sich am 1. Mai in Berlin heftige Straßenschlachten mit Sicherheitskräften geliefert - aggressiver als in den vergangenen Jahren. Die Polizeigewerkschaft spricht gar von einem "Mordanschlag" auf Beamte.

Berlin - Es dauert keine zwei Minuten bis zum ersten Gewaltausbruch. Der Protestzug ist gerade am Kottbusser Tor in Kreuzberg gestartet und nur ein paar Meter unterwegs, da geht ein wahrer Stein- und Flaschenhagel auf einige am Straßenrand stehende Polizisten nieder.

Der schwarze Block hinter dem Transparent "Kapitalismus ist Krieg und Krise" hat sich offensichtlich gut munitioniert, bevor es um kurz nach sieben am Freitagabend losgeht. Die Beamten, die zuvor gelassen an ihren beiden Mannschaftswagen gelehnt hatten, scheinen völlig überrascht, suchen erst Schutz und gehen dann zum Gegenangriff mit Pfefferspray über. Gerenne, Geschrei.

Das war der Auftakt der "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" in Berlin. Viele hatten im Vorhinein gewarnt, nach Jahren der verhältnismäßigen Ruhe könnte es 2009 wieder richtig krachen, könnten militante Linksextremisten auf heftigsten Krawall am traditionell randaleträchtigen Tag der Arbeit aus sein. Fast in jeder Nacht brannten irgendwo in der Hauptstadt Autos, Anschläge auf vermeintliche Luxusbauprojekte wurden verübt, Vermummte randalierten spontan in einer von vielen Touristen besuchten Straße in Mitte.

Auch im Hamburger Schanzenviertel hat es in der zweiten Nacht in Folge schwere Krawalle zwischen Linksautonomen und der Polizei gegeben. Etwa 20 Randalierer wurden vorläufig festgenommen. Die Autonomen bewarfen die Beamten über mehrere Stunden hinweg mit Flaschen und Steinen, auch ein Auto habe gebrannt, sagte ein Sprecher des Lagezentrums. Die Polizei ging mit Wasserwerfern gegen die Randalierer vor. Erst gegen 3.00 Uhr beruhigte sich die Lage in dem Szeneviertel.

In Berlin ging von vielen der rund 5000 Teilnehmer der abendlichen Demonstration eine lange nicht gekannte Aggression aus. Nach der ersten massiven Steinattacke direkt zu Beginn blieb es nur für etwa 20 Minuten ruhig, als sich der Zug seinen Weg durch das sogenannte "Myfest" in Kreuzberg bahnte - ein Fest, das einst ins Leben gerufen wurde, um den Mai-Randalieren den Raum zu nehmen.

Doch kaum lagen die Bühnen und Stände, an denen den ganzen Tag Zehntausende friedlich feierten, hinter dem Zug, flogen schon wieder die Geschosse. Immer wenn sich am Rande Sicherheitskräfte zeigten, schleuderten die Gewaltbereiten aus der Menge Flaschen, Steine, Feuerwerkskörper. Warum? "Allein dass die Bullen hier sind, ist schon 'ne Provokation", sagte einer im schwarzen Kapuzenpulli mit Kappe und Sonnenbrille.

Die Polizei verkürzte wegen der Angriffe die Demonstrationsroute. Doch der Weg reichte für eine weitere Eskalation: Vor der Kreuzberger Feuerwehrwache attackierten Autonome erneut Polizisten mit Steinen, und zwar "massiv", wie es ein Polizeisprecher ausdrückte.

Bodo Pfalzgraf, Chef des Berliner Landesverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft, sprach am späten Freitagabend gar von einem "klaren Mordanschlag" auf zwei seiner Kollegen. Diese hätten jeweils allein und ungeschützt in ihren Fahrzeugen gesessen, als der schwarze Block sie unvermittelt angriff, "mit allem was ihm in die Finger kam". Nur mit Mühe hätten sich die Polizisten retten können.

In jenen Minuten war die Situation extrem unübersichtlich, ein Demonstrationszug als solcher nicht mehr zu erkennen - stattdessen eine in alle Richtungen versprengte Menge aus Militanten, dazwischen Polizeitrupps, die der Lage Herr mit Schlagstöcken, Tränengas und Pfefferspray zu werden versuchten. Am Rande der Straße versuchten etliche Schaulustige, die Randale mit dem Foto-Handy festzuhalten.

Auch am Kottbusser Tor, wo sich die Demonstration auflösen sollte, kam es zu Straßenschlachten. Immer wieder attackierten Autonome die Polizeieinheiten, die sich in den umliegenden Straßen sammelten, dabei flogen auch zwei Brandsätze auf Sicherheitskräfte.

Die Beamten reagierten mit Vorstößen in die Menge, um einzelne Gewalttäter herauszugreifen und die Demonstranten in das "Myfest" zurückzudrängen. Auch Jugendliche, die nicht unbedingt der linksradikalen Szene zuzurechnen sind, unter ihnen viele Migranten, mischten sich unter die Krawallmacher. Am späten Abend dauerte das Katz-und-Maus-Spiel von Chaoten und Polizei an, die Lage beruhigte sich jedoch.

Vorläufige Bilanz: Die Sicherheitskräfte nahmen zahlreiche Gewalttäter fest, auf beiden Seiten gab es viele Verletzte. Genaue Zahlen wollte die Polizei am späten Freitagabend noch nicht nennen. Auch der Sachschaden dürfte beträchtlich sein: Die Scheiben an Bushaltestellen gingen zu Bruch, auch die Glasfassade eines Cafés. Eine Tankstelle soll attackiert worden sein, Schilder wurden herausgerissen, überall Steine als Wurfgeschosse aus dem Pflaster gerissen.

Am Samstag wollen Polizeipräsident Dieter Glietsch und Innensenator Ehrhart Körting ihre Sicht der Mai-Krawalle erklären. Beide hatten in den vergangenen Wochen wiederholt gesagt, dass nicht mit außergewöhnlich schweren Ausschreitungen zu rechnen sei.

Noch am Nachmittag konnten sich beide in dieser Einschätzung bestätigt fühlen. In der Walpurgisnacht war es relativ ruhig geblieben, auch die 1.-Mai-Veranstaltung der NPD in Berlin-Köpenick ging ohne größere Zwischenfälle zu Ende.

Die Rechtsextremisten wollten - wie in anderen Städten in Deutschland (siehe Fotostrecke unten) - zum ersten Mal seit Jahren wieder am 1. Mai Präsenz zeigen. Tatsächlich war jedoch so gut wie nichts von ihnen zu sehen. Polizeikräfte hatten das Gebiet um die Parteizentrale in der Seelenbinderstraße weiträumig abgesperrt. Etwa 200 Rechtsextremisten zogen sich zum Familienfest auf den Hof des Hauses zurück, und verließen diesen nur kurzzeitig für eine Kundgebung. Für Kinder war eine Hüpfburg aufgebaut, für die Erwachsenen gab es Bier, Gegrilltes, ausländerfeindliche Reden - und Nazi-Devotionalien. Die Polizei beschlagnahmte eine Kiste mit Bildern, auf denen Hakenkreuze, SS-Runen und andere NS-Symbole zu sehen sind.

Linke Gegendemonstranten hatten versucht, die Anreise der Rechtsextremisten zu verhindern. Hunderte blockierten den S-Bahnhof Köpenick, setzten sich auf Bahnsteig und Gleise. Mit robustem Einsatz räumten Polizisten den Bahnhof. Ein paar Kilometer vor Köpenick brannten an der Bahnstrecke Autoreifen, Büsche und ein paar abbruchreife Kleingebäude. Dichter Rauch stand über den Gleisen, der S-Bahn-Verkehr wurde für rund anderthalb Stunden eingestellt.

Um kurz nach zwölf startete der Protestzug der Gegendemonstranten in Köpenick, rund 2000 Menschen waren dabei, Fahnen von Gewerkschaften, SPD, Grünen und Linken waren zu sehen, viele Jugendliche liefen auch schon hier im Outfit des schwarzen Blocks auf. Die Lage blieb friedlich, nur einmal drohte kurzzeitig die Eskalation - als ein Neonazi auf dem Balkon seiner Wohnung im dritten Stock den vorbeiziehenden linken Demonstrationszug provozierte.

Minutenlang zeigt der junge, kahl rasierte Mann den Hitler-Gruß. Steine und Flaschen fliegen in seine Richtung, durchschlagen Fenster des Hauses. Dann verschwindet der Mann in der Wohnung, Sekunden später taucht stattdessen ein behelmter Polizist auf dem Balkon auf. Da applaudiert sogar der schwarze Block - zum letzten Mal an diesem Tag.

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