Mandate-Machtkampf Schwarz-Gelb will Wahlrecht im Alleingang reformieren

Kritiker sprechen schon von einer "Staatskrise": Seit Jahren ringt das Parlament um ein neues Wahlrecht, das alte gilt als verfassungswidrig. Nach SPIEGEL-Informationen will die Union die nötige Reform nun notfalls ohne Opposition durchziehen - doch auch die FDP sperrt sich.
Reichstag in Berlin: Kein parteiübergreifender Konsens bei Wahlrechtsreform

Reichstag in Berlin: Kein parteiübergreifender Konsens bei Wahlrechtsreform

Foto: ? Pawel Kopczynski / Reuters/ REUTERS

Hamburg - Das Verfassungsgericht hat ein neues Bundestagswahlrecht gefordert - doch Schwarz-Gelb hat die Reform vertrödelt. Jetzt drückt die Union aufs Tempo: Sie ist aber nicht zu substantiellen Zugeständnissen an SPD und Grüne bereit - und will die Reform notfalls ohne Plazet der Opposition durchboxen. "Notfalls machen wir es allein", sagt ein ranghohes Fraktionsmitglied dem SPIEGEL.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2008 festgestellt, dass Ungerechtigkeiten im deutschen Bundestagswahlrecht abzuschaffen sind, die durch das sogenannte negative Stimmgewicht entstehen. Gemeint ist der Fall, in dem eine Partei einen oder mehrere Sitze im Parlament durch zusätzliche Überhangmandate hinzugewinnt, obwohl sie weniger Stimmen bekommen hat.

Die Union besteht darauf, das System der Überhangmandate zu erhalten, da sie davon oft am stärksten profitiert. SPD und Grüne dagegen wollen die Überhangmandate weitgehend abschaffen. "Sollten Union und FDP eine Lösung vorlegen, die die Wirkung der Überhangmandate nicht beseitigt, werden wir dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, dem SPIEGEL.

Politologen halten einen Alleingang bei der Wahlrechtsreform für problematisch. Es gehöre zu den "grundlegenden Spielregeln des demokratischen Wettbewerbs, Wahlrechtsänderungen nur im größtmöglichen Konsens vorzunehmen", sagte etwa Joachim Behnke SPIEGEL ONLINE. Nur die Einhaltung dieser Regeln "garantiert, dass auch die Ergebnisse akzeptiert werden".

Streit zwischen Union und FDP

Doch noch nicht einmal innerhalb der Regierungskoalition gibt es derzeit einen Konsens über das Wahlrecht. CDU und CSU wollen die Sitzverteilung durch geschlossene Wahlgebiete ändern - das heißt, dass die Sitze für jedes Bundesland gesondert auf die Parteien verteilt werden sollen. Die Liberalen sperren sich gegen den Reformplan, weil sie Mandatsverluste in Ländern mit schwachen FDP-Ergebnissen befürchten.

Nach SPIEGEL-Informationen will die Union jetzt einen neuen Versuch starten, mit der FDP übereinzukommen. Sollten das gelingen, wird das Bundesinnenministerium einen Gesetzentwurf ausarbeiten. Unionsfraktionschef Volker Kauder drängt darauf, ihn noch vor der Sommerpause im Bundestag einzubringen.

Die Koalition steht unter Druck, weil die Karlsruher Richter dem Parlament aufgetragen haben, bis zum 30. Juni ein verfassungskonformes Wahlrecht auszuarbeiten. Sollte das nicht gelingen, stünde Deutschland ohne verfassungsfesten Abstimmungsmodus da. Vorgezogene Neuwahlen hätten dann keine rechtliche Grundlage mehr.

"Ab dem 1. Juli haben wir - und das ist keine Übertreibung - eine echte Staatskrise", mahnte der Grünen-Politiker Jerzy Montag kürzlich in der "Frankfurter Rundschau". Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, nannte die verschleppte Reform "eine beispiellose Respektlosigkeit gegenüber dem Bundesverfassungsgericht".

ssu
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