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Manfred Stolpe: Kirchenjurist, Ministerpräsident, Bundesminister

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Zum Tod Manfred Stolpes Der Undurchschaubare

In der DDR half er als Kirchenjurist in Not geratenen Menschen, nach der Wende regierte er als SPD-Ministerpräsident Brandenburg. Doch Manfred Stolpe blieb in seinem Handeln für viele rätselhaft. Nun ist er gestorben.

Einen Kontakt zu Manfred Stolpe zu haben, zu wissen, wo er erreichbar ist, galt in unruhigen Zeiten in der DDR als eine besondere Versicherung. Da musst du Stolpe anrufen, das kann nur Stolpe, lautete der im Flüsterton weitergetragene Tipp.

Von Manfred Stolpe und seinen sagenhaften Fähigkeiten hörte ich zum ersten Mal als Bausoldat, also als einer, der den Dienst an der Waffe in der DDR verweigerte. Einem anderen Bausoldaten war damals - 1983 - wegen permanenter Aufmüpfigkeit mit dem Militärstaatsanwalt gedroht worden. Geh zu Stolpe, wurde ihm geraten. Der habe da einen Draht.

Stolpe, 1936 geboren in Stettin, Jurist, trug in den Achtzigerjahren den Titel Konsistorialpräsident. Sein Arbeitszimmer befand sich in einem Plattenbau in der Neuen Grünstraße in Berlin-Mitte, seine eigentliche Arbeitsbeschreibung war Jurist der evangelischen Kirche. Sein Image: Wundertäter, Sesam-öffne-dich der DDR-Haftanstalten.

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Manfred Stolpe: Kirchenjurist, Ministerpräsident, Bundesminister

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Ohne Zweifel hat Stolpe Menschen geholfen und ermutigt. Wer den Mann in seinem Büro im Konsistorium besuchte, spürte, da war jemand, der um seinen Ruf wusste, ein Dialektiker der feinsten Worte, durchaus auch eitel. Ein Mann mit Eigenschaften, ein Optimist, dessen Gesprächspartner gelegentlich darüber klagten, er habe etwas Unnahbares.

Er nahm Zettel entgegen, auf denen Namen standen, er notierte etwas in seinen Kalender, er brummelte, und man verließ erleichtert das Zimmer. Was er danach wohl tat? Mit Erich Honecker telefonieren? Oder mit Helmut Schmidt? Er raunte mitunter, er müsse ins "große Haus", mehr sagte er nicht.

Wer hilft, wird meist nicht gefragt, wie diese Hilfe zustande kommt. So war es auch, wenn Stolpe irgendeinen der vielen kleinen Konflikte entschärfte, die einem Leben den Lauf nehmen konnten. Die DDR als Unrechtsstaat mit allmächtigem Geheimdienst zu beschreiben und zugleich von einem Juristen zu verlangen, er möge wie im Rechtsstaat agieren, passt schlecht zusammen. Auf diese naive Idee kamen viele auch erst nach Ende der DDR.

Je mehr die Macht der SED wankte, desto geringer wurde die Verehrung Stolpes

Da Stolpe offenbar im gesichtslosen Apparat des undemokratischen Sozialismus so viele Menschen mit Einfluss kannte, erhöhte sich die Klientel, für die er zuständig wurde. Wahrscheinlich zog er auch deshalb so viel an sich, um im rechtsstaatlosen Basar immer auch etwas bieten zu können: Geld von den Brüdern und Schwestern im Westen etwa für die Sanierung des Berliner Doms - aber nur bei Zustimmung der SED zum Bau von Kirchen in Neubaugebieten.

Stolpe wurde zum Chefdiplomaten, dessen Auftrag und Grenzen nie genau definiert worden waren. Manches Geschäft fiel schon vor dem Ende der DDR nicht unter die Rubriken Nächstenliebe oder Existenzsicherung der Kirche. Letztere wäre gewiss auch ohne den Import von Volvos für die Bischöfe ausgekommen. Einmal hörte ich Stolpe amüsiert davon berichten, er habe von einem Bischof eine Limousine zurückfordern müssen, versehentlich war ein goldfarben lackiertes Exemplar ausgeliefert worden. Der Bischof sei so traurig gewesen, seine Frau habe sich doch schon an den Wagen gewöhnt.

Je mehr die Macht der SED wankte, desto geringer wurde die Verehrung Stolpes. Die Emanzipationsbewegung wollte sich nicht nur vom Vormund Staat befreien, sondern auch für sich selbst, schnörkellos und ohne Vermittlung reden.

In dieser Zeit wuchs in der kirchlichen und kirchennahen Oppositionsszene Misstrauen gegen Stolpe. Er wirkte plötzlich so, als sei seine Furcht um den Verlust seiner Sonderstellung größer als die Freude über das bevorstehende Ende der Diktatur. Womöglich kannte er auch einige der Oppositionellen zu gut, um in ihnen zukünftige Staatslenker oder wenigstens Oberbürgermeister zu sehen. Vielleicht fürchtete er auch ein Blutbad.

Stolpes Aufklärungsbedürfnis in eigener Sache schrumpfte

Mit dem Staat DDR endete auch Stolpes geheime Mission. Nach einer kurzen Phase der Desorientierung wurde er endgültig Politiker, Sozialdemokrat, Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Doch kaum war er gewählt, wurde immer mehr von dem bekannt, was und vor allem wie er in der DDR verhandelt hatte. Die Berichte über Geheimgespräche und Geheimgetue, verfasst von Bürokraten der Macht, standen oft im Widerspruch zu den Einlassungen Stolpes. Er hielt das Informationsbedürfnis von Menschen, über die er einst gesprochen hatte, für undankbar.

Die Frage nach seiner möglichen Verstrickung wurde zu einer symbolisch überhöhten Auseinandersetzung. Stolpes ohnehin unterentwickeltes Aufklärungsbedürfnis in eigener Sache schrumpfte weiter. Das empörte und stachelte seine Widersacher derart an, bis deren Urteilsvermögen zu einem Verurteilungswillen mutierte (wovon ich selbst nicht immer frei war).

Stolpes Politikstil als Ministerpräsident Brandenburgs war offenbar stärker von seinem Handeln in der DDR geprägt, als ihm bewusst war. So wie er in der DDR ab und an wie ein Stück Bundesrepublik wirkte, so wirkte er nun wie ein Rest DDR in der Bundesrepublik. Stolpes DDR-Substanz verquirlten seine PR-Leute mit Rudimentär-Preußentum und etwas Wessi-Hass zum Wohle der SPD-Herrschaft in Brandenburg. Mit Stolpe wurde die SPD bei drei Landtagswahlen in Folge stärkste Partei, einmal mit absoluter Mehrheit.

Von vielen früheren DDR-Bürgern wurde Stolpe zusammen mit Regine Hildebrandt als menschlicher Schutzschild gegen die Widrigkeiten des Westens gesehen. Kanzler Gerhard Schröder machte ihn zum Bundesminister, aber eher weniger wegen Stolpes Erfahrungen in Bau- und Verkehrsfragen, sondern mehr im Glauben an die Wirkung der Personalie auf die Ostdeutschen. Es war eine besondere Ironie der Geschichte, dass der SED-Kenner Stolpe nun deren Nachfolgepartei PDS im SPD-Auftrag eindämmen sollte.

Manfred Stolpe erkrankte an Krebs. Bis zuletzt schaltete er sich in politische Debatten ein, um die Zukunft der Stadt Potsdam oder um das Verhältnis Deutschlands zu Russland. Er war ein Mensch, der seinen Weggefährten Rätsel aufgab. Nun ist er im Alter von 83 Jahren gestorben. Einige Geheimnisse nimmt er mit ins Grab.

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