Kampagne gegen Theologin Die AfD und das Käßmann-Zitat

Die AfD macht mit einem falschen Zitat Stimmung gegen Margot Käßmann, jetzt prüft die Theologin rechtliche Schritte. Das Vorgehen der Rechtspopulisten hat Methode.
Von Michel Winde
Margot Käßmann

Margot Käßmann

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

Eigentlich möchte Margot Käßmann nichts mehr sagen. Nur so viel: "Margot Käßmann prüft rechtliche Schritte." Das zumindest sagte ihr Sprecher dem SPIEGEL. Käßmanns Kirchentagsrede und das, was die AfD daraus gemacht hat - es ist ein komplexer Fall.

Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte während einer Rede beim Kirchentag in Berlin die Familienpolitik der rechtspopulistischen Partei kritisiert. Die AfD macht seither mit einem falschen Zitat im Internet Stimmung gegen die 59-Jährige.

"Hat sie nicht mehr alle Weingläser im Schrank?", fragt die AfD in einem Facebook-Post vom 27. Mai. Daneben ist das Bild einer Eule mit Weinflasche sowie die Forderung "Bodenpersonal der Kirchen schleunigst austauschen!" abgebildet. Käßmann war 2010 betrunken über eine rote Ampel gefahren und daraufhin von allen Ämtern zurückgetreten.

Der zentrale Satz des Facebook-Posts lautet jedoch: "Margot Käßmann: Wo Deutsche Kinder bekommen, da weht ein 'brauner Wind'." Diesen Satz hat die Theologin nie gesagt. Nun erwägt sie juristische Maßnahmen gegen die Partei.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Facebook, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bei der AfD gibt man sich gelassen. "Wir gehen davon aus, dass Frau Käßmann lediglich rechtliche Schritte angedroht hat, um ihr Gesicht nach dieser irren Äußerung zu wahren", sagte Parteisprecher Christian Lüth dem SPIEGEL.

Irre Äußerungen? Was hatte Käßmann wirklich gesagt?

Auf dem Kirchentag in Berlin redete sie über die Familienpolitik der AfD. Dabei zitierte Käßmann unter anderem aus dem Grundsatzprogramm der Partei.

Diese Passagen des AfD-Programms zitierte Käßmann: "Die volkswirtschaftlich nicht tragfähige und konfliktträchtige Masseneinwanderung" sei kein geeignetes Mittel gegen den demografischen Wandel. "Vielmehr muss mittels einer aktivierenden Familienpolitik eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung als mittel- und langfristig einzig tragfähige Lösung erreicht werden."

Danach nahm Käßmann auf die AfD-Passagen Bezug: "Jetzt ist klar, wohin der Wind weht. Frauen sollen Kinder bekommen, ja, aber nur wenn sie, wie es jetzt immer heißt, biodeutsch sind. Ja, hab ich gelernt. Das ist eine neue rechte Definition von einheimisch, gemäß dem sogenannten kleinen Arierparagrafen der Nationalsozialisten. Biodeutsch soll nämlich bedeuten: zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern. Und da weiß man, woher der braune Wind dann wirklich weht."

Käßmann hat also keineswegs gesagt, was die AfD behauptet. Der Satz "Wo Deutsche Kinder bekommen, da weht ein 'brauner Wind'" ist nie gefallen, auch als Zusammenfassung ihrer Rede taugt er nicht. Käßmann hatte Parallelen zwischen dem Familienbild der AfD und dem der Nationalsozialisten gezogen, und die AfD kritisiert.

Die AfD reagierte empört - und verbreitete Schautafeln mit dem verkürzten Zitat über Facebook und Twitter (eine ausführliche Chronik finden Sie auf dem Portal "Übermedien" ). Die Partei folgt damit einer Methode, die sie immer wieder anwendet.

Einige Beispiele:

  • Als Justizminister Heiko Maas (SPD) im Mai sein Buch "Aufstehen statt wegducken. Eine Strategie gegen Rechts" veröffentlichte, machte der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in einer Foto-Collage aus dem Untertitel "Eine Strategie gegen das Recht". Wenig später relativierte er und sprach von Satire, dann erließ das Landgericht München eine einstweilige Verfügung. Der Facebook-Eintrag mit dem gefälschten Cover darf nicht mehr gezeigt werden.
  • Nach dem Anschlag in London Anfang Juni warf die AfD dem Fernsehsender CNN vor, eine Demonstration von Muslimen gegen den "Islamischen Staat" inszeniert zu haben. "Diese Demonstration fand nie statt", heißt es in einem Facebook-Post. Nachdem dieser Version mehrfach widersprochen wurde, zog die AfD zurück.
  • Nach dem Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund twitterte die Berliner AfD: "Islamisten verantwortlich. Vom Fußball bis zum Weihnachtsmarkt: Kein Bereich unseres Lebens ist mehr sicher." Eineinhalb Wochen später wurde bekannt, dass ein Aktienspekulant der Täter war. Die Berliner AfD hat den Tweet mittlerweile gelöscht.
  • Im März warf das Auswärtige Amt der AfD Fake News vor. Die Berliner AfD hatte auf Twitter behauptet, für Schweden gelte eine "massive Reisewarnung". Das Außenamt stellte klar, dass es eine solche Reisewarnung nicht gibt. Stattdessen sei die Terrorwarnstufe vor einem Jahr herabgesetzt worden. Zunächst wollte die AfD den Tweet trotzdem nicht löschen, später tat sie es doch.
  • Der Berliner AfD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski behauptete 2016 in einer von der Bundespartei verbreiteten Presseerklärung, das Umweltministerium habe Hillary Clinton im US-Wahlkampf gesponsert. Fakt ist jedoch, dass das Ministerium seit Längerem Klimaprojekte der Clinton-Stiftung in Ostafrika unterstützt. Das Ministerium ging rechtlich gegen die Behauptung vor und erwirkte eine Unterlassungserklärung. Die Pressemitteilung musste von der AfD-Internetseite gelöscht werden.

Ob Käßmann vor Gericht Erfolg gegen die AfD haben wird, hängt von der Auslegung des Posts ab. In Anführungszeichen wurden nur die beiden Worte "brauner Wind" gesetzt, die Partei wird vermutlich argumentieren, dass der Anfang des Satzes nur ihre Bewertung von Käßmanns Aussage sei. Käßmann wird darauf verweisen, dass sie nicht das Kinderbekommen in einen Kontext mit "braunem Wind" gestellt hat, sondern die Familien- und Zuwanderungspolitik der AfD. Rechtlich ist das Ergebnis offen, intellektuell nicht.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten