Virtueller CSU-Parteitag "Schon ziemlich krass, oder?"

CSU-Chef Söder warnt vor einer "Corona-Pegida" und liest in seiner Rede vor dem Onlineparteitag aus beklemmenden Hassbotschaften gegen ihn vor. Und dann nimmt eine Motto-Tasse den Worten viel von ihrer Wirkung.
Aus München berichtet Jan Friedmann
"Winter is coming": Parteichef Söder wendet sich per Stream an die CSU-Delegierten

"Winter is coming": Parteichef Söder wendet sich per Stream an die CSU-Delegierten

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Sven Hoppe / dpa

Seinen stärksten Augenblick hat Markus Söder nach einer halben Stunde Redezeit: Er liest aus Drohzuschriften vor, die ihn jüngst erreichten, es sind widerliche Hassbotschaften: "Ich werde Sie erschießen, in Scheibchen schneiden und Tigern zum Fraß vorwerfen", schreibt einer. Ein anderer: "Du stinkende Judensau gehörst vergast." Ein Dritter nennt den CSU-Politiker einen "widerlichen Merkel-Stiefellecker", einen "Volksmörder und Kinderschänder".

Zuschriften, wie sie viele Politiker auf allen Entscheidungsebenen erhalten, zumeist schweigen sie darüber. Denn sie zeigen die Empfänger als verwundbar allein dadurch, dass sie solche Dinge lesen müssen.

"Schon ziemlich krass, oder?", sagt Markus Söder und pausiert kurz in seiner Rede. Dann gießt er Tee aus einer Thermoskanne in eine Tasse, die vor ihm steht. Die ändert mit dem heißen Inhalt ihre Farbe von Schwarz auf Weiß, ebenso die Aufschrift: "Winter is coming", war dort zu lesen, ein Satz aus "Game of Thrones". Nun heißt es: "Winter is here."

Nach Betroffenheit Gelächter im Presseraum der Münchner CSU-Landesleitung. "Das gibt es doch nicht", sagt eine Journalistin. Söders Accessoire erinnert an die Witztassen, zumeist mit Dirndl-Aufdruck, die es sonst auf Jahrmärkten zu kaufen gibt. Die Tasse sei ein Geschenk gewesen, erklärt ein Parteisprecher hinterher, der plakative Effekt nicht beabsichtigt gewesen.

"Gefällt mir nicht" ist nicht vorgesehen

Ein echter Söder. Binnen einer Minute und maximal plakativ hat der Parteichef und Ministerpräsident seine beiden Kernbotschaften an die CSU-Delegierten übermittelt: Vorsicht vor Corona-Extremisten. Und: Vorsicht vor dem Virus, das ungebrochen gefährlich sei.

Aber vielleicht braucht das Format des Parteitags auch besondere, klare Botschaften und starke Bilder, beides bedient Söder gern. Denn erstmals in ihrer Geschichte treffen sich die Christsozialen zu einem Großen Parteitag, der online per Konferenztool abläuft. In der Parteizentrale sind nur der Parteivorsitzende und die wichtigen Funktionsträger anwesend.

Die rund 800 stimmberechtigten Delegierten können sich von zu Hause einloggen, sich durch die Anträge wischen, am Rechner abstimmen und ihr Wohlwollen mittels "gefällt mir"-Button ausdrücken. Einen "gefällt mir nicht"-Button hat die von der CSU eingerichtete Arbeitsoberfläche nicht.

So kommt es, dass die einstündige Rede Söders in der interaktiven Bildschirmansicht mit schwirrenden Daumen-Hoch-Icons garniert ist. Söder hält sie ohne reales Publikum am Schreibtisch in seinem Büro im vierten Stock der CSU-Zentrale, hinter ihm eine CSU-Fahne und die Büste von Franz Josef Strauß.

"Die zweite Welle läuft"

Sie hat fast nur ein Thema. Bayern und Deutschland seien bislang gut durch die Krise gekommen, sagt Söder, enthält sich aber jeder Wohlfühlphrase. Stattdessen warnt er: "Ich kann keine Entwarnung geben. Corona ist mit voller Wucht, aller Macht wieder da in ganz Europa." Und: "Die zweite Welle läuft, und zwar ziemlich stark." Und noch drastischer: "Es ist vielleicht die Prüfung unserer Zeit und unserer Generation."

Der Bayer, belastet durch hohe Infektionszahlen in seinem Bundesland, wendet sich gegen die schwedische Strategie: Durchseuchung habe einen hohen Preis. Nach wie vor könnten die Zahlen exponentiell steigen, die Krankenhäuser volllaufen. Das Ziel: "Wir wollen keinen zweiten, flächendeckenden, generellen Lockdown."

Neue Maßnahmen verkündet Söder nicht, es gehe ums Eindämmen, ums Testen und um klare Regeln. Seine Linie erklärt er mit einem ethischen Argument: "Für mich als Christ ist es nicht vertretbar, für das Freizeitverhalten vieler das Leben weniger zu opfern." Warum die Zahlen in Bayern derzeit so hoch sind, erklärt Söder auf dem Parteitag kaum.

Umso nachdrücklicher warnt er vor gesellschaftlicher Polarisierung. "Rechte versuchen, eine Art Corona-Pegida zu etablieren." Zwar stehe es jedem Bürger zu, seine Skepsis zu zeigen, zu demonstrieren und sogar Unsinn zu glauben. Jedoch: "Der Ton wird aggressiver, die Thesen werden wirrer." Er betont: "Unser Maßstab heißt Vernunft statt Verschwörung." Söder kündigt an, dass in Bayern künftig die Reichskriegsflagge, ein zuletzt von Corona-Leugnern gern getragenes Symbol, verboten werde.

Söders Auftritt erinnert an eine Onlinelehrstunde, das Hintergrundrauschen eines echten Parteitags fällt weg. Bei der CSU können solche Veranstaltungen in normalen Zeiten anarchisch ausfallen - so 2019, als die Basis nach mehreren Wortbeiträgen von Quotengegnerinnen an den Saalmikrofonen eine verbindliche Frauenquote in Parteigremien ablehnte.

Präsenzveranstaltungen abgesagt

Wenig Streit, aber auch wenig Jubel hingegen 2020. Eigentlich wollte die CSU ihr 75-jähriges Jubiläum groß feiern. Doch der geplante Parteitag musste ausfallen, übrig blieb eine eher nüchterne Feier mit alkoholfreiem Sekt und wenigen geladenen Gästen in den Räumen der Hanns-Seidel-Stiftung.

Alle größeren Präsenzveranstaltungen hat die CSU einstweilen gestrichen. Stattdessen hält sie einen "digitalen Arbeitsparteitag" ab, wie Generalsekretär Markus Blume erklärt, der mit Dorothee Bär durch 150 Anträge moderiert. In der Landesleitung ist ein neuer Senderaum für Vorstandssitzungen und Pressekonferenzen eingerichtet. Seit ein paar Tagen gibt es in der CSU auch eine verbilligte Onlinemitgliedschaft ohne Stimmrecht.

Die Partei will digitaler werden, dazu "jünger, weiblicher, ökologischer", wie Blume erklärt. Bald soll es eine Kampagne geben, um mehr Frauen für die Parteiarbeit zu gewinnen. Die verordnete Modernisierung birgt Konflikte, doch anders als die Schwesterpartei hat die CSU keine Parteipersonalien zu klären, erst 2021.

Und die Schwesterpartei, war da nicht mal was auf CSU-Parteitagen? Söder lobt die Kanzlerin und dankt der scheidenden Parteivorsitzenden AKK. In deren Nachfolgesuche wolle er sich nicht einmischen. Und in die Kanzlerkandidatur? Man werde sich mit der CDU einigen, dies sei aber nicht so zu interpretieren, "als ob die CSU das nur abnicken müsste".

Für Semantiker hält Söder noch eine Variante seines viel zitierten Satzes bereit: "Mein Platz, der ist immer bei euch, also in Bayern."

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