Markus Söder Unser Mann für die Zukunft
Er ist der Rockstar der Konservativen, der Weckrufer von Leipzig, die Hoffnung der Demokratie: Markus Söder kann, soll, muss Kanzlerkandidat der Union werden. Wer denn sonst, bitte schön?
Sollten Sie die Berichterstattung über den Auftritt von Markus Söder auf dem CDU-Parteitag in Leipzig verpasst haben, hier eine kleine Zusammenfassung: Da kam Stimmung auf. Es war ein Fest für die Sinne. Da blieb kein Auge trocken. Der Söder kann es einfach. Hätte es eine Abstimmung gegeben, die CDU-Delegierten hätten den CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten vom Fleck weg nicht nur zum gemeinsamen Kanzlerkandidaten der Union gewählt, sondern womöglich auch gleich geheiratet und/oder adoptiert. Denn in Leipzig war, um mal einen besonders wagemutigen Berichterstatter zu zitieren, nicht irgendein dahergelaufener Schwesterparteivorsitzender zu beobachten, sondern die leibhaftige Reinkarnation Barack Obamas.
Was, fragt man sich da als einer, der Söder schon einige Jahre beobachtet, ist da los? Wie konnte aus dem ja doch auch der CDU latent suspekten, weil halbseidenen fränkischen Haudrauf ein Hoffnungsträger für höchste Ämter werden? Woher kommt diese plötzliche Söbama-Begeisterung?
Emotionale Erpressung wie bei Muttern
Naheliegende Antwort: Aus Verzweiflung. Am Tag vor Söders Auftritt auf dem CDU-Parteitag mussten sich die Zuhörer durch eine viel zu lange mäandernde Rede der Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer quälen, die wohl nur deshalb Begeisterung auslöste, weil sich das so gehört, wenn die Vorsitzende spricht. Bei AKK wäre der jahrelang auf ihre Vorgängerin gemünzte Mutti-Vergleich tatsächlich einmal zutreffend. Mit einem jammervoll vorgetragenen Trennungsangebot nötigte Kramp-Karrenbauer den Parteitag nölend zur Solidarität. Was blieb den Delegierten anderes übrig, so kurz vor Weihnachten? Derartige Methoden mutternhafter emotionaler Erpressung hat man öffentlich zuletzt in Loriots "Ödipussi" (1988) gesehen.
Doch nicht nur die Vorsitzende, auch ihr sogenannter Widersacher ist eine Enttäuschung. Friedrich Merz, der seit einem Jahr praktisch nichts anderes macht als Stimmung gegen Kramp-Karrenbauer, bekannte sich in einem ansonsten wenig bemerkenswerten Redebeitrag markig zur Parteichefin und bemühte dafür gar die Vokabel "Loyalität", die ihm mutmaßlich kurz vorher jemand in Lautschrift auf sein Manuskript gemalt haben muss. Er meisterte die Aussprache dieses exotischen Fremdworts dann ganz manierlich.
Vielfach wurde seine verbale Unterwerfung als strategisch schlaue Vorbereitung auf den nächsten Parteitag interpretiert, wo dann wirklich über die Kanzlerkandidatur entschieden wird. Die werde Merz dann mit Macht an sich reißen. Das darf allerdings bezweifelt werden. Merz ist ein Meisterpilot, der weite Schleifen zieht in seiner Propellermaschine und zielsicher aus großer Höhe Stinkbomben auf die Parteizentrale abwirft. Ein ordentliches Landemanöver scheint er allerdings nie gelernt zu haben.
Kein Wunder also, dass angesichts dieser traurigen Protagonisten nur einer bei der CDU auftauchen muss, der ein wenig Lebensfreude ausstrahlt, und schon sind alle aus dem Häuschen. Söder weicht zwar bisher allen Fragen nach einer Kanzlerkandidatur aus, er ziert sich, er hat noch Zeit, aber er wäre nicht Markus Söder, wenn er nicht im Innersten vollstens überzeugt davon wäre, dass es keiner besser könnte als er. Söder hat Regierungserfahrung. Er steht an der Spitze einer Partei, die tatsächlich hinter ihm steht. Er hat alle acht Staffeln "Game of Thrones" intus, ist also strategisch bestens geschult. Seine Ethik steht auf dem festen Fundament der "Star-Trek"-Fernsehserien. Er weiß, wovor sich die Menschen in der Nürnberger U-Bahn fürchten und dass es am Kottbusser Tor in Berlin schlimm zugehen muss, was man so hört. Die außenpolitischen und geostrategischen Belange der Bundesrepublik Deutschland wären ihm ohne Weiteres anzuvertrauen, er würde sie konsequent aus der Perspektive seiner Heimat Nürnberg-Schweinau betreiben, also genau so, wie sich seine Wähler das vorstellen und wünschen.
Er steht genau dort, wo Sie ihn haben möchten
Ja und die Inhalte? Wo bleiben denn die Inhalte? Wie steht Markus Söder zum Klimaschutz, zu den USA, zur Altersvorsorge, zum Gesundheitssystem und zur schwarzen Null? Keine Sorge: Er steht genau dort, wo Sie ihn haben möchten. Da stellt er sich dann hin. Voller Überzeugung. Markus Söder verheimlicht nicht, dass er kaum über Grundsätze grübelt.
In einer von vielen beklatschten Passagen seiner Leipziger Rede spornte der Gast die Delegierten zu mehr Selbstvertrauen an. Man solle sich mal einen Vertreter vorstellen, der an der Türe klingelt mit seinem Produkt und dann sagt: Also ich persönlich würde das nicht kaufen. Die Absatzzahlen wären überschaubar. So sieht sich Markus Söder offenbar selbst: Als begeisterten Politikverkäufer, als Handlungsreisenden. Wie bei jedem guten Verkäufer ist das Produkt zweitrangig. Er kann alles verkaufen.
Normalerweise würde man bei der eng verbundenen Erwähnung der beiden Worte "Kanzler" und "Söder" entweder laut lachen oder die Fäuste ballen zur Verteidigung eines letzten Rests von Ernsthaftigkeit in der Politik. Aber leider leben wir nicht in normalen Zeiten. Die Demokratie scheint keine Ware mehr zu sein, die sich großer Nachfrage erfreut. Redliche, sicherlich hochkompetente Politikerinnen und Politiker wie Annegret Kramp-Karrenbauer oder der zwingend in jedem CDU-Text als potenziell lachender Dritter zu erwähnende Armin Laschet (hiermit erledigt) mögen die Details der öffentlichen Verwaltung beherrschen - Begeisterung für die Demokratie versprühen sie nicht.
Politik ist aber zu einem guten Teil und womöglich vor allem Kommunikation, gerade jetzt, wo die Feinde der Demokratie immer lauter plärren. Man muss Markus Söder nicht mögen, und wenig mag man ihm abnehmen. Eines jedoch möchte man ihm unbedingt glauben: Beim CDU-Parteitag hat Söder sich klar wie kaum ein Unionspolitiker neben ihm scharf von der AfD abgegrenzt, diese, sagte Söder, sei "der Feind".
Wenn da also einer ist, der so reden kann, dass die Leute ihm gerne zuhören, einer, der garantiert niemals koalieren würde mit alten und neuen Nazis, einer, der sich offensichtlich freut am politischen Geschäft und von mir aus auch an sich selbst - dann wäre er wohl nicht die schlechteste Wahl der Union. Soweit ist es also schon gekommen: Es gäbe Schlimmeres als Markus Söder im Kanzleramt.